Covid-19: „Wir brauchen mehr ­Eigenverantwortung“

Covid-19
26.08.2020

Von: Daniel Nutz
Der Tourismusforscher Peter Zellmann hat ein Buch mit seiner persönlichen Sichtweise zum Corona-Lockdown geschrieben. Der Politik wirft er Angstmache, den Medien Unausgewogenheit vor. Die ÖGZ hat bei ihm nachgefragt.
Die Tourismusbranche leidet unter der Covid-19-Krise. Forscher Peter Zellmann rührt mit seinem Buch "Corona - ein Blindflug" auf.
Die Tourismusbranche leidet unter der Covid-19-Krise. Forscher Peter Zellmann rührt mit seinem Buch "Corona - ein Blindflug" auf.
Peter Zellmann leitet das Institut für Freizeit- und Tourismusforschung (IFT). Mit seinem Buch „Corona: Protokoll eines Blindflugs –Mit einem Navi für die Zukunft“, erschienen bei Manz 2020, versuchte er die Maßnahmen rund um die Corona-Epidemie kritisch zu reflektieren. 

Was hat Sie veranlasst, ein Buch über den Covid-19-Lockdown zu schreiben?
Peter Zellmann: Es waren zwei Dinge. Einerseits der überraschende Umgang meines Umfeldes mit dem Virus. Menschen zeigten eine  spontane Verunsicherung. Diese Angst hat mich selbst überrascht, weil ich so etwas noch nie erlebt habe. Der zweite Punkt war dann der verordnete Lockdown. 

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Diese totale Verschärfung der Maßnahmen und wie die Wirtschaft runtergefahren wurde und die Menschen mehr oder weniger eingesperrt wurden. Da dachte ich mir: Das muss ich beobachten, weil bei so etwas Dramatischem sind nachher immer alle gescheiter. Darum muss man gerade am Anfang penibel mitdenken und mitanalysieren. Ich persönlich habe mir die Frage stellt: Wo sind wir hier politisch gelandet?

Sie kritisieren die massive Einschränkung vieler Freiheitsrechte, die großteils unreflektiert hingenommen wurde. Sorgen Sie sich um die Mündigkeit Ihrer Mitbürger und Mitbürgerinnen?
Es gab einen vorauseilenden Gehorsam der einen und eine grundsätzliche Opposition der anderen zu den Maßnahmen, und dazwischen gab es kaum Platz für eine seriöse Diskussion. Für mich stellte sich die Frage: Auf welchen Fakten basiert unser Handeln? Bis heute bin ich felsenfest davon überzeugt, dass keiner wirklich genau die Fakten kennt. Mich stört, dass einige wissenschaftliche Meinungen im Vorhinein als Verschwörungen abgetan wurden. Es hat mich zum Nachdenken gebracht, dass hochqualifizierte Wissenschaftler in den Medien nicht zu Wort kamen, die eine andere Meinung darlegten als die von der Politik vertretene. 

Sie zitieren in Ihrem Buch öfters den deutschen Epidemiologen Sucharit Bhakdi. Dieser vertritt in der Wissenschaftsgemeinschaft eher eine Minderheitenmeinung, nämlich: Das Virus sei nicht sonderlich gefährlich. Wieso soll er recht haben und die anderen unrecht? 
Ich sage nicht, dass er recht hat. Mich stört nur, dass Meinungen abseits des Mainstreams komplett ausgeblendet werden. Wenn unser Bundeskanzler sagt, er höre nicht auf falsche Experten, dann frage ich mich, wie will er beurteilen, welche Experten richtig oder falsch sind? Ich kann doch den Martin Sprenger (ehemaliges Mitglied des Corona-Krisenstabs, Anm.) nicht als falschen Experten bezeichnen! Das hat mich zunehmend gestört. Ich hätte gerne, dass man Leute wie Sprenger oder Bhakdi mit anderen Experten im Fernsehen diskutieren lässt und der Zuschauer sich ein Bild machen kann, wer die besseren Argumente hat.

Die Mehrheit der Wissenschaftler ist aber anderer Meinung als etwa Herr Bhakdi. 
Die Wissenschaft ist keine demokratische Veranstaltung, wo über Theorien abgestimmt wird. Galileo Galilei oder Einstein waren alle einmal alleine, weil der Mainstream der Wissenschaftler immer hinterherhinkt. 

Umfragen zufolge sorgen sich mittlerweile mehr Menschen um die wirtschaftliche Situation als um die Gesundheit. Glauben Sie, dass die Politik zu sehr auf Mediziner als auf Ökonomen gehört hat?
Ich würde eine gesundheitliche Gefahr nicht aus volkswirtschaftlichen Gründen verniedlichen. Aber wenn die Bedrohung gesundheitlich nicht so schlimm ist und wenn sich das bestätigt, dann kann ich die Ökonomen zu Wort kommen lassen. Dann sollten wir uns darauf konzentrieren, die Wirtschaft wieder aufzubauen und uns nicht in erster Linie um steigende Infektionszahlen in Kroatien kümmern.

Was kann man alles aus Ihrer Sicht aus dem Lockdown lernen – gerade in Hinsicht auf die nahende Wintersaison?
Ich hätte gerne mehr Eigenverantwortung beim Gast. Die Betriebe könnten durchaus individuelle und an die örtlichen Gegebenheiten angepasste Maßnahmen setzen. Da geht es in erster Linie um Abstand und Hygiene. Daraus könnte eine Corona-Etikette entstehen, also ein Qualitätsmerkmal für Betriebe, die sich konstruktiv mit dem Thema auseinandersetzen. Ein Beispiel ist das Halstuch, das man in der Gondel über Mund und Nase zieht. Es ist gleichzeitig ein Kälte- Wundschutz. Die Zahlen werden so bleiben, und eine Grippewelle wird die Lage noch verstärken. Wir sollten uns nicht wahnsinnig machen und einem Schwarmverhalten unterordnen.