Europa geht in den Lockdown

29.10.2020

Von: Thomas Askan Vierich
Rund um uns herum muss die Gastronomie entweder völlig schließen oder hat mit einem Ausgehverbot zu kämpfen. Es ist abzusehen, dass das bei uns auch kommt. Die Frage ist nur noch wann

Schweiz

Unser westlicher Nachbar hat nach stark gestiegenen Corona-Infektionszahlen neue Beschränkungen für das öffentliche und soziale Leben verhängt. Bars und Restaurants müssen abends um 23 Uhr schließen, Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen sowie sportliche und kulturelle Freizeitaktivitäten mit mehr als 15 Personen sind untersagt, wie der Bundesrat in Bern am Mittwoch erklärte. Tanzlokale werden völlig geschlossen, die Maskenpflicht wird ausgedehnt.

Tschechien

Seit der Nacht auf Mittwoch gilt in Tschechien erstmals eine nächtliche Ausgangssperre. Die Menschen dürfen zwischen 21 und 4.59 Uhr ihre Häuser nicht verlassen. Damit will die Regierung private Treffen verhindern. Ausnahmen gibt es unter anderem für das Gassigehen mit dem Hund in einem Umkreis von 500 Metern um den Wohnort. In der Hauptstadt Prag wird der öffentliche Nahverkehr entsprechend eingeschränkt.

Slowakei

Die Slowakei verlängerte die landesweiten Ausgangsbeschränkungen bis zum 8. November. Die Menschen dürfen nur für notwendige Besorgungen außer Haus. Das Kabinett beschloss zudem: Wer einen negativen Corona-Test vorweisen kann, darf sich vom 2. November an wieder frei im ganzen Land bewegen. Denn am Wochenende beginnen die landesweiten Massentests aller Personen zwischen zehn und 65 Jahren.

Bulgarien

Der bulgarische Gesundheitsminister Kostadin Angelow teilte mit, ab Donnerstag müssten die Innenräume von Nachtlokalen für zwei Wochen schließen. Sportevents dürfen nun nur noch ohne Publikum stattfinden, Gymnasien und Universitäten müssen auf Fernunterricht umschalten. An Konferenzen und Ausstellungen dürfen maximal 30 Personen teilnehmen. Theater, Kinos und Restaurants können mit verminderter Kapazität geöffnet bleiben.

Frankreich

Angesichts steigender Fallzahlen kehrt Frankreich zu einem Lockdown zurück. Präsident Emmanuel Macron kündigte am Mittwoch in einer Rede an die Nation neue Einschränkungen ab Freitag an. Allgemein müssen die Menschen zu Hause bleiben, außer um notwendige Einkäufe zu tätigen oder zum Arztbesuch. Wenn irgendwie möglich soll auch von zu Hause gearbeitet werden. So sollen die Schulen geöffnet bleiben. Bars und Restaurants müssen jedoch schließen. Die Maßnahmen sind zunächst bis zum 1. Dezember befristet.

Italien

In Italien gehen die Demonstrationen gegen die seit Anfang der Woche verschärften Corona-Schutzmaßnahmen weiter. Am Mittwoch demonstrierten Unternehmer und Beschäftigte aus Restaurants, Bars und anderen Lokalen in vielen Städten des Landes, darunter Mailand, Triest, Florenz und Neapel. Die Regierung will mit einem schnellen Nothilfe-Paket von mehr als fünf Milliarden Euro die Folgen der jüngsten Beschränkungen abfedern. Seit Montag müssen alle Lokale um 18 Uhr für Gäste schließen. Kinos, Theater, Fitnessstudios, Bäder, Skiresorts und Konzerthallen dürfen nicht mehr öffnen. Der Gastronomen-Verband FIR rechnet wegen der neuen strengen Schutzmaßnahmen mit einem zusätzlichen Umsatzrückgang für Lokale um 70 Prozent. Zwei Millionen Arbeitnehmer würden um ihre Jobs bangen, 250.000 Familien seien durch die Maßnahmen gefährdet, warnte der Branchenverband Fipe Confcommercio.

Die Branche habe in diesem Jahr bereits 34 Mrd. Euro verloren, so der Fipe-Verband. Wegen der Krise und der vielen Arbeitnehmer im Home-Office würden die Italiener um 40 Prozent weniger für Speisen außer Haus ausgeben als 2019.

