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KSV1870: Insolvenzen legen weiter zu

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22.06.2023

Die Zahl der Firmenpleiten steigt weiter um 11 Prozent und befindet sich aktuell knapp über dem Vorkrisenniveau aus dem Jahr 2019. Auch die Privatkonkurse legen leicht zu.
Aktenreiter mit der Aufschrift "Insolvenz"
Nur für 14 Prozent der derzeitigen betrieblichen Insolvenzen ist die Corona-Krise verantwortlich.

Laut KSV 1870 hat sich die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in den vergangenen Monaten konsequent erhöht. Demnach waren im ersten Halbjahr 2023 in Österreich 2.600 Betriebe von einer Insolvenz betroffen. Das sind um 10,9 Prozent mehr Fälle als im Vergleichszeitraum des Vorjahres und im Schnitt rund 14 Firmenpleiten pro Tag. Im Vergleich zum Jahr 2019, dem letzten „Normaljahr“ vor der Corona-Krise, gab es seit Jänner 2023 um rund 40 insolvente Unternehmen mehr. Weiters sind auch die mangels Kostendeckung nicht eröffneten Fälle um 11,3 Prozent auf 1.067 Fälle gestiegen.

Insolvenztreiber: Handel, Bauwirtschaft, Tourismus/Gastronomie

Wie die aktuelle KSV1870 Hochrechnung belegt, sind der „Handel inkl. Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen“ (473 Fälle), die Bauwirtschaft (447) und der Bereich Tourismus/Gastronomie (346) jene Branchen, in denen sich die meisten Insolvenzen ereignen. Diese drei Branchen sind für nahezu die Hälfte aller österreichweiten Firmenpleiten verantwortlich. Darüber hinaus verzeichnen diese drei Bereiche, neben dem Gesundheits- und Sozialwesen, auch die meisten abgewiesenen Fälle. „Es ist nach wie vor so, dass Insolvenzanträge häufig zu spät gestellt werden. Und zwar erst dann, wenn überhaupt keine liquiden Mittel mehr zur Verfügung stehen und nicht einmal mehr das Verfahren bei Gericht selbst finanziert werden kann. Das ist auch insofern dramatisch, weil dadurch weitaus mehr Arbeitsplätze verloren gehen, als eigentlich notwendig wäre“, so Götze. Was die Höhe der Passiva* der einzelnen Branchen betrifft, so liegen der Handel (305 Mio. Euro) und die Bauwirtschaft (197 Mio. Euro) auch hier vorne, während die Passiva* im Tourismus bzw. der Gastronomie mit 50 Mio. Euro deutlich geringer ausfallen.

Insolvenzen
Insolvenzstatistik 1. Halbjahr 2023 des KSV1870

Leiner/Kika-Insolvenz lässt Passiva* steigen

Parallel zu den aktuellen Fallzahlen haben sich auch die vorläufigen Passiva* erhöht – und zwar um 26 Prozent auf 1,04 Mrd. Euro. Geschuldet ist diese Entwicklung vor allem der aktuell größten Firmenpleite des Jahres, der Insolvenz rund um die Leiner & kika Möbelhandels GmbH, wo rund 132 Mio. Euro an Verbindlichkeiten zu Buche stehen. Ein Blick in die Bundesländer zeigt, dass insbesondere Tirol von einem massiven Anstieg der Passiva* betroffen ist. Dieser ist in erster Linie auf die bis dato zweitgrößte Pleite des Jahres, jene der „Pharmazeutische Fabrik Montavit Gesellschaft m.b.H.“ mit einem Volumen von 45,2 Mio. Euro, zurückzuführen. Den deutlichsten Rückgang verzeichnete das Burgenland, wo die Passiva* von 42 Mio. Euro auf 15 Mio. Euro gesunken sind.

Ausblick: Bis zu 5.300 Firmenpleiten möglich

Der KSV1870 geht aus heutiger Sicht davon aus, dass das Vorjahresergebnis von rund 4.800 Firmenpleiten jedenfalls übertroffen wird und am Jahresende 2023 deutlich über 5.000 Fälle zu Buche stehen werden. In welcher Dimension das Endergebnis ausfallen wird, lässt sich aufgrund der vergangenen Wochen schwierig prognostizieren, zumal das Insolvenzgeschehen zuletzt als durchaus volatil zu bezeichnen ist. Während die Zahl der Pleiten im ersten Quartal des Jahres konsequent gestiegen ist, ist diese in den vergangenen Wochen etwas abgeflacht. Aktuell gilt es auch abzuwarten, welche Auswirkungen unter anderem die Ausbezahlung des „Urlaubsgeldes“ auf finanziell angeschlagene Unternehmen, und damit auch auf das derzeitige Insolvenzgeschehen, hat. Denn wie die Vergangenheit schon öfters gezeigt hat, bringt die Ausbezahlung von Urlaubs- bzw. Weihnachtsgeld jene Betriebe, die sich bereits in Schieflage befinden, zunehmend in die Bredouille. Insgesamt bleibt aus Sicht des KSV1870 festzuhalten, dass die aktuelle Zahl der Firmenpleiten mit Blickrichtung Jahresende auf rund 5.300 Fälle zusteuert. Gegenüber Vorkrisenzeiten wären das etwa 300 insolvente Betriebe mehr. „Was im ersten Moment nach einer Menge klingt, ist in der Realität weit weg von einer Insolvenzwelle. Es handelt sich dabei vorwiegend um Nachholeffekte aus Krisenzeiten, die wir auch in den kommenden Jahren wohl erleben werden“, so Götze. 

