NÖ-Tourismus-Chef im Interview: Wachstum ja, aber nicht um jeden Preis!

Tourismus
12.11.2020

Von: Daniel Nutz
Niederösterreich Tourismus hat seine Strategie 2025 präsentiert. Die ÖGZ sprach mit Geschäftsführer Michael Duscher über den Wertewandel durch Corona,  Aufholbedarf beim Freizeittourismus und warum Wirthäuser jetzt lässig sind.
Michael Duscher ist seit heuer neuer Geschäftsführer des Niederösterreich Tourismus.
Michael Duscher ist seit heuer neuer Geschäftsführer des Niederösterreich Tourismus.

ÖGZ: 2019 gab es einen Rekord mit 7,6 Millionen Nächtigungen. Heuer rechnet Niederösterreich mit einem Rückgang von bis zu 50 Prozent. Kärnten, die Steiermark oder das Burgenland hatten zumindest einen sensationellen Sommer. Woran liegt es, dass Niederösterreich nicht so viel aufholen konnte?

Michael Duscher: Wir haben im Vergleich zu anderen Bundesländern schlechter abgeschnitten, weil die Struktur bei uns besonders ist. Ein Drittel der Wertschöpfung kommt vom Wirtschaftstourismus, ein weiteres Drittel aus dem Gesundheits- und das letzte Drittel aus dem Freizeit- und Urlaubstourismus. Zwei Beispiele: In Schwechat gibt es aufgrund der Flugsituation herbe Rückgänge, und auch in Vösendorf fallen die Gruppenreisen aus dem Ausland weg. Die positive Nachricht ist: Wir hatten noch nie so viele Österreicherinnen und Österreicher hier in Niederösterreich auf Urlaub, und wir hatten noch nie so eine hohe Zahl an Erstbesuchern. Das macht Mut. Wenn der Gesundheitstourismus und der Wirtschaftstourismus wieder ins Rollen kommen und wir unser Potenzial im Freizeittourismus ausbauen, dann haben wir im Endeffekt die Chance, neue Gäste zusätzlich zu gewinnen.

Sie haben nun – mitten in der Krise – Ihre Tourismusstrategie 2025 präsentiert. Ergibt das jetzt überhaupt Sinn?

Ich würde sagen, es ergibt genau jetzt Sinn! Wir hatten die Strategie ursprünglich für März angekündigt. Dann kam der Lockdown. Das hat dazu geführt, dass wir die Erkenntnisse der Krise in die Strategie packen konnten. Diese Krise ist ja auch ein Beschleuniger des Wandels, den es im Urlaubsverhalten gibt. Wir haben in Allianz mit den anderen Landes-Tourismusorganisationen eine Studie von Sophie Karmasin beauftragt, um den Wertewandel im Tourismus durch Corona zu erfassen. Diese Erkenntnisse haben wir mitge-
nommen.

Welche sind das?

Vieles geht in Richtung Entschleunigung, Nachhaltigkeit, Selbstwerdung und Reflexion. Insofern kommt die Strategie genau zur richtigen Zeit. Was sich auch herausstellt, ist, dass der Trend Radfahren in seiner Form des Genuss-Radelns erst am Anfang steht. Das spielt uns in die Hände: Wir haben alle Voraussetzungen, um eine Top-Raddestination zu sein. 

Radtourismus hatte doch früher das Etikett des Billigreisens. Inwieweit kann man das heute widerlegen?

Das E-Bike hat einen Entwicklungssprung ausgelöst. Radfahren geht jetzt durch alle Schichten. Ein Beispiel sind Familienradreisen. Wichtig für uns ist auch das grenz-
überschreitende Radeln. Was wir schaffen müssen, sind noch mehr Angebote, wo Gepäckservice und Übernachtung inbegriffen sind.

In der Strategie 2025 gibt es die bekannten Gesamt-Nächtigungsziele nicht mehr. Warum denn nicht?

Wir haben keine rein quantitativen Nächtigungsziele, weil wir ein qualitatives Ziel verfolgen. Wir wollen die Nächtigungen in den Drei- und Vier-Sterne-Betrieben und den besonderen Unterkünften steigern. Der zweite Punkt ist, dass wir die Nächtigungen im ländlichen Raum steigern wollen. Das ist ein wirtschaftspolitisches Ziel, es geht um Regionalentwicklung.

„Es muss möglich sein, mit zwei Kindern öffentlich zu einer Radroute zu fahren und dabei nicht die Nerven wegzuschmeißen.“

Nachhaltigkeit und Wachstum ist ein gewisser Widerspruch. Inwiefern wollen Sie diesen auflösen?

Es geht um Wachstum, aber nicht um jeden Preis! Es geht darum, dass wir klare Ziele haben, um Natur und Bewegungsräume weiterzuentwickeln. Das heißt ganz klar, dass wir es beispielsweise schaffen wollen, die Top-Ausflugsziele Niederösterreichs besser öffentlich erreichbar zu machen.

Was sind dabei die Benchmarks?

Der Ausbau der sanften touristischen Mobilität und die öffentliche Erreichbarkeit der Rad-Destinationen. Es muss möglich sein, mit zwei Kindern öffentlich zu einer Radroute zu fahren und dabei nicht die Nerven wegzuschmeißen (lacht).

Letztes Jahr hingen rund 40 Prozent des touristischen Umsatzes oder 1,4 Milliarden Euro an Tagesausflügen. Sie wollen in fünf Jahren auf knapp zwei Milliarden wachsen. Wie soll der Sprung gelingen?

Wir haben uns getraut, dieses Ziel zu definieren, weil es einen positiven Trend bei der Wertschöpfung pro Gast gibt. Unsere Strategie 2025 ist, dass wir verstärkt mit anderen Bereichen, wie etwa der Weinwirtschaft, der Kultur oder anderen Wirtschaftsbereichen, zusammenarbeiten. 

Zum Beispiel?

Ich kann ein Kulturwochenende in Grafenegg verbringen und das mit einer Radtour verbinden. Der Ausflugstourismus soll zu einem Kurzurlaubstourismus übergeführt werden.

Und wie wird das vermarktet?

Wir arbeiten beispielsweise daran, dass auf den Websites der Kulturbetriebe touristische Angebote integriert werden. Es geht darum, dass wir das Gesamterlebnis inklusive Übernachtungsmöglichkeiten und zum Beispiel den Besuch eines Wirtshauses stärker bewerben.

Authentizität ist ein Schlagwort der Strategie, da ist die Wirtshauskultur ein wichtiger Teil davon. Wie wollen Sie diese weiterbringen?

Es geht um die überregionale Wirksamkeit. Wir haben 220 Wirtshauskultur-Betriebe, das sind Unternehmen, die regionale Produkte verwenden, familiengeführt und nachhaltig sind. Es gibt so viele spannende Betriebe, die jetzt auf eine neue und innovative Art und Weise agieren. Die Gastwirtschaft Floh in Langenlebarn oder Pollak’s Retzbacherhof sind solche Beispiele. Wir arbeiten an der Marke Wirtshauskultur, dass diese mit einer Jugendlichkeit oder mit einer Lässigkeit verbunden wird.

Das Wirtshaus stand ja früher für vieles, nur nicht für lässig …

Wir waren eigentlich immer lässig, nur mittlerweile trauen wir uns drüber und sagen es auch!

Zur Person: 

Michael Duscher ist seit 2020 Geschäftsführer der Niederösterreich Werbung. Seit mehr als 20 Jahren ist er an der Schnittstelle zwischen Tourismus und Kultur beruflich tätig.