Nachgastronomen: Ihr seht uns beim Sterben zu

Nachtgastronomie
10.09.2020

Die Nacht- und Eventgastronomie durchlebt eine schwere Krise. Viele Unternehmer stehen vor dem finanziellen Ruin und fühlen sich im Stich gelassen. Manche gleiten unternehmerisch in die Illegalität ab. Dabei gibt es gute Ideen aus der Branche, wie man mit einer späteren Sperrstunde und dem Après-Ski im Winter umgehen könnte. Die ÖGZ hat sich umgehört

Virologen können mit uns zufrieden sein. Die meisten Österreicher halten die Abstandsregeln ein, und auch die Maskenpflicht wird weitgehend ohne Murren zur Kenntnis genommen. Aber: Zu später Stunde, in Kombination mit Alkohol und in einer geselligen Runde vergessen manche Gäste auf die Grundregeln der Infektionsvermeidung. Und das ist vor allem für jene fatal, die ihr Geld in der Nacht verdienen. 

Der Rückschluss: Die Nachtgastronomie kann in der jetzigen Situation nur dann funktionieren, wenn das Personal darauf achtet, dass Regeln eingehalten werden. Menschen, dicht gedrängt in geschlossenen Räumen, das geht nicht. Aber warum sperren so viele Betriebe, Clubs und Bars nicht auf? Bis 1 Uhr morgens könnten sie das tun. Die Antwort ist simpel: Es rechnet sich für die meisten nicht, das Geschäft zwischen 1 und 4 Uhr ist das lukrativste, wie ein Rundruf der ÖGZ ergab. Einer Öffnung steht derzeit nur eines im Wege: Es bedarf klarer Vorgaben, was erlaubt ist und was nicht. Es geht um die Balance zwischen Vermeidung eines größeren wirtschaftlichen Schadens und dem Schutz der Gesundheit. 

Geordnete Geselligkeit

Mike Erath ist Gastronom in Vorarlberg. Seine Paschanga Bar in Bregenz ist von der frühen Sperrstunde besonders betroffen, aber auch seine Cateringfirma, da das Eventgeschäft zum Erliegen gekommen ist. Wie lange hält er die jetzige, corona-bedingte Quasi-Zwangsschließung der Bar wirtschaftlich noch aus? 
„Wir hatten gut zwei Monate komplett geschlossen und durften danach unsere Cocktailbar wieder bis 1 Uhr öffnen. Allerdings fehlen uns immer noch die besten drei Umsatzstunden von 1 bis 4 Uhr. Und wir können nur etwa die Hälfte an Gästen reinlassen, da ja jeder seinen zugewiesenen Sitzplatz braucht.“ Erath spricht von einem „Überleben“, mehr sei es aber auch nicht. Befreundeten Clubbesitzern gehe es viel schlechter. „Keiner weiß, wie und ob es überhaupt weitergehen kann. Um diese Betriebe nach monatelangem 100%igem Umsatzverlust noch zu retten, bedarf es eines massiven Hilfspakets.“ Ähnlich dramatisch sieht es mit seinem zweiten Standbein, einem mobilen Cocktailtrailer, aus. „Da mehr oder weniger alle Veranstaltungen für 2020 abgesagt wurden, haben wir da natürlich enorme Einbußen. Auch hier ist es ungewiss, ab wann es da wieder normal weitergehen kann.“ Ein harter Kampf also, der noch lange nicht gewonnen – aber auch noch nicht verloren – ist.

Will man uns retten?

Eine ähnliche Sicht hat der neue Vorarlberger Gastro-Obmann Mike Pansi, der ja bekanntlich auch Unternehmer, Veranstalter des Culinary Street Food Festivals und Präsident des Verbands der Köche ist: „Das größte Problem ist, dass es keine Lösungsansätze für die Nachtgastronomie gibt. Ich verstehe, dass die Hotellerie und die Gastronomie als Ganzes das größere Thema ist. Aber vergessen wir nicht, dass Event- und Nachtgastronomie ein nicht wirklich unbedeutender Teil sind – auch im Tourismus.“ 
In Gesprächen mit Clubbetreibern und Barbesitzern höre er immer wieder folgende Frage: „Will man uns überhaupt noch retten? Sind wir überhaupt noch gewollt?“ Denn mit dem Leid dieser Unternehmer verdienen andere ihr Geld, etwa Veranstalter von privaten Partys. Und da stecken manchmal auch Unternehmer dahinter. Für jene, die sich an die Regeln halten, eine echte Herausforderung. „Privatpartys“ – egal von wem organisiert – machen hinsichtlich Infektionsvermeidung große Probleme. Denn es fehlen Vollzug und Kontrolle der Maßnahmen, die Regierung kommt in dieser Hinsicht ihrer Verantwortung nicht nach. Schwarze Schafe, die die Sperrstunde nicht einhalten, profitieren davon, dass sich andere Betriebe an die Vorgaben halten. Die Folge ist eine massive Wettbewerbsverzerrung. Bei den Kontrollen sollte aber gelten: nicht strafen, sondern aufklären. Auch das ist ein Vorschlag aus der Branche.

