Wo Tourismus an seine ­Grenzen stößt

04.10.2017

Von: Daniel Nutz
In Mallorca wird protestiert. Auch in Österreich gibt es mancherorts Widerstand gegen den Massentourismus. Was tun? Eine Lösungssuche
Erholung an einem Bergsee im Stubaital. Exklusive Naturerlebnisse als touristisches Angebot. Im Winter strömen dann tausende Skitouristen ins Tal. Und machen Umsatz.
Erholung an einem Bergsee im Stubaital. Exklusive Naturerlebnisse als touristisches Angebot. Im Winter strömen dann tausende Skitouristen ins Tal. Und machen Umsatz.

In Mallorca gingen vergangene Woche Tausende auf die Straße, um gegen den dortigen Massentourismus zu demonstrieren. Zu viele Leute, zu viel Müll, zu viel Profitgier, lautet deren Kritik. Auch im kleinen Hallstatt wollen die Einwohner einen Teil der einstigen Beschaulichkeit zurück. Hängen Verbotsschilder auf Chinesisch an den Gartenzaun: Sie wollen nicht, dass Touristen ihr Grundstück als Freiluftmuseum betrachten oder Drohnen über ihrem Haus steigen lassen. Proteste gibt es auch in Städten wie Barcelona, Prag oder Venedig. Doch was ist passiert? Galt doch der Tourismus stets als Jobmotor, als Garant des lokalen und auch ländlichen Wirtschaftswachstums. Viele Menschen lehnen sich nun auf, weil sie meinen, zu den Verlierern der ganzen Sache zu gehören. Zu Recht? Und was sind die Lösungsansätze?

Grenzenloses Wachstum?

Weltweit ist der Tourismus ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Laut der Welttourismusorganisation UNWTO wird es 2030 weltweit 1,8 Milliarden internationale Ankünfte geben. In Österreich jubelt man über den Rekord von 140 Millionen Nächtigungen. Doch gibt es eine Kapazitätsgrenze? So einfach ist die Frage nicht zu beantworten. In manchen Städten – wie Venedig oder Salzburg denkt man über Grenzen nach. Anderorts gibt es freilich noch Kapazitäten. 

Eva Brucker, Professorin an der FH Salzburg, erklärt das Unbehagen der Bevölkerung mit dem Massentourismus mit einem stattfindenden Wandel zu mehr Individualtourismus. „Touristen wollen heute wie Einheimische leben“, sagt Brucker. Das führt zu Angebotsveränderungen. Touristen kommen in vormals nicht frequentierte Viertel. Die Wohnungspreise steigen, weil hier über Airbnb Zimmer vermietet werden, Souvenirshops eröffnen und das gastronomische Angebot touristischer wird. Das betreffe vor allem Städte. Während in klassischen Tourismusregionen meist ein Großteil der Bevölkerung irgendwie vom Tourismus ökonomisch profitiert, erfährt in Städten die Mehrheit die negativen Auswirkungen. Aber auch in den klassischen Wintersportorten gibt es Probleme. Gerade der Partytourismus ist vielerorts zu einem veritablen Problem geworden. Was kann man tun?

Gebote und Verbote

Manche Regionen ziehen die Notbremse und reagieren mit Verboten. So etwa Städte, in denen das nächtliche Schieben von Rollkoffern verboten ist, oder der Skiort Ischgl, der letztes Jahr das abendliche Tragen von Skischuhen untersagte. Was hämisch kommentiert wurde, weil man stets das Image als Partyort pflegte. Die von der Österreich Werbung (ÖW) herausgegebene Zeitschrift „bu//etin“ zeigte vor einiger Zeit einige Wege eines harmonischen Miteinanders von Einwohnern und Gästen auf. Ein Beispiel: In Barcelona versuchte man mit einem humorvoll gestalteten Blog namens „Don’t be a Tourist“ einen Verhaltenskodex auf unterhaltsame Art den Gästen näherzubringen.

Für Eva Brucker ist das Einbinden aller Beteiligten der Schlüssel zum Erfolg. „Es geht um eine Sensibilisierung, Schulungen, Diskussionsforen, die alle Positionen berücksichtigen.“ Einzelne Tourismusverbände in Südtirol gelten hier als Vorreiter, aber auch die Nordseeinsel Juist, wo es ein eigenes Gästeparlament gibt. 

Auch in Wien hat man sich mit dem Einfluss des Massentourismus auseinandergesetzt. Eine Befragung von Wien Tourismus ergab, dass 40 Prozent noch Kapazitäten für Touristen in der Stadt sehen, für 26 Prozent ist das Maß erreicht, der Rest ist sich unschlüssig. Aber ganze 90 Prozent meinen, dass die Stadt allgemein vom Tourismus profitiere. Nicht nur das Beispiel Wien zeigt, dass die Tourismus-Stimmung in der Gesamtbevölkerung weiterhin gut ist. Doch welche Schlüsse sind für die Zukunft zu ziehen?

Klasse oder Masse?

Dass Österreich auch künftig mit keinen Bettenburgen wie an manchen Mittelmeer- oder Schwarzmeerdestinationen aufwarten wird, ist durch die stark von KMU geprägte Struktur der heimischen Betriebe garantiert. Der daraus hervorgehende Qualitätsanspruch ist laut Eva Brucker eines der Zugpferde Österreichs im internatio-nalen Vergleich. Wobei Brucker anmerkt: Im Vergleich mit anderen Alpendestinationen ist Österreich relativ günstig. Für die Branche geht es nun darum zu definieren, welche Märkte man ansprechen will. 

Luxus erfährt eine Neuinterpretation. Das ist eine Erkenntnis, die heuer auf der Fachmesse ITB in Berlin deutlich zu erkennen war. Das Prestige fällt beim Luxus immer mehr weg. Es erschließt sich ein neues Thema: Räume für Ruhe zu schaffen. Hotels wie Destinationen reagieren darauf und entwickeln individuelle Angebote. In Rauris lockt man etwa mit Kraftorten: eine Form des Slow Tourism. 
Für Prof. Peter Zellmann, den Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung (IFT), liegt die Herausforderung in der Verbindung des Massentourismus mit den Angeboten des Qualitätstourismus. Die Zukunft liege in einem nachhaltigen Tourismus, der auf Qualität und nicht auf Quantität setzt. Es geht um hochwertige Angebote. Im Gegensatz dazu gibt es die Prognosen der steigenden Reisemöglichkeiten etwa der chinesischen Mittelschicht und den Ruf nach dafür maßgeschneiderten Pauschalangeboten. Beide Zielgruppen mögen, mit dem richtigen Geschäftskonzept versehen, lukrativ sein. Ob man sich eher auf Touristenbusse einstellt und auf Masse geht, oder den individuellen Qualitätstourismus forciert, liegt letztlich im Ermessen der einzelnen Regionen. 

Die Bevölkerung hat jedenfalls eine klare Präferenz: „Quiet Please“ ist an manchen Schildern an Gartenzäunen im oberösterreichischen Hallstatt zu lesen. Weniger touristischer Durchzug bedeutet dort mehr Lebensqualität