Kurbelt Sport den Tourismus an?

Tourismus
05.04.2018

Von: Thomas Askan Vierich
Studien belegen: In keinem anderen EU-Land spielt der Sport ökonomisch eine so wichtige Rolle wie in Österreich. Ob sich aber Megaevents jemals rechnen, ist zumindest umstritten. Werbewirksam könnten sie in jedem Fall sein.
Wandern, Radeln, Skifahren und vieles mehr: Österreich ist europaweit führend im sportinduzierten Tourismus.

TFür Nichtsportler hat Sport das „Odium des Verzichtbaren“: Es sei zwar die „schönste Nebensache der Welt“, aber eben Nebensache. Dem möchte Christian ­Helmenstein widersprechen. Der Mann forscht am Wiener Institut für Sportökonomie SportsEconAus­tria über die wirtschaftlichen Effekte des Sports – in der EU und in Österreich speziell. EU-weit trägt der Sport mit 2,12 % zum BIP bei. Dazu zählen sportinduzierte Dienstleistungen, Unterricht, Beherbergungs- und Gastronomiedienstleistungen und der Einzelhandel. In Österreich ist der Anteil mit 4,12 % fast doppelt so hoch. Der Beschäftigungseffekt ist mit 5,63 % noch größer (EU: 2,72 %). 

Tourismus ist sportrelevant

Der Grund für die Sonderstellung Österreichs liegt im Tourismus: 58 % der Übernachtungen sind als sport­relevant einzustufen – nicht nur im Winter, sondern zunehmend auch im Sommer. Damit ist allein der Sporttourismus in Österreich so stark wie der gesamte Tourismus in Kroatien oder Polen.

Wenn man das auf Gemeindeebene herunterbricht, zeigen sich große Unterschiede: Vor allem in Zentral- und Westösterreich leistet der Tourismus einen wesentlichen Beitrag zur Wirtschaftsleistung. Manche Orte sind komplett vom Tourismus abhängig – nicht nur im Wintertourismus. Die durchschnittliche Top-30-Tourismusgemeinde (vom Wirtschaftsaufkommen vor Ort berechnet) hat nur 1.042 Einwohner. 

Den höchsten touristischen Anteil am Wirtschaftsaufkommen hat Moorbach Harbach im Waldviertel, dahinter folgen Hinterhornbach im Bezirk Reutte, Grän im Tannheimer Tal/Tirol, Weißensee und Tweng. Erst ab Platz 16 tauchen bedeutendere Tourismusdestinationen wie Bad Kleinkirchheim oder Sölden (Platz 24!) auf. Im arithmetischen Mittel haben 57 % der Top-30-Gemeinden einen Sportanteil von mehr als 50 %. 

Wachstumsmärkte und Schulsportwochen

Daraus leitet Helmenstein ab: „Erfolg ist machbar – mit Sport!“ 81 % der Winternächtigungen kommen aus europäischen Ländern mit einem durchschnittlichen Haushaltseinkommen von 3.000 Euro brutto. In 15 europäischen Ländern liegt dieses aber durchschnittlich noch unter 1.000 Euro, häufig in unseren direkten (süd)östlichen Nachbarländern. Hier steigen die Einkommen aber überdurchschnittlich, es entwickelt sich also ein kommender Markt. 

Zusätzlich muss man den eher stagnierenden heimischen (Sport-)Markt ankurbeln. Zum Beispiel mit Schul­sportwochen. Das hat früher besser funktioniert. Deshalb fordern Experten: Man muss rechtliche Probleme rund um diese Sportferien ausräumen, zum Beispiel die Mindestteilnahme von 70 Prozent der Schüler einer Klasse senken, und damit auch die Lehrer motivieren, solche Ausflüge überhaupt anzubieten. Es sollte Kennenlernprogramme auch für Lehrer in den Destinationen geben. Franz Schenners „Allianz Winter“ hat in Salzburg ein Pilotprojekt mit Drei-Tages-Skikursen für 500 Kinder gestartet, viele Skigebiete bieten mittlerweile spezielle Kindertage an (S.S.19). Tourismusobfrau Petra Nocker-Schwarzenbacher wünscht sich, dass jedes Kind mindestens einmal an einer Schulsportwoche teilnehmen kann – was in Schulklassen mit hohem Migrantenanteil keine Selbstverständlichkeit ist.  

Wirken Großereignisse?

Früher sind Wintersportorte mit einer Ski-WM oder Olympia berühmt geworden. Innsbruck zehrt in seiner Wahrnehmung als sportive Winterdestination noch heute von Olympia 1976. Trotzdem wollten gerade die Innsbrucker keine weiteren Olympischen Spiele austragen. Jetzt wollen sich Graz und Schladming für 2026 bewerben (s.S.17). Kritiker sagen, dass solche Riesen­events so gut wie immer mehr kosten, als sie bringen. Zudem möchten mit dem IOC und der FIFA/UEFA eigentlich nur noch Staaten zusammenarbeiten, die den Sport noch als propagandistisches Deckmäntelchen brauchen oder als Marketingmittel auf dem globalen Markt.

Das hat Österreich eigentlich nicht nötig. Dennoch: Die Fußball-WM 2006 in Deutschland und die EURO 2008 in Österreich und der Schweiz konnten zumindest vom Imagegewinn sehr positiv bilanzieren. Die Ski-WM in 
Schladming 2013 hat allerdings fast mehr als doppelt so viele öffentliche Gelder verschlungen wie prognostiziert. Die Messung der volkswirtschaftlichen Effekte steht noch aus. 

Österreich bräuchte bessere Sportstätten – außerhalb des gut versorgten Skisports: eine Eishalle, die ganzjährig bespielbar ist, bessere Ausbildungszentren, permanente Ski-Rennstrecken – fordert Ex-Skistar und Hotelier Michael Walchhofer. 

Qualitätsschub

Helmenstein plädiert dafür, dass sich Österreich gemeinsam mit seinen Nachbarländern für die Sommerspiele bewerben soll: Damit könnten lange aufgeschobene Infrastrukturprobleme gelöst werden. Wien habe beim U-Bahn-Ausbau enorm von der Euro 2008 profitiert. Auch touristisch: Es entstand ein „Crowding-in-Effekt“ – Sportbegeisterte brachten ihre nicht so sportiven Familienmitglieder mit, die ein attraktives Komplementärprogramm konsumierten. Solche Groß-events lösten auch heute noch einen Schub bei der Markenbildung aus. Sie führten laut Helmenstein auch zu Identifikationseffekten in der Region und nicht zuletzt zu Qualitätsschüben im Tourismus. Und ein gesünderer Lebensstil durch mehr Breitensport führt zu gesamtwirtschaftlichen Ersparnissen, selbst wenn man die Sportverletzungen gegenrechnet. Auch das hat Helmenstein ausgerechnet. 

Ohne Sport stünde Österreich bedeutend schlechter dar. Deshalb will sich Christian Helmenstein während der kommenden EU-Ratsmitgliedschaft Österreichs für eine höhere Wahrnehmung des Sports als wirtschaftlichen Faktor einsetzen. EU-weit und auch in Österreich selbst.