AGM-Übernahme: Deal oder Dealchen?

06.10.2021

Es sollte der Deal des Jahres werden, doch wie es aussieht, könnte daraus nur ein „Dealchen“ werden. Die Übernahme von neun AGM-Standorten durch Metro Österreich gerät ins Stocken. Von den Wettbewerbshütern kommt vorerst ein „Nein“. Aber wie geht es nun weiter? Und was bedeutet das für die Kunden? 
Eine AGM-Übernahme bedeutet für Metro einen Zuwachs an logistischer Effizienz sowie einkaufsseitige Vorteile.
Aufregung um die AGM-Übernahme (im Bild der Messestand auf der GAST 2019).

In Österreich ticken die Uhren anders, internationale Entwicklungen kommen hierzulande mitunter verzögert an, manchmal sogar Jahre später. 

So auch beim aktuellen Aufreger-Thema, der geplanten Übernahme von AGM durch Metro. Denn während sich die AGM-Mutter Rewe in Deutschland bereits vor gut zehn Jahren von ihrem C&C-Geschäft getrennt hat, wurde in Österreich in den letzten Jahren bestenfalls unter vorgehaltener Hand darüber geredet, wann sich die Rewe in Österreich denn endlich aus dem C&C-Geschäft zurückziehen wolle. Es war nur eine Frage der Zeit.

Die Bombe platzt

Anfang September platzte die Bombe. Und obwohl der Übernahmeversuch für Insider nur eine Frage der Zeit war, kam er dann letztlich doch überraschend. Wie sehen nun die Eckdaten des geplanten Deals aus? 

Metro Österreich will die zu Adeg gehörenden C&C-Abholgroßmärkte (AGM) mit neun ausgewählten Großmärkten und die Firmenzentrale in Salzburg sowie deren Mitarbeiter übernehmen. Konkret geht es um die AGM-Großhandelsmärkte in Bludenz, Graz, Hartberg, Klagenfurt, Liezen, Neusiedl, Spittal­ an der Drau, St. Pölten und Wiener Neustadt. 

Rewe trennt sich nicht von den AGM-Standorten in Hohen­ems, Lauterach und Wien-Floridsdorf. Von der Transaktion unberührt bleibt die Adeg Zell am See GmbH mit fünf C&C-Märkten unter der Marke „AGM“ in Salzburg und Tirol sowie Adeg Wolfsberg mit zwei C&C-AGM-Märkten.

Geben und behalten

Die Standorte in Hohenems, Lauterach und Wien-Floridsdorf sollen zunächst weitergeführt werden. Insidern zufolge soll der Standort Floridsdorf anderweitig genutzt werden. Auch die Märkte in Hohen­ems und Lauterach werden wohl nicht an andere C&C-Player verkauft, diese könnten von der Rewe intern entwickelt werden, sagt Rewe-International-Vorstand Marcel Haraszti in einem Interview mit Regal. Den Gesamtumsatz der zwölf AGM-Standorte beziffert Haraszti immerhin mit 186 Millionen Euro. Ob die Marke AGM verschwindet oder erhalten bleibt, ist bisher noch nicht bekannt. Eines ist wohl klar: Rewe will sich aufs Kerngeschäft konzentrieren.

Warum bist du so sexy?

Aber was findet der C&C-Riese an AGM so sexy? Metro-Österreich-Chef Xavier Plotitza in einer ersten Reaktion nach Bekanntwerden des Deals: „Mit der Übernahme von neun AGM-Großmärkten wollen wir uns in den Regionen für unsere Kunden, insbesondere in der Hotellerie und im Belieferungsgeschäft, noch besser aufstellen.“ 

Übersetzt bedeutet das: Metro könnte mit einem Schlag einen deutlich besseren Zugang zu noch mehr Gastro-Kunden erhalten, nämlich zu jenen, die bisher „out of ­reach“ waren. Das liegt auf der Hand. Es gibt aber noch einen Grund: Zahlen des Marktforschungsinstituts Gastro Data für das 1. Halbjahr 2021, die für den Retail­report erstellt wurden, zeigen, dass seit dem Gastro­nomie-Restart im Frühjahr das Zustellgeschäft deutlich zugelegt hat – klarerweise auf Kosten der C&C-Abholung. Mit einer Übernahme der neun AGM-Standorte könnte die Metro also ihr Zustellgeschäft ausbauen, und zwar deutlich.

Der Zustellanteil im Gastro-Großhandel erreichte 2019 den bisherigen Höchstwert von 68 % (C&C-Abholung: 32 %). Im Jahr 2020 (mit den Corona-Quartalen 2 bis 4) sank die Zustellquote auf 65 %, der Abholanteil kletterte auf 35 %. Das Pendel schlug aber bald um: Von Jänner bis April 2021 erreichte der C&C-Anteil den Höchstwert von 40 % (Zustellung: 60 %). Aber: Seit Mai steigt der Zustellanteil wieder massiv an und kletterte auf 64 %, im Juni waren es bereits 68 %. Da ist es natürlich naheliegend, dass sich Metro hier weitere Marktanteile sichern will. Denn im Gastro-Zustellgroßhandel liegt weiterhin viel Wachstumsfantasie. Immerhin weisen die AGM-Standorte einen Zustell-Anteil (2019) von rund 60 % auf, Metro liegt hier noch deutlich unter 50 %. 