Illegale Partys

Private Partys, wo weder der Jugendschutz noch Corona-Maßnahmen eingehalten werden, sind die Folge der derzeitigen Situation. Wie ÖGZ-Recherchen in der Vorarlberger Partyszene ergeben haben, gibt es – so wie in ganz Österreich – immer mehr Clubs und Bars, die „früher“ Tanzbetrieb angeboten haben und die das jetzt illegalerweise wieder machen: und zwar getarnt als „Privatparty“, mit Mobilisierung von Gästen über soziale Medien.
Es gibt aber eine weitere, große Herausforderung, die insbesondere auf Grenzregionen zutrifft. Pansi: „In Vorarlberg haben wir das Thema, dass man in 15 Minuten in der Schweiz ist. Dort ist um 4 Uhr Sperrstunde. Das Geschäft wandert zu unseren Nachbarn.“ Der große Konkurrent der Vorarlberger Unternehmer in Sachen Nachtgastronomie sind also die Eidgenossen. Die Sorge: Wenn sich das normalisiert, dass man in die Schweiz zum Party-
machen fährt, wie sieht dann die Perspektive aus? Und Vorarlberg ist in dieser Hinsicht kein Unikum. Im Osten gibt es das Thema ebenfalls, z. B. mit Bratislava. 

Langsamer Tod

Was in Gesprächen mit Unternehmern immer wieder durchklingt: In Österreich wird der langsame Tod der Nachtgastronomie viel zu wenig thematisiert. Deshalb gibt es auch kaum öffentlichen Druck. Die betroffenen Gastronomen fühlen sich ignoriert. Sie fühlen sich hilflos. Und alleine gelassen.
„Die Situation ist dramatisch, man lässt die Branche hängen, es gibt auch keinen Fahrplan. Und ein großes Thema ist auch die Wettbewerbsverzerrung hier bei uns in Vorarlberg“, sagt Stefan Köb, der in Vorarlberg zwei Barbetriebe, ein Restaurant und einen Cateringbetrieb führt. Neben der bereits erwähnten Abwanderung der Gäste bereitet ihm auch ein Abwandern der Mitarbeiter in die Schweiz große Sorgen. „Nachtlokalbesitzer können ihren Mitarbeitern in der momentanen Situation nicht einmal irgendeine Perspektive bieten. Man weiß gar nichts, und das schon seit April,“ prangert er an. Der Fixkostenzuschuss (siehe Kasten) sei da zumindest eine kleine Absicherung. Nur: „Das hat weder was mit dem Einkommen noch mit Investitionsabgeltungen zu tun“, so Köb. Unternehmern wie ihm sei schon geholfen, wenn man die Sperrstunde auf 3 Uhr früh verlegt. Das würde viel Druck aus diesem explosiven Kessel nehmen.
Was man von Nachtlokalbesitzern ebenfalls oft hört: „Gebt uns eine Möglichkeit, den Betrieb irgendwie zu führen. Wir können das umsetzen. Speziell in den Nachtlokalen gibt es immer Sicherheitspersonal und Türsteher, die Vorgaben besser vollstrecken können als etwa Hotels, Bars oder Restaurants.“ 
Skiurlaub ohne Après-Ski?
Im Hinblick auf die Wintersaison stellt sich zudem die Frage, wie stark sich ein reduziertes Après-Ski-Angebot auf Buchungen auswirken wird. Pansi: „Ich glaube, dass Après-Ski buchungsentscheidend für Wintertouristen ist. Eine Wintersportregion ohne Nachtleben ist wie ein Weihnachtsmarkt ohne Gastronomie. Speziell die Skiregionen werden kreative Lösungen finden müssen, um etwa im Außenbereich Alternativen anzubieten. Der Winter wird noch spannend.“ Viele Unternehmer machen ihren Jahresumsatz mit Après-Ski. Gerade deutsche Gäste schätzen die Gastfreundschaft und das „Partymachen“ in Österreich. „Die Gastronomie ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Der Gast ist unsere Existenz. Und wir wollen alles richtig machen“, so die Message der Vorarlberger Gastronomen. 
Einen eigenen Weg schlägt die Wiener Gastronomin Jennifer Salchenegger (Bettelalm) ein: Seit letzter Woche ist der Betrieb wieder geöffnet – allerdings nur von 20 bis 1 Uhr, und mit strengen Maßnahmen. „Wir haben Coronabeauftragte, ein Sicherheitskonzept, arbeiten mit Masken, nehmen die Daten der Leute auf und haben Tische auf der Tanzfläche“, sagt die Unternehmerin. Zudem gibt es Fiebermessungen am Eingang, und Mitarbeiter werden wöchentlich getestet. Salchenegger sieht die Schwierigkeit darin, eine allgemein vertretbare Regelung für Betriebe zu finden. Aber: „Wir plädieren für äußerste Sicherheit und auch die Selbstverantwortung jedes Einzelnen.“ Ihr Vorschlag: Ein flächendeckendes Contact-Tracing-System für Gäste, das vom Staat via App gehostet wird. 

Große Ängste, große Resignation

Die Infektionsgefahr ist so oder so da. Machen die paar Stunden in der Nacht einen Unterschied? In der Nachtgastronomie gibt es überall Türsteher und Securitys, das ist heute Standard. Die könnten Covid-Maßnahmen besser umsetzen als jeder Servicemitarbeiter. Jetzt liegt es an der Regierung, über die guten Vorschläge aus der Branche nachzudenken und endlich eine Perspektive zu bieten.
Trotz aller Schwierigkeiten: Die Einstellung der Bettelalm-Chefin ist jedenfalls vorbildlich und sollte Unternehmern Mut machen: „Ich bin jemand, der versucht, das Beste aus jeder Situation zu machen. Manchmal verzweifle aber auch ich. Man muss die Ärmel aufkrempeln und im Rahmen seiner Möglichkeiten tätig werden. Aufgegeben wird bestenfalls ein Brief.“