Almtal goes Waldness

Tourismus
02.11.2017

Von: Thomas Askan Vierich
Das Erlebnis Wald könnte zur Belebung einer touristischen Region beitragen, die etwas ins Abseits geraten ist – und Vorbild für andere sein, denen es ähnlich geht.
Sieht komisch aus, wirkt aber wirklich: Wald-Wyda an der Alm.
Fritz Wolf in seiner „Waldschule“.
Hotelier Hermann Hüthmayr in seinem „Ruhe-Stand“.

Es war einmal ein Tal im Salzkammergut. Skifahrer aus nah und fern, sogar aus Deutschland und den Niederlanden, kamen, viele Jahrzehnte lang, um hier ihren Winterurlaub zu verbringen. Man musste nur ein paar Gästezimmer anbieten und hatte zumindest im Winter ein beruhigendes Einkommen.
Doch irgendwann, es muss in den 1990er-Jahren begonnen haben, blieb der Gästestrom aus. Die Billigkonkurrenz an südlichen Stränden bot im Winter attraktivere Freuden. Ein echtes Sommerangebot war auch nicht in Sicht. Wandern, Radeln und beim Wirt einkehren konnten andere auch bieten. Dazu kamen noch Pech und Unvermögen, wenn nicht sogar böse Absicht, rund um die ansässigen Bergbahnen, die für viel schlechte Presse sorgten. Die Nächtigungen gingen um mehr als die Hälfte zurück – bis heute. 

Externe Beratung

Also setzten sich die wichtigsten Akteure zusammen, bestellten einen neuen Geschäftsführer und einen externen Berater und überlegten, wo denn die Stärken des Almtals liegen (könnten). Es gab einen darbenden Tierpark. Für den setzten sich regionale Unternehmen auch finanziell ein, man holte sich mit Bernhard Lankmaier einen neuen dynamischen Geschäftsführer, investierte mit Förderungen vom Land Oberösterreich 2,4 Millionen Euro, baute artgerechtere Tieranlagen, ein neues Hauptgebäude mit attraktiver Gastronomie und kooperiert jetzt mit der ebenfalls im Tal ansässigen Konrad-Lorenz-Forschungsstelle (Raben, Waldrappe). Seit 2009 schreibt man wieder schwarze Zahlen.

Der externe Berater Andreas Pangerl von Pangerl & Pangerl, der selbst vom nahen Traunsee stammt und schon den Alm-Wanderweg inszenierte, koordinierte ansässige Gastro-nomen und Produzenten und gründete mit ihnen das „schmecktakuläre Almtal“, um das gastronomische Angebot zu regionalisieren und besser zu vermarkten. 

Das waren gute Ansätze, aber es genügte noch nicht, um sich im attraktiven Salzkammergut entscheidend zu positionieren. Hermann Hüthmayr, Hotelier, Mitbegründer der Kinderhotels Österreich und langjähriger Obmann des Tourismusverbandes in Grünau im Almtal, hatte über Forschungen in Japan zu den heilsamen Auswirkungen eines Aufenthalts im Wald gelesen. Schon eine halbe Stunde soll messbar positive Auswirkungen haben. Es liege an den Terpenen und anderen Duftstoffen, am besonderen Licht, am vielen Grün. Ein Waldspaziergang sei besser als jedes Training im Fitnessstudio, weil er gleichzeitig Körper und Seele guttue. Man spricht vom Biophilia-Effekt, der Adrenalinausstoß werde merklich heruntergefahren. 

Bald redeten auch in Europa viele Touristiker über das erholsame „Waldluftbaden“, auch in Österreich setzten sich Alternativmediziner wie Dr. Martin Spinka mit dem Thema auseinander, und im Mühlviertel wurde das Thema auch wissenschaftlich aufgearbeitet. Also schmiedeten Hüthmayr, Pangerl und der „Vater“ der europäischen Waldpädagogik Fritz Wolf aus Scharnstein, daraus ein vermarktbares touristisches Produkt. Man setzte ein Leaderprojekt auf, holte sich Geld von den Gemeinden im Almtal, vom Land und aus der EU. Man ließ sich sogar den Namen „WALDNESS“ europaweit schützen und will ihn als vermarktbares Produkt auch anderen Regionen anbieten.

Wyda an Kraftplätzen

Was steckt nun dahinter? Zunächst hat man erkannt, dass man im Almtal über ausgesprochen viel Wald verfügt. Und dass es mit „Waldluftbaden“ noch nicht getan ist. Unter dem Begriff Waldness fasst man seit diesem Herbst ein umfängliches Angebot zusammen: Zunächst das Waldluftbaden, also den bewussten gesundheitsfördernden Aufenthalt im Wald. Dazu will man mit der „Waldpädagogik“ ein begleitendes Angebot machen. Man setzt auf die Erfahrungen des Försters und Jägers Fritz Wolf, der hier schon seit 1994 eine „Waldschule“ betreibt und ganze Generation von Waldpädagogen ausgebildet hat. Über die ebenfalls im Almtal tätigen Marienschwestern hatte man Verbindung zu den Angeboten der Traditionellen Europäischen Medizin (TEM): Kneippen und im Speziellen das noch eher unbekannte Wyda – eine Art Yoga, das die Kelten „erfunden“ haben und das außerhalb einiger Gegenden in Irland weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Man bildet spezielle Wyda-Trainerinnen aus und bietet diese Atemübungen jetzt an besonderen Plätzen im Wald an. 