Gefahr

Eine heftige Reaktion aus dem C&C-Umfeld ließ nicht lange auf sich warten: Kastner-GF Christof Kastner sieht bei Zustandekommen dieses Deals Ungemach auf den heimischen Lebensmittelgroßhandel zukommen. Und nicht nur für diesen: Produzenten, Lieferanten, Großkunden und Endverbraucher seien ebenfalls betroffen. Mit derzeit insgesamt sechs namhaften Lebensmittelgroßhändlern in Österreich (Metro, AGM, Transgourmet, Kastner, Wedl, Eurogast) gebe es zwei klare Marktführer, die beiden internationalen Konzerne Metro und Transgourmet nämlich, mit jeweils ca. 30 Milliarden Euro Umsatz. Harte Zeiten also für mittelständische österreichische Unternehmen, wie etwa die Kastner-Gruppe. „Bei einer Übernahme der AGM-Großmärkte durch Metro drohen gleich mehrere Probleme für österreichische Produzenten und Konsumenten“, so Christof Kastner.

Dominoeffekt

„Es droht ein Dominoeffekt, der die wenigen verbliebenen österreichischen mittelständischen Unternehmen einen nach dem anderen zum Aufgeben zwingt. Durch die weitere Verschärfung der bereits jetzt bestehenden Schief­lage zugunsten der internationalen Konzerne droht Österreich ein fremdbestimmtes Oligopol beim Lebensmittelgroßhandel, wo dann der Hauptfokus auf Gewinnmargen liegt, zulasten von Regionalität und Nachhaltigkeit“, warnt Kastner und erklärt: „Wenn nur mehr die großen Konzerne die Preise diktieren, kann man sich vorstellen, was das für österreichische Bauern und Produzenten bedeutet. Dass Großkunden, wie die öffentliche Hand, aber auch Konsumenten dann billigere Preise erwarten können, ist wohl Wunschdenken. Es ist eine Binsenweisheit, dass die Preise steigen, wenn die Zahl der Anbieter sinkt.“

Auch das Timing der geplanten Übernahme stößt den Mitbewerbern sauer auf, denn die Zeiten waren für den Belieferungs- und Abholgroßhandel auch schon einmal rosiger. Die Gastro-Data-Umsatzbilanz weist für das erste Halbjahr 2021 ein Umsatzminus von 24,8 % aus. Das hat natürlich auch mit dem Komplettausfall der Wintersaison zu tun. Das gute Ostergeschäft und ein einigermaßen normaler Sommertourismus konnten die Einbußen des ersten Quartals nur teilweise wettmachen.

Die Bundeswettbewerbsbehörde  (BWB) hat schließlich Ende September den Deal (vorerst) gestoppt und die Phase II des wettbewerbsrechtlichen Zusammenschluss-Prüfverfahrens eingeleitet. Die Causa wurde an das Kartellgericht weitergeleitet. Dieses hat nun neun Monate Zeit, um ein Urteil zu fällen. 

Laut BWB haben Metro und die Rewe-Tocher AGM keine Maßnahmen angeboten, um die bestehenden wettbewerblichen Bedenken auszuräumen. An der anvisierten Übernahme hatten Mitbewerber, unter anderem die Kastner-Gruppe, in den vergangenen Wochen scharfe Kritik geäußert.

Metro weiter zuversichtlich

Metro Österreich zeigte sich in einer ersten Reaktion dennoch zuversichtlich, die AGM-Standorte übernehmen zu können. Man werde sich der vertiefenden Prüfung stellen, „in der alle offenen Fragen ausgeräumt werden sollen“. „Der Dialog mit der Bundeswettbewerbsbehörde war bislang äußerst konstruktiv und von beidseitiger hoher Wertschätzung getragen“, so der Großhändler. Die Transaktion erfordere eine längere und intensivere Analysephase, daher werde die Entscheidung in der Prüfungsphase II vom Kartellgericht getroffen.

Zuvor hatte die BWB bei Mitbewerbern sowie Kunden von AGM und Metro eine Online-Marktumfrage durchgeführt. Die Ergebnisse der Befragung sowie Stellungnahmen und Gespräche mit Wettbewerbern und Kunden hätten gezeigt, dass die Bedenken hinsichtlich hoher Marktanteile von AGM und Metro weiter bestehen bleiben, so die Wettbewerbshüter.

Im Zuge der BWB-Befragung zum AGM-Deal pochten laut Retailreport regionale Gastro-Großhändler auf die sogenannte „30-Kilometer-Radius-Formel“. Diese besagt, dass der 30-Kilometer-Radius als Einzugsgebiet und dessen Gastro-Großhandels-Umsatzvolumen als Absatzmarkt und damit als Messgröße für den Marktanteil heranzuziehen seien. Hintergrund: Diese Formel wurde auch im Zuge der Entscheidung der BWB aus dem Jahr 2011 herangezogen, als Pfeiffer in der Steiermark die C&C-Märkte von Nussbaumer übernahm. Die Bundeswettbewerbsbehörde ist auch jetzt von dieser Regel nicht abgewichen. Denn eine Erweiterung des Radius hätte einen Präzedenzfall für zukünftige Übernahmen geschaffen.

Globale Wirtschaft, lokaler Markt

Ist die Bundeswettbewerbsbehörde hier zu weit gegangen? Fakt ist, dass die Wirtschaft global agiert, die BWB definiert den Markt im vorliegenden Fall aber als sehr lokal. Und was das Kartellgericht sagen wird, steht ebenfalls noch in den Sternen.

Für den Handelsexperten und WU-Professor Nils Wlömert steht jedenfalls fest, dass eine Übernahme wie ursprünglich geplant auf jeden Fall zu einer Marktkonzentration führen würde. Eine Garantie dafür, dass die Metro als konkurrenzloser Marktführer überbleiben wird, gibt es nicht. Es gibt ja auch noch andere Player im Markt. Und denen müssen sie sich nach wie vor stellen. 
Letztendlich kann es also auch sein, dass das Risiko einer Marktdominanz gar nicht so groß sein wird. 

Nils Wlömert, Vorstand des Instituts für Retailing & Data Science an der WU Wien, im ÖGZ-Interview, by a.gruebling