Spanien

Im von der Pandemie schwer betroffenen Spanien stimmt das Parlament an diesem Donnerstag über eine umstrittene Verlängerung des Notstandes gleich um sechs Monate ab. Die linke Minderheitsregierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez muss befürchten, dass ihr Antrag zurückgewiesen wird. Gegen die lange Verlängerung bis zum 9. Mai sprachen sich neben der konservativen Opposition Regionalparteien und Unternehmerverbände aus. Oppositionsführer Pablo Casado schlug eine Verlängerung bis Mitte Dezember vor, um "das Weihnachtsgeschäft zu retten". Sánchez hatte den Alarmzustand, die dritthöchste Notstandsstufe, ausgerufen und fast im ganzen Land eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.

Deutschland

Bund und Länder haben am Mittwoch die einschneidensten Maßnahmen seit dem großen Lockdown im Frühjahr beschlossen. Ab Montag sollen unter anderem Hotels, Restaurants, Kinos und Theater für den gesamten Monat November schließen. In dieser Zeit dürfen sich auch nur wenige Menschen privat treffen. Kanzlerin Angela Merkel rief zu einer „nationalen Kraftanstrengung“ auf und betonte: „Wir müssen handeln, und zwar jetzt. Und zwar müssen wir handeln, um eine akute nationale Gesundheitsnotlage zu vermeiden.“ Schulen, Kitas und Geschäfte sollen aber anders als im Frühjahr offen bleiben.

Die Reaktionen in der Gastronomie und Hotellerie fielen entsprechend aus. Am Tag der Verkündung des Lockdowns hatten in Berlin noch Nachtgastronomen lautstark protestiert. „Viele Unternehmer der Hotellerie und Gastronomie schwanken zwischen Wut und Verzweiflung“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes Die Familienunternehmer, Albrecht von der Hagen, der Deutschen Presse-Agentur. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) warnte, Zehntausenden Unternehmen drohe ohne umfassende finanzielle Hilfen die Pleite. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) forderte die betroffenen Unternehmen zu rechtlichen Schritten auf. 

Hilfe ist aber angekündigt: Besonders stark von den neuen Regeln betroffene Firmen sollen große Teile ihres Umsatzausfalls vom Bund ersetzt bekommen. Nothilfen in Höhe von bis zu zehn Milliarden Euro sind dafür eingeplant

Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges warnte dennoch vor dem Aus für zahlreiche Betriebe. „Durch den zweiten Lockdown wird ein Drittel der 245 000 Betriebe den Winter nicht überstehen. Ohne umfassende Entschädigungshilfe droht ihnen die Pleite“, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Wirtschaftsauskunftei Crif Bürgel warnte ebenfalls vor einer Pleitewelle. Stand Ende Oktober seien mehr als 8300 Restaurants, Gaststätten, Imbisse und Cafés in Deutschland insolvenzgefährdet, heißt es in einer Analyse, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Das seien 14,5 Prozent der untersuchten Betriebe.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten forderte eine stärkere finanzielle Unterstützung der Beschäftigten, die jetzt in die Kurzarbeit müssen. „Die angekündigten Finanzhilfen von zehn Milliarden Euro für November sollte auch dafür genutzt werden, die Lohneinbußen der Beschäftigten auszugleichen, die in Kurzarbeit geschickt werden“, sagte der NGG-Vorsitzende Guido Zeitler den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der „Rheinischen Post“ sagte er: „Für viele Betriebe im Gastgewerbe kommt der neuerliche Lockdown ohne schnelle und massive Hilfe einem Todesstoß gleich.“

Gastronomie doch nicht sicher

Viele Gastronomen kritisieren die angekündigten Maßnahmen als unverhältnismäßig. Immer wieder sei betont worden, dass von Gastronomie und Hotellerie keine Ansteckungsgefahr ausgehe und dass gerade hier die strengsten Hygienemaßnahmen gelten. Bundeskanzlerin Merkel hatte solche Kritik in ihrer Pressekonferenz mit der Bemerkung vom Tisch gewischt, dass man mittlerweile bei 75% der Ansteckungen nicht mehr wisse, wo sie geschehen seien. Also können man auch die Gastronomie nicht ausschließen.