„Exotisches“ vom heimischen Wild

06.11.2014

Hirsch, Reh, Wildschwein und Co sind Klassiker der Wildküche. Doch unsere Wälder und Wiesen geben noch mehr Delikates her. Auch Dachs, Murmeltier und sogar Krähen schmecken. Oder können schmecken, entsprechend zubereitet.
Berühmt sind Gulasch und Ragout vom Steinwild. Auch der in Lech erzeugte Steinbockschinken ist hervorragend.

Text: Gerd Sievers

Über Geschmack soll man bekanntlich nicht streiten. Oder doch? Wie schaut es aus, wenn wir von Dachs, Murmeltier oder Krähen hören? Läuft uns da auch das vielzitierte Wasser im Munde zusammen, oder keimt nicht doch der eine oder andere Widerspruch in uns auf? Tatsächlich waren viele heimische Wildtiere, welche heute längst von den meisten Speisekarten verschwunden sind, genauso Klassiker der heimischen Küche.

Abgesehen von Singvögeln oder anderen unter (Natur-)Schutz stehenden Tieren, gibt es keinen rationalen Grund, auf die heimischen Exoten kulinarisch zu verzichten; einzig emotionale oder gesellschaftliche Ressentiments verhindern deren Erscheinen auf den gastronomischen Tellern. Bei Jägern und Kennern aber sind sie nach wie vor beliebt.

Da mehr als 95 % der Fläche Österreich als bejagbares Gebiet gelten, ist den meisten Köchen, Wirten und Restaurantbetreibern sicher der eine oder andere Jäger bekannt. Warum es also nicht einmal wieder mit Steinbock, Mufflon und Co probieren – experimentierfreudige Gäste und Gourmets werden für die Abwechslung am Teller sicherlich dankbar sein.
Bevor wir zu den einzelnen Arten kommen, soll an dieser Stelle ein wichtiger Punkt vorweggenommen sein: Exoten sind nicht umsonst Exoten – es gibt von nachstehenden Tieren nicht genug, um sie flächendeckend anbieten zu können. Daher sind viele nachstehende Wildtiere nicht nur saisonale, sondern vor allem regionale Spezialitäten. Darin liegt aber auch ihr Reiz, denn es macht Spaß, einen Steinbock in Lech zu genießen, während man sich in Osttirol ein Murmeltier auf der Zunge zergehen lassen kann und dann und wann im Weinviertel ein schönes, zartes Rebhuhn auf dem Teller liegen hat. Deshalb lohnt sich die Sorge um eine gegenüber der Natur und den Wildpopulationen verantwortungsvoll ausgeübte Jagd als eigenständige Art der Gewinnung eines naturgewachsenen und hochwertigen Nahrungsmittels.

Steinwild
Das Steinwild gehört zur Familie der Wildziegen, wie übrigens auch die Gemsen. Junge Tiere haben ein zartes, saftiges, ältere ein kerniges aromatisches Wildbret. Da Steinwild das alpine Hochgebirge als Lebensraum bevorzugt, ist auch Vorarlberg das Steinwildzentrum Österreichs. Vor allem das Kleinwalsertal und die Region um den Ort Lech haben sich in der Gourmetszene einen diesbezüglichen Namen gemacht. Berühmt sind Gulasch und Ragout vom Steinwild, jedoch ist mittlerweile auch der in Lech erzeugte Steinbockschinken weit über die Grenzen hinaus bekannt. Hervorragend schmecken zum Beispiel auch aus der Keule junger Tiere geschnittene Schnitzel (ca. 3 cm dick), die man klopft, danach mit Salz, Pfeffer und Gin (!) oder auch Tokaier-Wein aromatisiert und nach einer zehn- bis 15-minütigen Rast wie ein Schnitzel paniert in Butterschmalz ausbäckt.

