Sommerfrische reloaded mit neuer Zielgruppe

Hotel
25.08.2016

 
Bad Gastein hatte seine Höhen und Tiefen. Das legendäre Sommerfrische-Domizil des Fin de Siècle erfindet sich gerade neu – hip, urban, modern. Man sieht jetzt auffällig viele Bartträger.
Sommerfrische à la Sigmund Freud – die Villa Excelsior.
Sommer.Frische.Kunst in Bad Gastein – kulturelle Frischzellenkur mit Artists in Residence.
Bunte, eklektische Mischung im Haus Hirt.

Zuerst ist da ein gewisser Eindruck von Morbidität. Im Zentrum von Bad Gastein dämmert eine ganze Reihe von längst geschlossenen Grandhotels ihrem Verfall entgegen. Das ist in erster Linie dem ehemaligen Wiener „Garagenkönig“ Franz Duval zu verdanken, der Hotels, in denen einst gekrönte Häupter residierten, vor 15 Jahren kaufte und danach buchstäblich nichts in deren Erhalt investierte. Seit dem Tod des Investors umringen Bauzäune die Gebäude, was vielleicht vom guten Willen zeugt, wohl aber eher von der Gefahr, von herabbröckelnden Fassadenteilen erschlagen zu werden. 

Neue Vitalität

So weit, so schlecht. Dennoch ist das nur die halbe Wahrheit zu Bad Gastein. Denn der Kurort ist abseits des eher toten Zentrums durchaus vital. Einer der wahren Retter des historischen Ortes ist der Schwede Lars Ole Magnusson, der in den letzten neun Jahren 27 Millionen Euro in die Renovierung historischer Bauten investiert hat und das Gasteinertal zur Top-Nächtigungsdestination der Schweden in Österreich (ca. 150.000 schwedische Nächtigungen im Jahr 2015) gemacht hat. Mit ca. 2,5 Millionen Nächtigungen im gesamten Gasteinertal steht man auch nicht wirklich schlecht da, wenn auch in diesem längsten aller Tauerntäler der Schwerpunkt auf dem Wintertourismus liegt. 

So kommt es, dass man sich des alten Rufs von Gastein als Sommerfrische-Kurort besinnt. Mit neuer Zielgruppe.

Als Zielgruppe stehen jetzt weniger rheumageplagte Senioren denn junge Hipster im Mittelpunkt. Das führt zu einem radikalen Perspektivenwechsel: Die marode Kulisse wird nicht – wie in den Jahrzehnten davor – versteckt, sondern als Marketingtool für die einzigartige Mischung von Urbanität und wilder Natur genutzt. Schließlich braust seit Jahrtausenden unbeeindruckt von wirtschaftlichen Krisen einer der höchsten Wasserfälle der Ostalpen durch den Ort. Und auch als Nationalparkgemeinde mit der hochalpinen Wildnis der Hohen Tauern vor der Haustür hat man neben den altehrwürdigen Promenaden alle Voraussetzungen für den Tourismus als Sommerfrische-Destination.

Sommer statt Winter

Das spiegelt sich auch in der Hotellandschaft wider. Das Haus Hirt etwa oder das aus dem Fin de Siècle stammende Hotel Regina haben sich zu schmucken Designhotels entwickelt, die sich hauptsächlich an ein junges urbanes Publikum wenden. Dass vermehrt Berliner Großstadtnasen in die reine Gasteiner Luft gereckt werden, liegt auch an dem Testimonial Friedrich Liechtenstein, das der Tourismusverband vor einigen Jahren gewinnen konnte. Liechtenstein ist ein bekannter deutscher Musiker, Schauspieler und Unterhaltungskünstler (Musikvideo „Supergeil“ von Der Tourist). 

