Künstliche Intelligenz

Der intelligente Betrieb

Künstliche Intelligenz
24.02.2022

Künstliche Intelligenz als Problemlöserin im ­Unternehmen: Wie das in der Hospitality-Branche funktioniert und wie man so dem Arbeitskräftemangel die Giftzähne ziehen kann.
Schematische Darstellung eines menschlichen Schädels mit vernetzten Leitungen.
Schematische Darstellung eines menschlichen Schädels mit vernetzten Leitungen.

Im Jahr 2013 stellten die beiden Oxford-Ökonomen Carl Benedikt Frey und Michael Osborne eine Prognose auf: Roboter und Computer werden in den nächsten 20 Jahren in den USA jeden zweiten Arbeitsplatz übernehmen.

Die Basis für diese damals kühn anmutende Behauptung bildete ihre Studie „The Future of Employ­ment“, die nicht nur für Aufsehen und Kopfschütteln sorgte, sondern klarerweise auch für Ängste – vor allem bei Arbeitnehmern. Und das verwundert nicht, auf den ersten Blick geht es nicht nur um (reale) Arbeitsplätze, sondern um Wohlstand und sozialen Frieden.

Knapp zehn Jahre später haben sich die Vorzeichen geändert. Der Kampf gegen ein Virus bestimmt unser Leben. Der soziale Zusammenhalt ist brüchiger denn je, Unternehmen und Politik digitalisieren auf Teufel komm’ raus, Computer halten seit Beginn der Pandemie unsere Wirtschaft mehr denn je am Laufen. Und es gibt einen massiven Arbeitskräftemangel, nicht nur in der Tourismuswirtschaft. Würde die Studie der beiden Oxford-Ökonomen heute auch noch derart hohe Wellen schlagen? 

Mehr Jobs, weniger Jobs

Beim letzten World Economic Forum in Davos im September verkündeten Experten, dass KI-Systeme (Künstliche Intelligenz) für mehr Arbeitsplätze sorgen werden. Ja, sie werden allerdings auch Jobs kosten. Weltweit ist mittlerweile Künstliche Intelligenz im Alltag im Einsatz, und die Investitionen werden tendenziell weiter steigen.

Chatbots kennen wir alle, autonom fahrende Kraftfahrzeuge ebenfalls. Aber wie kann KI ein Unternehmen im Alltag unterstützen? 

Infografik: KI kurbelt Produktivität an

So hat das Hofbräuhaus den Betrieb optimiert

3.500 vorwiegend durstige, aber auch hungrige Gäste kann das Hofbräuhaus in der Münchner Altstadt am Platzl gleichzeitig bewirten, an einem sehr guten Tag kommen an diesem Touristenhotspot schon einmal 30.000 Besucherinnen und Besucher zusammen. Tausende Gerichte gehen pro Tag über die Theke. Das muss man als Betrieb logistisch und personell erst einmal stemmen. Mehr als 3.500 Stammgäste und über 100 Stammtische als Sahnehäubchen obendrauf – das riecht sehr nach einem Betrieb am Limit. 

„Das Hofbräuhaus hat eine Transformation von der Überlastung in die Entlastung vollzogen“, sagt Thomas Mertens, Geschäftsführer von S.A:M Strategy Consultants aus Deutschland. Sein Unternehmen hat das Hofbräuhaus in einem Change-Prozess begleitet, der von Grund auf alles verändert hat – vor allem die Wirtschaftlichkeit.

Ein Betrieb wie das Hofbräuhaus steht vor der Herausforderung, schnell einmal an sein Limit zu kommen. Intuitive, emotionale Entscheidungen von gutem, aber auch weniger gutem Personal sowie gutem und weniger gutem Equipment in einem Betrieb spielen beim Betriebserfolg eine entscheidende Rolle. Das ist nicht nur in der Hospitality-Branche so. Und diese Melange an Faktoren führt mitunter zu Stress. Zu sehr großem Stress. Wer dazu ausgebildet wurde, den Gast glücklich zu machen, steht unter einem enormen Druck, wenn er an dieser Aufgabe scheitert, weil ihn andere Aufgaben dabei hemmen. „Parallel dazu haben wir festgestellt, dass die Attributeverwaltung in den letzten 20 Jahren extrem gestiegen ist. Sprich: Den Unternehmer kostet es 30 bis 40 Prozent seiner Manpower, um sich um Dinge zu kümmern, die nicht direkt mit dem Gast zu tun haben“, weiß Mertens. Tendenz: steigend.

Im Fall des Hofbräuhauses sieht das Grundkonzept nun folgendermaßen aus: „Es gibt zwei Plattformen: Die Profis, die in den Produktionsanlagen handwerklich arbeiten. Diese sind dazu ausgebildet, Industrieprozesse maximal zu nutzen. Und die Machenden, die keine Attribute mehr verwalten müssen. Die machen das Mise en Place oder stellen den Lebensmittelbaukasten zur gewünschten Zeit am gewünschten Ort zusammen“, sagt der Berater. 

