Food-Report

2024: Die wichtigsten Gastro-Trends

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19.12.2023

Hanni Rützler analysiert, wie sich Branche und Esskultur verändern. Wir haben uns die wichtigsten Trends genauer angesehen.
Gemüse

Jeder Einkauf ist auch ein politischer Akt. Wir aber, keine Angst, analysieren an dieser Stelle die wichtigsten Trends. Trends, die gastronomische Unternehmen beachten sollten, um zukunftsfit zu sein – oder zu bleiben. Prinzipiell optimistisch meint Hanni Rützler im Eingangsstatement ihres Foodreports 2024:„Die kulinarische Zukunft liegt in der Vielfalt. Und Vielfalt bedeutet – global gesehen – eine Vielfalt an regional angepassten, regenerativen Produktionsweisen, die auch gegenüber innovativen Technologien offen sind und damit ein breites Spektrum an alten, neuen sowie wieder zu entdeckenden Nahrungsmittelquellen generieren“. Nun aber zu den Trends.

 1. Plant-based Food, Vegourmets, Carneficionados und Real Omnivores

Plant-Based Food ist es in den vergangenen Jahren gelungen, sich als ernsthafer Trend zu etablieren. Dank neuer Technologien, u. a. 3-D-Druck, erfinden wir Pflanzen seit einigen Jahren neu. In verarbeiteter und neu texturierter Form begegnen sie uns als Imitation von Fleisch und Fisch (Vleisch und Visch). Inspiriert durch innovative Start-ups sprechen auch große Unternehmen der Lebensmittelherstellung sowie des Handels die Konsumenten hier gezielt an. Zwei Faktoren beflügeln diesen Trend: Diese Ersatzprodukte, erstens, werden immer besser. Wobei es durch neue Produktionstechnologien gelingt, die Summe der Zusatzstoffe – eine oft zu Recht eingebrachte Kritik – drastisch zu reduzieren. Weiters spielt ein vor allem bei den jüngeren Generationen zu konstatierender allgemeiner Wandel ethischer Werte diesem Trend in die Karten. 
Der Gegentrend: Carneficionados, salopp übersetzt Fleischfreaks. Gourmets und Köche setzen – Stichwort: „Dry Aged“, Fleisch von „alten Tieren“ – auf ausgefallenere, seltene  Fleischqualitäten. Grundlage bilden Viehzüchter, die ihr Angebot mit Rückbesinnung auf alte, seltene Rassen oder exotische Tiere diversifizieren. Beispiele: Yaks, Bisons, Wagyu- und Angus-Rinder. Carneficionados und Vegourmets meiden aus Prinzip „normales“ Fleisch aus standardisierter, industrieller Produktion, aber auch Plant-based Food. 
Dem tragen u.a Gourmet Restaurants Rechnung, denen keine veganen Ersatzprodukte auf den Teller kommen. Ein Beispiel: Das Tian in Wien, wo Paul Ivic eine aufwändige Gemüseküche zelebriert. Motto: „Wir glauben an das Gute, doch wir kämpfen für das Beste.“ 
Letztere Kategorie sind die aufgeschlossenen, die neugierigen Esser, die echten Allesesser, in der Zielgruppe Real Omnivores erfasst. 

 2. Facetten der Regionalität: Lokal, glokal, brutal und exotisch

„Regional schlägt Bio“, lautet nicht nur einer der markanten Slogans der jüngeren Vergangenheit. Eingeflogene, plastikverpackte Bio-Kiwis widersprechen den Prinzipien bewusster Konsumenten. Die Regionalisierung hat bereits eine langjährige Zuspitzung und Ausdifferenzierung erfahren – von einer „brutal lokalen“ Ausrichtung der Avantgarde-Gastronomie bis hin zur Züchtung bzw. zum lokalen Anbau von exotischen Tieren und Pflanzen in einem stark beschränken Umkreis (Local Exotics).

Angeschoben durch Marketingpraktiken von Handel und Tourismuswirtschaft, entwickelte sich der Local-Food-Trend rasch in Richtung Mainstream. Das PR-fokussierte, oft eindimensionale Regional-Branding, verwässert jedoch die ursprünglichen Trendkriterien. Damit löste es eine
Neuinterpretation der Attribute aus, „New Local“ genannt. Durch die von René Redzepi und Claus Meyer initiierte New Nordic Cuisine erfuhr dieser Trend eine weitere Zuspitzung. „Brutal Lokal“ wiederum geht auf Billy Wagner zurück, der aus seinem Berliner Restaurant Nobelhart & Schmutzig sogar Zitronen und Olivenöl verbannte. 

