Glosse: Früh ­vollendet

04.03.2020

Von: Roland Graf
Wie wichtig kann etwas gewesen sein, das man nicht vermisst, wenn es mal weg ist? Wir sagen nur: Jungwein.

Von den großen Festspielen mit zehntausenden Flaschen ist wenig mehr geblieben als ein paar verschämte Karton-Aufsteller am Wirtshaustisch. Irgendwas mit „Junger“. Den Hype, den früher ein unreifer Roter hervorrufen konnte (bei dem es tatsächlich um Stunden ging, die er länger lagern durfte), muss man heutigen Weintrinkern schon erklären. Boscholäh nu-wos?

In Wahrheit ist es ein gutes Zeichen, dass Jungwein nicht mehr in diesen Massen erzeugt wird. Selbst die Steiermark, deren „Junker“ ein Cash-Garant war, hat nach Jahren eingesehen, dass man damit gehörig am Image der fertigen und wertigen Weine kratzt: Warum soll die gleiche Sorte ein halbes Jahr später das Dreifache kosten, Herr Winzer? Diese Frage erübrigt sich heute. Dennoch muss man festhalten, dass das (Wein-)Glas in puncto Trinkreife halb voll ist. Wir trinken vielleicht keine unfertigen Weine mehr, aber immer noch zu junge. 2019 kaufen Winzer in Österreich Weine in der 
Gastronomie nach fünf Jahren zurück, weil diese sie dann schon für unverkäuflich hält. Die Flaschen gehen dann schnurstracks in jene Exportmärkte, wo man diese Weine gerade für antrinkbar hält. Das erotischste Wort, das ein Sommelier uns hierzulande zuraunen kann, lautet dementsprechend „Jahrgangstiefe“.

Denn während man Bordeaux und Meursaults hortet, darf der Riesling schon nach zwei Jahren aus dem Keller. Der Sauvignon Blanc wird gleich gar nicht so „alt“. Das gerne verwendete Wort vom „Kindsmord“ ist in diesen Fällen aber ein heillos überzogenes Sprachbild. Kein Wein der Welt kann die Freude am eigenen Nachwuchs widerspiegeln. Der drastische Wortlaut sollte viel eher von Selbstverstümmelung sprechen: Man bringt sich um einen späteren Genuss. Eigentlich sollte man in einem katholischen Land das Grundkonzept „Die Belohnung gibt’s erst später“ schon noch verstehen. Man muss sie ja nicht erst im Jenseits entkorken.