Bistronomy: Jung, weltoffen und unkompliziert

Wien
14.07.2018

Von: Natalie Oberhollenzer
In Wien häuft sich die Zahl an Anbietern einer sehr zeitgenössischen französischen Küche. Der letzte Neuzugang ist das zweite Midi Café & Bistrot in der Innenstadt.
Die beiden Café Midi GRünder Guilhem Baribeaud und Pessah Yampolsky
Die beiden Café Midi GRünder Guilhem Baribeaud und Pessah Yampolsky
Petit Four a la Café Gourmand im Midi

Lange war die französische Küche von einem Entweder-Oder geprägt: Entweder Haute Cuisine oder die unprätentiösere Braisserie- oder Bistroküche. Kompromisse wurden nicht gemacht. Doch in den Nullerjahren wollten einige französische Köche dieses Dogma nicht mehr mittragen. Junge, wilde Talente, die ihr Handwerk außerhalb ihres Heimatlandes Frankreich gelernt hatten konnten mit solch starren Regeln nichts anfangen. Mit viel Experimentierfreude mixten sie Elemente der hohen und der „gewöhnlichen“ französischen Küche mit Koch- und Esskulturen anderer Länder und öffneten damit die französische Küche. Sogar von einer Renaissance ist seither die Rede, wie sich etwa im aktuellen food trend report von Hanni Rützler nachlesen lässt.

Demnach feiert die französische Küche, inspiriert vom Trend des „Healthy Hedonism“, also einer Verbindung von gesundem Essen und sinnlichem Genuss, ein Comeback. Great, smart, casual und ohne der starren Formel „Vorspeise, Hauptgang, Dessert“: Die neue sogenannte Bistronomy lockt eine neue Klientel an, die sich davor nicht so richtig an die komplizierte französische Küche herangetraut hat.

Café Gourmand: Die süße Überraschung

Wie moderne französische Küche aussehen kann, das zeigen Guilhem Baribeaud und Pessah Yampolsky in ihren beiden Midi Cafés am Hohen Markt und in der Wipplingerstraße. Die beiden Jugendfreunde hängten ihre Jobs als Industriemanager und Neurobiologe an den Nagel und erfüllten sich ihren großen Traum vom eigenen Gastronomiebetrieb. Ihr Ziel: frankophiles Lebensgefühl in entspannter Atmosphäre servieren.

Und das haben die beiden an ihren Standorten einwandfrei umgesetzt. Etwa durch den „Café Gourmand“. Die Idee zu dieser süßen Verführung hatten zwei Pariser Patissiers vor rund zehn Jahren. Sie wollten ihr ganzes Können auf einem kleinen Teller zeigen und kreierten verführerische Mini-Versionen ihrer Tartelettes, Cannelés, Creme brulee- oder Mousse au Chocolat-Variationen und ließen sie zusammen mit einem Espresso oder Café au Lait servieren – stilecht arrangiert auf einem länglichen Porzellan-Teller oder einer Schiefertafel. Die Vorteile des Angebots liegen auf der Hand: Die Gäste müssen sich nicht für ein Dessert entscheiden. Und das Angebot ist zeitsparend für die Gäste und das Servicepersonal in der ohnehin immer knappen Mittagspause.  Auf der Karte steht der Überraschungskaffee allerdings nicht. Was beim Café Gourmand serviert wird, bleibt ein süßes Geheimnis. Im Midi jedenfalls ein äußerst köstliches.

Mélange méditerrané   

Wohl aber finden sich Speisen wie Quiche, Flammkuchen, French-Burger mit Weiderind aus Österreich, Bols, Salades, Ratatouille, Camembert au Four, Tartine Avocat, Huhn Tagine oder Boeuf Bourguignon und täglich frisch zubereitete Patisserie auf der Karte. Neben dem Menü mit Klassikern gibt’s eine Wochenkarte mit täglich wechselnden Gerichten. Die Küche bezeichnet Baribeaud selbst lieber als mediterran denn französisch. Wobei die französische Küche für ihn ohnehin seit jeher von Einflüssen aus den umliegenden Ländern profitiert habe. Dazu gibt es Bordeaux direkt von einem kleinen Weingut, dass Baribeauds Familie am Rande des Sauternes betreibt. Und am Abend werden Long Drinks angeboten, die nach Meer klingen: Martinique Mule oder Normandie Petillante. Dazu gibt es kreative Aperitifs wie Lillet la Vie en Rose oder Midroni, die hauseigene Abwandlung des Negroni mit Calvados, Campari und rotem Vermouth.

Dass das Konzept der beiden auch am neuen Standort in der Wipplingerstraße viel Potenzial hat, beweisen all die anderen erfolgreichen Bistros, Patisseries und Braisserien in Wien, die Qualität und Geschmack in den Mittelpunkt stellen und auf das Chi Chi rundherum verzichten. Etwa das Le Bol am neuen Markt: ein äußerst charmantes, kleines Lokal mit Frühstückschwerpunkt, in dem ob des großen Andrangs kaum spontan ein Platz zu bekommen ist. Oder das Beaulieu in der Passage des Palais Ferstl, das nicht nur Landsleute mit gesalzener Butter, herrlichem Käse und Fischgerichten (Bouillabaise) und französischer Landküche anlockt.

Qualität und Geschmack statt Chi Chi

Besonders im unter Franzosen beliebten 9. Bezirk haben in den letzten Jahren einige neue Lokale aufgesperrt: Das großzügige Café Francais am Schottentor zum Beispiel, in das die Mitarbeiter vom französischen Kulturinstitut in der Mittagspause gerne auf eine Zwiebelsuppe gehen. Gleich nebenan das vom gleichen Inhaber betriebene Café le Marché, ein Frühstücksliebling unter Hipstern. Und nicht zu vergessen das La Mercerie im Servitenviertel. Das liebevoll renovierte alte Knopfgeschäft wird unter Franzosen als „Geheimbistro“ gehandelt, wohl auch weil es weder eine Homepage noch eine Facebookseite hat. Trotzdem scheint es immer voll zu sein, was wohl hauptsächlich an den vielen kleinen Köstlichkeiten liegen mag, die es im Angebot hat. Kein Geheimtipp mehr ist das herrliche französische Gasthaus Léontine im dritten Bezirk mit rustikal-reduziertem Design. Wer indes in die Designwelt der 20er Jahre eintauchen möchte, der ist im Èmile Braisserie Restaurant & Bar im Hilton Vienna Plaza gut aufgehoben. Dort werden im stilvollen Art Deco-Restaurant zeitgemäße Köstlichkeiten, vor allem aus der französischen und heimischen Küche serviert. Eine schöne Mischung aus Old School-Einrichtung und neu interpretierten Gerichten!