3. Female Connoisseurs: Frauen an die Macht

Dass die meisten Kaufentscheidungen von Frauen getroffen werden, ist bekannt. Noch sind die meisten Spitzenköche sind männlich – Rolling Pin wählte gerade einmal drei Frauen unter die „100 Best Chefs“ –, doch auch das ändert sich langsam, aber stetig. Bei Start-ups etwa stehen immer mehr Frauen im Fokus. Die einflussreiche Foodblogger-Szene wird, wie die Diätologie sowieso von Frauen dominiert. Auch die österreichische Weinszene dient hierfür als illustratives Beispiel: Die erfolgreichen Winzerinnen werden stetig mehr. Und Dorli Muhr etwa keltert im Carnuntum nicht nur einige der besten Weine des Landes, ihre fast ausschließlich weiblich besetzte Beratungs- und Eventagentur Wine+Partners ist seit vielen Jahren ein erfolgreicher nationaler und internationaler Player. 

Ebenfalls belegt: Frauen stellen häufiger und deutlicher als Männer soziale und ökologische Kriterien in den Mittelpunkt ihrer Arbeit und verändern damit die Unternehmenskultur. Ein Beispiel: Parvin Razavi, die Gault&Millau-Österreich-Newcomerin des Jahres 2023, verbindet im Wiener Hotel-Restaurant &flora (undflora.at) orientalische mit europäischen Traditionen. Im Business versucht sie mit einer Vier-Tage-Woche und drei freien Tagen am Stück organisatorisch neue Wege zu gehen. 

Food Report
Food Report 2024. Autoren: Hanni Rützler & Wolfgang Reiter; Herausgeber: Zukunftsinstitut

 4. Von Re-use Food über Zero Waste bis Circular Food

Mehr als ein Drittel der produzierten Lebensmittel in Österreich und Deutschland werden immer noch verschwendet bzw. vernichtet. In absoluten Zahlen sind die nicht benutzen Lebensmittelabfälle sogar gestiegen. Das EU-Ziel, diese Menge bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren, sei ohne schärfere gesetzliche Regulierungen kaum zu erreichen, warnen Umweltverbände. 
Die Corona-Pandemie zusammen mit den durch den Krieg ausgelösten Lieferprobleme sowie die steigende Inflation haben das Problem dringlicher gemacht. Dennoch führen Preissteigerungen bei Lebensmitteln wieder dazu, dass vor allem einkommensschwächere Haushalte den Fokus verstärkt auf die Preise richten, selbst wenn ihnen Nachhaltigkeit wichtig ist. 

Ausgehend von den USA haben sich 2019 einige der weltgrößten Lebensmittelhändler der sogenannten 10 x 20 x 30-Initiative (champions123.org) angeschlossen. Ihr ehrgeiziges Ziel: Halbierung der Lebensmittelverluste bis 2030. Als Vorreiter hier gilt die Ingka-Gruppe. Ende 2022 der größte IKEA-Einzelhändler, dass der schwedische Möbelgigant schon jetzt die Lebensmittelverschwendung in seinen Restaurants in 32 Märkten um 54 Prozent reduziert hat. 

Re-Use ist eine weitere Strategie gegen Verschwendung. Kleines Beispiel: Das Unternehmen ZestUp verwendet nicht verwertete Zitrusschalen aus Saftpressen als Basis für sein neues Erfrischungsgetränk. So wird Upcycling betrieben und gleichzeitig ein neues Produkt lanciert. Die Bitterstoff der Schale verbinden sich hier mit der natürlichen Süße verbindet. Das Getränk kommt ohne Aromastoffe aus. 

 5. Klimatarier oder: Heal the Word?

Nicht mehr die Frage, was wir auf den Tellern haben, sondern auf welche Weise wir Lebensmittel produzieren, steht im Zentrum dieses Trends. Der zukunftsweisende Begriff, seit laut N.Y-Times Autorin Kim Severson „Regenivore“. In Zukunft gehe es nicht mehr bloß darum, sich nachhaltig zu ernähren, regenerativ solle es vielmehr sein, sprich: mit Lebensmitteln, „dem Planeten heilen“.
Das klingt, abschließend bemerkt dann doch ein wenig nach Religion. Vielleicht täte uns ein entspannterer Umgang mit Ernährungsgewohnheiten gut. Oder wie Hanni Rützler anfangs meinte: „Die Zukunft liegt in der Vielfalt.“