Sind wir bereit für die Ernährungswende?

Ernährung
01.10.2020

 
Vielleicht waren die Chancen noch nie so groß für eine Wende zu fairer und ökologischer Ernährung. Österreich hat mit 24.225 Höfen und einem Viertel der Anbaufläche den höchsten Bioanteil aller EU-Staaten.

Der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln wächst deutlich: Heuer liegen die Bio-Umsätze mit einem Plus von knapp 20 Prozent über dem Vorjahr. Diese Entwicklungen geben Hoffnung. Aber eine Ernährungswende ist das noch nicht. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie verletzlich und abhängig unser Wirtschaftssystem ist. Ist unsere Ernährungssouveränität gewährleistet? Schon lange nicht mehr.

»Anfang und Wurzel alles Guten ist die Freude des Magens; selbst Weisheit und alles, was noch über sie hinausgeht, steht in Beziehung zu ihr.«
(Epikur)

Die „Wertschöpfungskette“ ist weitgehend globalisiert und anonymisiert. Wir sind bei aller Autonomie in den Bereichen Brotgetreide, Fleisch, Milch oder Kartoffeln abhängig bei Obst und Gemüse, bei Saatgut, Düngemitteln, Futtermitteln und Energieträgern. Als Teil globalisierter Warenketten wirken wir mit an der Zerstörung von Böden und Lebensgrundlagen anderer Kontinente, Klimaschäden, Verlust an Biodiversität und so weiter. 

Ernährungsphänomene und die Weisheit des Essens

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesen Phänomenen aus einer ganzheitlichen Sicht ist noch eine junge Entwicklung. Der Diskurs findet hier nach wie vor in Nischen statt, eher geduldet als gefördert von einem Wissenschaftsverständnis, dem die Beschäftigung mit dem Essen außerhalb der Ernährungswissenschaften als zu banal erscheint. Das wollen wir „Gastrosophen ändern“. Unter Gastrosophie (Weisheit des Essens) wird dabei die Beschäftigung mit allen Perspektiven unseres Ernährungsverhaltens verstanden. Vom Anbau bis zum Konsum, von der Geschichte bis zu den Rechtsvorschriften, von der Ästhetik bis zur Zukunft des Essens.

Zum Autor

Wolfgang Schäffner ­ist Geschäftsführer des Studienzentrums Saalfelden und einer der Leiter des Studiengangs „Gastrosophische Wissenschaften“ an der Universität Salzburg. 
www.gastrosophie.at

Transparenz und Kostenwahrheit

Was ist zu tun? 

  1. Bewusstseinsbildung: Was hat die Brandrodung in Brasilien mit meinem Rindfleisch zu tun? Woher kommt unser Essen? Besonders in der Gastronomie fehlt es hier oft noch an Transparenz. Der Bioanteil in der Gastronomie liegt nach AMA-Schätzung erst bei ca. drei Prozent, also weit unter den Werten bei den Konsumenten.
  2. Wir brauchen Kostenwahrheit. Rechnet man die Umweltschäden in den Lebensmittelpreis ein, kommt es zu einer Umkehrung der jetzigen Preise: Bio-Produkte werden billiger, konventionelle teurer.
  3. Die Förderung der Landwirtschaft soll sich an nachhaltigen Kriterien ausrichten. Stärkere Unterstützung für Kleinbauern, Direktvermarkter, Food-Coops, Urban Gardening und ähnliche Initiativen.
  4. KonsumentInnen sollten noch bewusster einkaufen. Jeder Kauf- oder Essensakt ist auch eine politische Entscheidung.
  5. Gastronomen sollten noch stärker in der direkten Zusammenarbeit mit Landwirten und Lebensmittelhandwerkern unterstützt werden. Einkaufsgenossenschaften, die Wert auf saisonale, regionale und biologische Lebensmittel legen, gehören gefördert.