Thomas Mertens von S.A:M Strategy Consultants
 

Thomas Mertens von S.A:M Strategy Consultants: „Wer dazu ausgebildet wurde, Gäste glücklich zu machen, steht unter einem enormen Druck, wenn er an dieser Aufgabe scheitert.“

Ein Drittel weniger Köche

Das Hofbräuhaus schafft es heute, den Aufwand mit einem Drittel weniger Köche zu stemmen. Es gibt eine externe Produktionsküche in der Nähe von München. Eine der Hauptrollen spielt dabei Künstliche Intelligenz. Zwar wird der Großteil der Speisen noch im Hofbräuhaus gekocht. Um die Speisenfertigung aber effizienter zu gestalten, kommen vorportionierte Produkte von der externen Meisterköche-Produktionsküche. Dort arbeiten zufriedenere Profis in familienfreundlichen 9-to-5-Jobs. Willkommen in der Welt der Work-Life-Balance! 

In der Hofbräuhaus-Küche selbst werden hingegen hauptsächlich ungelernte Kräfte eingesetzt. Doch wie kann das funktionieren und wie sieht die Leistung der KI im Detail aus?

Blick in die Zukunft

Die Prozessebenen, die nachvollziehbar und transparent sind, zeigen sofort Fehler an den entsprechenden Stellen auf. Und sie können in die Zukunft blicken: „Der Gastronom oder Hotelier hat das Problem, dass er eine Tonne Ware, die er an den Gast bringen möchte, bis zu achtmal bewegen muss“, so die Analyse von Thomas Mertens. Die KI kann diese Prozesse effizienter gestalten und den Aufwand reduzieren und automatisieren. Der manuelle Aufwand sinkt damit, es sind bis zu 70 Prozent weniger Manpower erforderlich. Diese Prozessketten könne man durch alle Abteilungen ziehen. 

Das handwerklich produzierte Lebensmittel wird über eine Küchensteuerung (z. B. am Tablet oder Handy) intuitiv zusammengebaut – von den Machenden, also jenen ohne fachliche Qualifikation. 

Der Mitarbeiter, der vorher in der Spülküche gearbeitet hat und dem selten bis niemals Wertschätzung entgegengeschlagen ist, steht jetzt nach einer Einschulung auf einem Küchenposten und finalisiert Gerichte – was einem Upgrade gleichkommt. 

Eiskalt und emotionslos

Die KI kann aber noch mehr, sie lernt aus Daten der Vergangenheit, wie etwa der Gästeanzahl an bestimmten Wochentagen und dem Umsatz, und kombiniert dies etwa mit Wettervorhersagen, Veranstaltungen, Buchungen oder Ankunftsdaten des Flughafens. Sie lässt sich jedenfalls nicht von Emotionen steuern. Im Fall des Hofbräuhauses kann die Gästefrequenz mit einer  bis zu 95-prozentigen Genauigkeit vorhergesagt werden – und das drei Tage im Voraus. Es macht schließlich einen Unterschied, ob Bayern München ein Heimspiel hat, ob gerade viele Urlaubsflieger aus Asien kommen oder ob ein Unwetter im Anmarsch ist – auch was die Anzahl und die Art der Speisen angeht. Diese Vorhersagen erleichtern klarerweise ebenfalls die Dienstplanung. 
„Nach zwölf Monaten ist die KI mit bis zu 95-prozentiger Treffsicherheit besser als der Mensch, was Vorhersagen angeht“, sagt Mertens. Emotionen (positive) sollten also nur noch an den Gast gebracht werden, alles was im Back-End passiert, wird analytisch angegangen, und da ist die KI unschlagbar. Denn die Vorhersagen der KI basieren auf bis zu 400 verschiedenen Faktoren. Der Küchenchef weiß nicht, wie es um Buchungen in der Stadt bestellt ist oder ob viele Touristenbusse anrollen. Die KI  hingegen schöpft aus einem riesigen Datensee, der für uns Menschen viel zu komplex ist. 

Servierroboter BellaBot
Servier-Roboter kennen wir. Schon bald aber sollen Roboter dank KI auch anrichten, kochen und neue Rezepte entwickeln. Im Bild: Servierroboter BellaBot.

Spül’ doch woanders

Auch im Bereich des Spülens konnte im Hofbräuhaus ein effizienter Hebel angesetzt werden: Diese ressourcen- und kostenraubende Tätigkeit wird nicht mehr vor Ort, in der Spülküche, erledigt, sondern in einer Zentrale, die sich woanders befindet. Das schmutzige Geschirr wird abgeholt, das saubere gebracht. Das reduziere so nebenbei auch den Geschirrbruch um etwa 80 Prozent, so der Experte. 