Wir haben es selbst und einigermaßen skeptisch ausprobiert. Meditative Übungen außerhalb von Zen-Studios entwickeln tatsächlich ganz andere Effekte. Auch wenn ich persönlich nicht an „Kraftplätze“ glaube: Wenn man aber solche Übungen auf verträumten Lichtungen, an der plätschernden Alm oder auf lichten Höhen des Kasbergs macht, beginnt man darüber nachzudenken, ob es nicht vielleicht doch mehr in dieser Welt gibt als das, was man anfassen kann ...

Apropos anfassen: Die Kenntnisse der ortsansässigen Masseurinnen und Masseure möchte man zumindest in der warmen Jahreszeit auch für „Waldmassagen“ nutzen: Open-AirMassagen unter dem grünen Dach der Baumwipfel. „Wir können also auf vieles zurückgreifen, was schon längst da ist“, sagt Andreas Pangerl. „Wir müssen hier nichts erfinden, wir müssen es nur professionell verbinden, zu einem Produkt formen, das uns unterscheidet.“ Stefan Schimpl vom Tourismusverband Almtal sagt: „Die Praxis eilt der Theorie bereits voraus.“ In diesem Herbst begann das „Vorspiel“ zur Waldness. Man kann mehrtägige Pakete buchen. Dazu gehören Nächtigungen in ausgewählten Betrieben im Almtal (je nach gewünschtem Komfort zahlt man etwas mehr oder weniger) und jede Menge Programmpunkte mit Waldness-Coaches: Wyda, begleitete Wanderungen oder ein Nachmittag in der Waldschule mit hochinteressanten Informationen zum Ökosystem Wald: Wolf erklärt zum Beispiel, woran man erkennen kann, wie alt ein Baumschößling ist und wie eine moderne Bewirtschaftung von Wald funktioniert. Der Förster kocht selbstgesammelte Pilze für seine Gäste in einem ehemaligen Heustadl auf einer Waldlichtung, die er zum Zentrum seiner Waldschule ausgebaut hat. Waldness-Coaches begleiten den Gast im Morgendämmer auf eine Gipfelwanderung mit anschließendem Frühstück in einem Baumhaus. Man legt sich auf aufblasbare Betten mitten in einem Latschenwald und atmet erstmal tief ein, um anschließend in sanfte Träume zu gleiten – am helllichten Tag. Das nenne ich Tiefenentspannung! 

Man genießt in den angeschlossenen Betrieben spezielle Waldmenüs und -jausen, man hört im Herbst den Hirschen beim Röhren zu („Hirschlosen“) und lässt sich dabei in die für Städter seltsame Welt der Jäger einführen. Man begibt sich auf eine Gipfelwanderung jenseits der Baumgrenze und fängt dort das Singen, Jauchzen und Jodeln an. 

Strategie 2025

Doch das ist alles erst der Anfang: Es wird von Pangerl & Pangerl derzeit eine „Almtal 2025“-Strategie entwickelt. Man denkt etwa darüber nach, die Bergbahnen erstmals auch im Sommer zu betreiben. Man wird verstärkt auf Elektromobilität im Tal setzen. Hermann Hüthmayr möchte neben seinem Hochberghaus mitten im Skigebiet Waldlodges errichten. Auch an anderen Stellen im Tal sollen „Waldness-Resorts“ entstehen, die Grundstücke dafür wurden schon reserviert. „Wir haben noch zu wenige sehr gute Betten im Tal“, sagt Berater Pangerl. Das momentan leerstehende Schindlbachgut in einem sehr stillen Seitental des Almtals könnte zu einem „Waldness-Spa“ ausgebaut werden, zu einer „Therme ohne Wasser“. Das Wasser ersetzt der Wald. Hier sollen weitere Waldness-Coaches ausgebildet werden, das Spa könnte so etwas wie die Zentrale des ansonsten eher dezentral organisierten Angebots Waldness werden.

Zielgruppen dafür gibt es reichlich: Menschen, die den Wald lieben, aber zu wenig Gelegenheit haben, ihn tatsächlich intensiv zu erleben. „Die Leute haben oft Probleme, sich wirklich auf die Natur einzulassen“, sagt Hermann Hüthmayr, „sie brauchen manchmal ein wenig Anleitung.“ Hüth-
mayr hat sogenannte Ruhe-Stände entworfen. Das sind eine Art Strandkörbe, die mitten im Wald stehen. Im Tierpark gibt es bereits einen Prototyp. Sie haben das Zeug zum Symbol der Almtaler Waldness zu werden. 

Waldcoach Christa Öhlinger-Brandner sagt: „Wir wollen die Gäste zum Mitmachen animieren, zum Spüren überreden.“ Waldcoaches helfen, die Aufmerksamkeit für die Schätze des Waldes zu schärfen. Das taugt Kindern und Erwachsenen gleichermaßen. „Wir wollen die Menschen zurück in die Natur bringen, ihr Wissen auffrischen, ihnen helfen, etwas für sich zu tun.“ 

Andere kommen, weil sie sich für Wyda interessieren. Oder weil sie früher schon mal im Almtal waren und neugierig auf mehr geworden sind. Weil sie ein Strandurlaub an der türkischen Riviera nicht mehr interessiert. Wald spricht viele an. Aber nicht viele Regionen machen daraus ein zugespitztes Produkt. Das Almtal versucht es. Vielleicht wird daraus ein neues Märchen.