Mehr Beziehungsfähigkeit, bitte!
Travel Industry Club: Die Prognosen zum Arbeitsmarkt verlangen nach neuen Ideen.
Der Fachkräftemangel ist keine österreichische und auch keine branchenspezifische Erscheinung. Für den heimischen Tourismus ist die Lage besonders herausfordernd, weil andere Branchen potenzielle Arbeitskräfte abwerben. Oft mit besserer Bezahlung und attraktiveren Arbeitszeiten sowie Karrierechancen.
Tourismus wächst überdurchschnittlich
Das wird sich mittelfristig auch nicht ändern. Laut Prognosen von Wifo und AMS werden die Beschäftigungszahlen in Österreich pro Jahr um 1,3 Prozent steigen, überwiegend profitieren werden davon Frauen und Teilzeitkräfte. Während der Produktionsbereich nur mäßig steigt, wird der Dienstleistungssektor stark zulegen – und bis 2023 rund 75 Prozent aller Arbeitnehmer beschäftigen. Die meisten neuen Jobs werden dabei im Gesundheits- und Sozialwesen, im Tourismus und in der Ausbildung sowie in IT- und Beratungsberufen geschaffen. Die Nachfrage im Tourismus wird in den nächsten Jahren um durchschnittlich zwei Prozent steigen – in der übrigen Wirtschaft nur um 1,5 Prozent. Da der Nachwuchs vielfach fehlt, ist eine markante Ausweitung der Beschäftigung älterer (50+) Personen nötig.
Keine gute Prognose für den Tourismus. Gerade bei älteren Arbeitnehmern tut man sich schwer, die Absprungrate schon der über 35-Jährigen ist im Tourismus besonders hoch. Woanders kann man mehr verdienen und braucht nicht abends und am Wochenende zu arbeiten. Gut ausgebildeter Nachwuchs ist auch nicht in Sicht. Trotz der immer wieder beschworenen heimischen Tourismuskompetenz bilden die zahlreichen Tourismusschulen und Hochschulen am Markt vorbei, sagte jüngst ÖHV-Präsidentin Michaela Reitterer beim Travel Industry Club. Da würden Leute, die ungeeignet für den Beruf sind, für Dinge ausgebildet, die niemand braucht. So viele junge Touristiker mit BA oder MA brauche die Branche nicht. Sie könne auch deren Vorstellungen eines angemessenen Einstiegsgehaltes nicht erfüllen.
Fehler in der Ausbildung
Lehrpläne und Auswahlverfahren müssten hier also überarbeitet werden. Die ÖHV-Präsidentin plädiert dafür, den Dialog der Branche mit Eltern, Lehrern, Schulen und Hochschulen deutlich zu intensivieren. Der „Tag der offenen Hoteltür“ der ÖHV ist hierfür ein gutes Beispiel. Der Fachbereichsvorsitzende Tourismus der Gewerkschaft vida, Berend Tusch, zeigte anhand der stark rückläufigen Lehrlingszahlen und Ausbildungsstätten im Tourismus – nahezu eine Halbierung binnen zehn Jahren – auf, wie sehr die Attraktivität des Berufsbildes gelitten hat. „Es hat sich rundherum viel mehr geändert, als im Tourismus verändert wurde“, so Tusch. Er plädiert für „sanftere“ Einstiegsformen in den Tourismus, um die Integration in die Arbeitswelt zu erleichtern und zu verbessern. Er könnte sich auch vorstellen, „praktikumszertifizierte“ Betriebe einzuführen. Man müsse mehr darauf eingehen, was jungen Leuten wichtig sei: eine bessere Work-Life-Balance oder Dienstpläne, die auch eingehalten werden. Der Tourismus müsse „beziehungsfähig“ werden.
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