Das schmutzige (Koch-)Geschirr wird im Betrieb nur noch gesammelt und abgeholt. Ein weiterer Vorteil: Man benötigt im Betrieb keine Spülküche mehr, lediglich eine Sortierstation, die von verschiedenen Bereichen bedient werden kann, etwa vom Service oder der Küche. Dadurch gibt es auch keine Leerlaufzeiten mehr. Bei einem 16-Stunden-Tagesbetrieb gibt es in der Spülküche einen Peak von etwa fünf bis sechs Stunden. Es fallen damit auch sämtliche technischen Aspekte von der streikenden Maschine bis zur Enthärtungsanlage weg. 

Und wie läuft es in einem „normalen“ Betrieb? „Wir stellen die nicht vorhandene Qualifikation unserer Mitarbeiter mit einer hochkomplexen Technik zusammen und wundern uns, warum wir nicht weiterkommen und wirtschaftlicher werden“, analysiert Mertens das Potenzial, das in einer Inhouse-Spüle oftmals liegengelassen wird. Und da reden wir neben dem Investment noch gar nicht vom Platz, der benötigt wird. Es geht auch anders: In der Spülzentrale wird Geschirr wie in einem Industriebetrieb konstant und mit technischer Betreuung in Großspülmaschinen gewaschen – systematisch geordnet, etwa nach Geschirrgruppen. So erhält man eine maximale Wiederholbarkeit der Spülqualität. Es gibt keine Leerlaufzeiten, die Mitarbeiter haben fixe, gut planbare Dienstzeiten. Und der Unternehmer weiß, dass ihn die saubere Gabel und das Messer 6 Cent kostet. Transparenz total, die sonst niemand hat.

Klein, aber oho

Lohnt sich Automatisierung und der Einsatz von KI auch für kleinere Betriebe? „Auf jeden Fall“, sagt Mertens.
Die kleinsten Kunden, die sein Unternehmen betreut, haben einen Ausstoß von 50 Essen pro Tag, darunter finden sich vom Ausflugsgasthof über das Hotel und die Berghütte bis hin zu Autobahnraststätten praktisch alle Betriebsarten. Es gehe weniger um die Größe, sondern darum, was man mit seinem Betrieb erreichen wolle, sagt Mertens und ob ein transparentes Betriebssystem, das für Mitarbeiter und Inhaber ebenso Vorteile bringt, gewünscht ist. 

Hand aufs Herz: Wer könnte das nicht ernsthaft wollen?

KI in der Spitzengastronomie

Sony hat vor gut einem Jahr ein spannendes Projekt gestartet. Der japanische Elektronikkonzern will eine KI-gestützte Rezepterstellungs-App sowie einen Chefkoch-Assistenzkochroboter entwickeln. Kann das funktionieren? Die Entwicklung von Rezepten ist ja ein komplexer Prozess, es gibt praktisch unendliche Kombinationsmöglichkeiten sowie zusätzliche Faktoren wie Standort, Klima, Jahreszeit und Ernährungspräferenzen, die mit einfließen. Hier könnte die Technik allerdings sehr gut helfen, denn die Sony-AI-Rezept-App soll künftig eine Vielzahl von Datenquellen nutzen und Faktoren wie Geschmack, Aroma, Molekularstruktur, Nährstoffe etc. nutzen. 
Die Entwicklung eines Chefkoch-Assistenz-Kochroboters soll sich auch für den Einsatz in der Spitzengastronomie eignen. 

Wie KI Unternehmensbewertungen beeinflusst

Mehrere Unternehmer in einer Region könnten sich zusammentun und eine gemeinsame, externe Produktionsküche aufziehen und über ein Logistiklager auf die Betriebe verteilen. Wer seinen Betrieb dahingehend fit macht, bekommt auch eine bessere Unternehmensbewertung – was sich auf einen möglichen Verkaufspreis bei einer Übergabe oder einem Ruhestand positiv auswirkt. Denn das Risiko für den Käufer ist gering, schließlich übergibt man einen völlig transparenten Betrieb, in dem alles hinterlegt und nachvollziehbar ist. Für eine ehrliche Kalkulation ist Transparenz das Um und Auf. 

Das Hofbräuhaus in München hat die Transformation hin zu einem transparenten Betrieb vollzogen. Heute kann der Betreiber mit weniger Küchenpersonal und bei gleichbleibender Qualität noch wirtschaftlicher sein. Das KI-System des Hofbräuhauses wird mit Vergangenheit (Anzahl der Gäste, Umsatz) und Zukunft (Wettervorhersage, Veranstaltungen, Ankunftsdaten) gefüttert. Das Ergebnis: eine Vorhersage der einzelnen Gerichte mit 95%iger Genauigkeit – und das drei Tage im Voraus. In Österreich gibt es ebenfalls bereits Ortschaften bzw. Regionen, in denen sich Hospitality-Unternehmen zusammentun, um gemeinsam dem Fachkräftemangel intelligent entgegenzuwirken.