In der Bar und im Restaurant des Hauses Hirt lässt sich zeitgemäße Salonkultur genießen, wie selbstverständlich hocken vollbärtige Hipster zwischen Jungfamilien mit herumtollenden Kindern. „Unser großes Ziel ist einfach, das echte Leben abzubilden“, sagt Hausherrin Evelyn Ikrath, die auch schon einmal mit ihren Gästen wandern geht. Es geht um Resonanz – um das Bemühen der Gastgeber, individuelle Bedürfnisse der Gäste ernst zu nehmen. Das Ganze eingebettet in ein architektonisches Konzept zwischen Retro und Lifestyle, das ihr Ehemann Ike entwarf. Ausgedehnte Wellness-Bereiche sucht man hier vergebens – bei zwei Thermen im Gasteinertal durchaus verständlich. Gäste sollen ausspannen, wandern, erleben, genießen, den Alltag vergessen – Sommerfrische eben. Und dazu gehört auch, einmal buchstäblich nichts zu tun. Etwa in den traumhaften Chalets des Hauses Hirt, die in ihrer Naturholz-Einrichtung keine Fremdenzimmer sein wollen, sondern Wohnungen für echte Menschen. Freilich mit riesigen Terrassen, denen man zu Recht das Prädikat „Sonnenbalkon der Alpen“ verleihen könnte.


Begegnungen mit Künstlern

Sommerfrische hatte immer schon viel mit Begegnung zu tun. Früher waren es die Begegnungen auf den Promenaden mit ihren mondänen Cafés in Bad Gastein, heute ist es die Initia-tive Sommer.Frische.Kunst.  Am Fuße des berühmten Wasserfalls ziehen jedes Jahr Künstler in Ateliers ein und arbeiten über den Sommer an ihren Werken. Während ihrer Arbeit und am Ende bei der gemeinsamen Gruppenausstellung lassen sich die Artists in Residence persönlich kennenlernen. Seit Mai ist neben den Ateliers im alten Kraftwerk ein Café eingerichtet, wo man den Blick zwischen alten Turbinen und dem tosenden Wasserfall schweifen lassen kann – das Publikum könnte man genauso gut in einer Wiener Galerie treffen.

Die gute, alte Zeit

Auch wenn Bad Gastein also einen gewissen Bobo-Chic entwickelt hat, kann man an wenigen ausgesuchten Plätzen noch Sommerfrische wie in der guten, alten Zeit entdecken. Die Villa Excelsior wirbt mit „Urlauben wie Sigmund Freud“ – schließlich verbrachte der Begründer der Psychoanalyse sieben Sommer in dem mehrstöckigen Haus an der Kaiser-Wilhelm-Promenade. Der Tiroler Christof Erharter kaufte die Villa vor 15 Jahren, weil er – wie er sagt – genug von der „Lederhosenarchitektur“ seiner Heimat hatte, und revitalisierte sie behutsam im Geist der 1920er-Jahre. Neben dem Originalbestand und zugekauften Antiquitäten kam so manches Mobiliar auch von den Gästen. 

„Wir haben immer wieder alten deutschen oder österreichischen Adel hier. Die buchen zwei Wochen, können aber nur eine Woche bezahlen. Den Rest vergüten sie mit alten Möbeln oder Bildern.“ Die so geschaffene Atmosphäre lässt über das Fehlen modernen Komforts hinwegsehen. Das Frühstück kommt im Silbergeschirr, im Stiegenhaus wandelt man über schwere Teppiche, und die Wannenbäder sind mit kleinteiligen, historischen Fliesen ausgelegt – in Minzgrün oder Zuckerlrosa. 

Hier kann man ein Radon-Wannenbad genießen. Das ist ein bisschen wie Sommerfrische im 15-Minuten-Kurzformat. Denn das leichtflüchtige Edelgas regt im Körper schmerzstillende Stoffe und den Stoffwechsel an. Radon kommt in derart hoher Konzentration im Wasser nur in Bad Gastein vor, das wusste schon Marie Curie. Und so lässt sich mit frisch gewonnener Vitalität die Morbidität im Zentrum des Orts etwas leichter verkraften ...

Text: Martin Betz