Mufflon
Salzburg, insbesondere das Gebiet um den Natio-nalpark Hohe Tauern, gilt als die Mufflon-Hochburg Österreichs; es bevorzugt die niederen Lagen von alpinen Gebieten. Im Gegensatz zum Steinwild, das wie oben erwähnt zu den Wildziegen gehört, ist das Mufflon ein Wildschaf – dementsprechend wird es auch als Lamm für nicht einjährige Stücke, als Schmalschaf für einjährige weibliche, als Schaf für ältere weibliche sowie als Widder für ein- und mehrjährige männliche Stücke bezeichnet.
Es ist eigentlich nur schwer verständlich, warum Mufflon so selten auf den Tellern der Restaurants landet, denn längst hat sich unter Gourmets herumgesprochen, dass das Fleisch vom Muffelwild aufgrund seiner Kurzfaserigkeit (wie Reh!) und seiner Saftigkeit (fast wie die vom Wildschwein!) zum besten Wildbret gehört, das sich der Gaumen wünschen kann. Leider wird auch das Mufflon oft zu Gulasch und Ragout. Dabei kann sein – nur mit Salz, Pfeffer und Öl gewürztes – am Rost gebratenes Schulterblatt eine überragende Delikatesse darstellen.
Aufgrund seiner großartigen Fleischqualität können zudem alle Rezepte angewandt werden, die man ansonsten für Lamm und Co hernimmt.

Murmeltier
Wer ein Murmeltier probieren (oder auch beziehen) möchte, der muss sich nach Osttirol begeben, denn nur hier ist es in ausreichenden Beständen vorhanden, die eine verantwortungsvolle Jagd zulassen – Österreich, die Schweiz und Teile von Südtirol sind übrigens die einzigen Regionen Europas, wo das Murmeltier derart stabile Bestände aufweist, dass es aktiv bejagt werden darf.
In Osttirol gibt es mit dem Tirolerhof in Dölsach sogar ein Restaurant, das bekannt für sein „Murmele im Glas“ ist. Traditionell wird das von sämtlichem Fett (das ist beim Murmeltier besonders wichtig!) befreite Fleisch im Ganzen zusammen mit Mirepoix, Rotwein, Wildfond und Aromaten als Braten geschmort. Im Tirolerhof wird es hingegen in Würfel geschnitten mit einem kräftigen Wildfond in Rex-Gläser abgefüllt und stundenlang bei Niedertemperatur gegart – eine selten köstliche Delikatesse.

Dachs
Das Faszinierende an der Wildküche ist unter anderem, dass fast alle Wildtiere als Nahrungsmittel dienen können. Und seit jeher wird dieses vom Menschen auch genutzt. Manch ein Wild ist von den Tellern verschwunden, weil sein Wildbret als nicht „gut“ empfunden wurde (so zum Beispiel das Fleisch vom Fuchs, das tatsächlich nicht gut schmeckt), anderes aus Naturschutzgründen nicht mehr gejagt worden (wie zum Beispiel Eichhörnchen) und wieder anderes einfach vergessen worden ist.
Ein gutes Beispiel für letzteren Punkt ist der Dachs. Der zur Familie der Marder gehörende, der amtlichen Untersuchung auf Trichinen unterliegende (!) Erdhöhlenbewohner liefert nämlich ein ganz vorzügliches, einem Jungschweinsbraten ähnelndes Wildbret. Auch aus seinen Keulen hergestellte Schinken sind eine beispiellose Delikatesse. Doch als zwischenzeitlich wegen Tollwutbekämpfung die Bestände (aufgrund von Begasung) zusammenbrachen, wurde die Jagd auf ihn eingestellt. Bis heute ist er von den Speisekarten verschwunden obwohl er längst wieder bejagt werden kann. Schade eigentlich … Bleibt nur zu hoffen, dass sich der eine oder andere ambitionierte Koch wieder seiner erinnert.