Umdenken bei vorhandenen Assets nötig

Aufgrund dieser Entwicklung plädiert der KSV1870 dafür, darüber nachzudenken, ob in Zukunft auch bis dato mangels Kostendeckung abgewiesene Fälle eröffnet werden sollen. Denn es kommt nicht selten vor, verwertbare Assets zu finden, die zugunsten der Gläubiger ausgelegt werden könnten. „Es muss verhindert werden, dass finanziell gesunde Unternehmen aufgrund eines insolventen Geschäftspartners selbst ins Straucheln geraten. Dazu zählt unserer Meinung auch, etwaige Assets der nichteröffneten Fälle genau unter die Lupe zu nehmen. Passiert das nicht, verlieren die Betriebe noch mehr Geld als das ohnehin schon der Fall ist“, so MMag. Karl-Heinz Götze, MBA, Leiter KSV1870 Insolvenz. 

Privatkonkurse

Die finanzielle Situation vieler Menschen in Österreich gestaltet sich auch im ersten Halbjahr 2023 schwierig. Die Kosten für Lebensmittel, Miete und Strom sind nach wie vor auf einem hohen Niveau und bereiten der Bevölkerung Probleme. Trotz dieser herausfordernden Situation ist die Zahl der eröffneten Schuldenregulierungsverfahren in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres nur im überschaubaren Ausmaß gestiegen – und zwar um 3,1 Prozent auf 4.456 Fälle. Das entspricht rund 25 Privatkonkursen pro Tag. „Auch wenn der aktuelle Anstieg im Rahmen ist, braucht es zielgerichtete Lösungen, um die Menschen in Österreich nachhaltig zu entlasten. Vor allem für jene Menschen, die bereits vor der Teuerungswelle Probleme hatten, finanziell über die Runden zu kommen. Andernfalls wird die Rechnung nicht mehr allzu lange aufgehen und die Zahl der Privatkonkurse deutlich steigen“, erklärt MMag. Karl-Heinz Götze, MBA, Leiter KSV1870 Insolvenz. Zum Vergleich: Im Jahr 2019, und damit vor der Corona-Krise und den massiven Preissteigerungen, wurden bis zum Halbjahr knapp 5.000 Privatkonkurse eröffnet.

Die geschätzten Verbindlichkeiten zeigen weiterhin nach unten. Nachdem die Passiva* bereits im ersten Quartal 2023 geringer ausfielen als im Vorjahr, hat sich diese Entwicklung zuletzt bestätigt. Aktuell stehen österreichweit 419 Mio. Euro zu Buche – im Vergleich zum Halbjahr 2022 sind das um 12,7 Prozent weniger. Daraus entsteht eine durchschnittliche Schuldenhöhe von etwa 94.000 Euro pro Schuldner – zuletzt waren es noch 111.000 Euro, die im Schnitt einer Regulierung zugeführt werden mussten. Ähnlich wie bei den Fallzahlen selbst, gestalten sich die Bundesländerergebnisse auch in Bezug auf die Passiva*. Während Oberösterreich (+ 23,5 %) den größten Zuwachs vermeldet, gibt es in der Steiermark um fast die Hälfte (- 43 %) weniger Fälle.

Aus heutiger Sicht ist damit zu rechnen, dass sich an den hohen Kosten nicht allzu schnell spürbar etwas ändern wird, sodass den Menschen in Österreich wieder mehr finanzieller Spielraum zur Verfügung steht. Insofern geht der KSV1870 davon aus, dass die Zahl der eröffneten Schuldenregulierungsverfahren von Privatpersonen im Jahresverlauf weiter steigen wird. Mit Blickrichtung Jahresende sind daher rund 9.200 private Pleiten als durchaus realistisch anzusehen. Damit würden gegenüber dem Vorjahr um etwa 1.000 Fälle mehr in der Insolvenzstatistik aufscheinen. Das Vorkrisenniveau aus dem Jahr 2019 mit rund 9.500 Schuldenregulierungsverfahren wäre damit weiterhin nicht erreicht.

*) Die Passiva für das Jahr 1. Halbjahr 2023 sind vorläufige Werte und beziehen sich auf den Stichtag der Hochrechnung, den 15.06.2023. Im Zuge der fortlaufenden Insolvenzverfahren werden sich diese Passiva noch verändern.