Biber, Fischotter
Ähnlich wie der Dachs sind auch Biber und Fischotter komplett von unserem heutigen Speiseplan verschwunden. Doch es ist noch gar nicht so lange her, da galten sie nicht nur als wohlschmeckend, sondern waren vor allem ein willkommener „Ersatz“ für das in der Fastenzeit untersagte Fleisch. Als „im Wasser lebende Tiere“ brachen sie das Fasten (angeblich) nicht und wurden kurzerhand in der Küche verarbeitet. Während sich der Biber rein vegetarisch ernährt und daher tatsächlich ein (halbwegs) schmackhaftes und somit brauchbares Fleisch liefert, so schmeckt der Fischotter aufgrund seiner Ernährungsgewohnheiten schon eher „gewöhnungsbedürftig“ – kurz gesagt: Delikatessen sind sie beide keine. Wenngleich das in Polen und anderen Ostländern durchaus anders gesehen wird ...

Auerhahn und Birkhahn
Auerhahn und Birkhahn waren früher gern gesehene Gäste auf höfischen Tafeln. Sie werden zwar auch heute noch bejagt, aber das Fleisch ist trotzdem schwer erhältlich. Das Fleisch von älteren Tieren ist zudem recht zäh und trocken, das von jungen Vögeln hingegen kann schmackhafte Braten ergeben. Da das Fleisch insgesamt sehr trocken ist, sollten die ausgelösten Bruststücke entweder gespickt werden oder mit einer fettreichen Farce umgeben im Schweinsnetz gebraten werden; sowohl Auerhahn als auch Birkhahn ergeben schmackhafte Ragouts, brauchen aber gehaltvolle Saucen mit reichlich Butter und Rahm!

Haselhuhn und Schneehuhn
Früher waren Haselhuhn und Schneehuhn zahlreich, doch mit dem Rückgang der naturbelassenen Wälder sind auch ihre Bestände stark dezimiert worden – zudem reagieren diese sogenannten Rauh-fußhühner sehr empfindlich auf permanente Störungen wie Wanderer und Touristen.

Beide liefern aber der Küche hervorragende Braten, wobei von vielen Feinschmeckern dem Haselhuhn ein leichter Vorzug gegeben wird, was vielleicht auch daran liegen mag, dass sie im Verhältnis zu ihrer Größe recht viel Brustfleisch liefern, das zudem zart, weiß und sehr dicht ist. Schneehühner schmort man gerne im Ofen mit Wein und Fond, ein Klassiker der österreichischen Wildküche ist in Champagner mariniertes, geschnetzeltes Haselhuhn-Fleisch, das anschließend in mit Thymian und Wacholder aromatisiertem Obers gegart wird.

Krähen
Hand aufs Herz: Wer käme von sich aus auf die Idee, Krähen zu kochen? Wohl kaum jemand. In unserer Überflussgesellschaft sind sie schlicht und einfach unmodern geworden, dabei ergeben sie beispielsweise eine unglaublich aromatische Wildbrühe. Und unsere ungarischen Nachbarn wissen, dass ein Krähen-Pörkölt zu den besten und aromatischsten Wildgerichten überhaupt gehört.

Innereien vom Wild
Zum Abschluss dieses Beitrags soll noch den Innereien vom Wild ein Wort gewidmet sein, denn auch diese sind erlesenste Delikatessen und – wie so manches Wildbret – leider in Vergessenheit geraten. Wer sich jemals mit den alten Rezepturen wie Bruckfleisch vom Wild, Wild-Beuschel, Wildleber (geschnetzelt, gebacken, im Speckmantel), Rehnieren in Bierteig, Gesottene Wildzunge (z. B. in Rahmsauce), Gefülltes Wildherz in Rotwein- oder Specksauce, Wildhirn mit Pilzen im Blätterteig usw. beschäftigt hat, der wird diese Gaumenfreuden nicht nur mit Begeisterung selbst genießen, sondern auch mit Überzeugung seinen Gästen offerieren – und diese Begeisterung ist der erste Schritt, dass die heute exotisch wirkenden Stücke endlich wieder die verdiente Anerkennung in der Küche finden.