"Produkte aus Österreich sind nicht automatisch besser"

Interview
23.07.2020

Von: Daniel Nutz
Wird künstliche Intelligenz künftig ganz automatisch die Warenbestellung erledigen? Wir haben mit dem Handelsexperten Prof. Peter Schnedlitz über seine Einschätzung gebeten. Weitere Themen: Warum Regionalität nicht durch Landesgrenzen definiert sein sollte, und warum wir uns heute kaum mehr etwas von den USA abschauen können.  
Kommt das Schnitzel aus Österreich? Regionalität wird oft über Landesgrenzen definiert.
Kommt das Schnitzel aus Österreich? Regionalität wird oft über Landesgrenzen definiert.
Prof. Peter Schnedlitz ist Österreichs bedeutendster Handelsforscher. Er war Vorstand des Instituts für Handel & Marketing (H&M) an der Wirtschaftsuniversität Wien und erforschte über Jahrzehnte Trends im Lebensmittelhandel.

Produkte aus Österreich sind nicht automatisch besser

Wird künstliche Intelligenz künftig ganz automatisch die Warenbestellung erledigen? Wir haben mit dem Handelsexperten Prof. Peter Schnedlitz über seine Einschätzung gebeten. Weitere Themen: Warum Regionalität nicht durch Landesgrenzen definiert sein sollte, und warum wir uns heute kaum mehr etwas von den USA abschauen können.  

Digitalisierungspropheten meinen, der Gastro-Großhandel wird künftig fast ausschließlich über digitale Plattformen und via Zustellung funktionieren. Was spricht eigentlich noch für den stationären C&C-Markt?

Die Gastronomie ist insgesamt eine erlebnisorientierte Branche. Das Routinegeschäft wird sich tatsächlich immer mehr auf digitale Plattformen verlagern. Die zukunftsfähige Gastronomie überrascht die Kunden jeden Tag aufs Neue. Gewohnheiten sitzen zwar tief, Ideen für die Abwechslung entstehen aber im stationären C&C Markt. Der Gastro-Marktführer Transgourmet liefert dafür immer wieder hervorragende Beispiele. Die Metro hat mehr den Fokus Abholkunden.

Andererseits bieten digitale Lösungen viele Effizienzvorteile. Ein Beispiel: Das Kassenabrechnungssystem funkt über M2M-Kommunikation mit dem Lager und dort wird automatisch eine Bestellung beim Großhändler ausgegeben. Wird diese Vorstellung der vollautomatischen Bestellung in der Gastronomie bald Zukunft sein?

Vor zwanzig Jahren war das Geschäftsmodell der Gastronomie spontan und situativ ausgerichtet. Um sechs Uhr früh hat man beim Besuch im C&C Markt entschieden, welches Menü an diesem Tag auf die Speisekarte kommt. Wenn das Bauchgefühl versagt hat, war das betriebswirtschaftliche Resultat traurig. Die M2M-Kommunikation bringt mehr Transparenz und bessere Planungsprozesse.

Kann man sich Ihrer Meinung nach als Digitaliserungsverweigerer positionieren und so Kunden gewinnen?

Ich würde davor warnen, sich als Digitalisierungsverweigerer zu positionieren. Die neue Form der Regionalität und Authentizität geht oft mit Digitalisierung einher. Lebensmittel sind leicht verderblich. Zu viel Abfall wäre ein fatales Signal. Man sollte das Ganze unaufgeregt und mit Hausverstand angehen. Nicht jeder digitale Hokuspokus bringt einen Nutzen. In der Gastronomie sollte man Appetit schaffen. Ein „kalter Bildschirm“ ist dazu nicht in der Lage.

Sie waren mit dem Metro-Gründer Otto Beisheim bekannt. Dieser hat die Idee des C&C-Marktes aus den USA nach Deutschland und dann nach ganz Europa importiert. Gibt es derzeit etwas, was sich der Gastro-Großhandel von den USA abschauen kann?

Die USA sind ein sehr großflächiges Land. Ohne mehrstufigen Großhandel lässt sich dort hochwertige Gastronomie nicht organisieren. Gutes Essen ist deshalb teuer. Die Systemgastronomie ist dagegen als Verkaufsmaschine konzipiert, die billige Angebote für „Normalsterbliche“ liefert. Heute sehe ich keine große Vorbildfunktion. Da fällt mir höchstens das Convenience-Sortiment ein, das in den USA besonders stark ausgeprägt ist. Organic (also Bio) ist nicht wirklich bedeutend. Mit der Übernahme von Whole Foods durch Amazon ist allerding eine neue Dynamik entstanden.

Stichwort: Bio, Tierwohl und Regionalität. Was ist Ihre Erklärung dafür, dass der Anteil im Gastrogroßhandel deutlich unter dem des LEH liegt?

Im Großhandel lässt sich ein Markenmanko feststellen. Aus meiner Sicht besteht ein dringender Aufholbedarf. Man hat in den letzten Jahren gesehen, was stringente Markenführung, z.B. bei „Ja! Natürlich“ oder „SPAR Natur pur“, bewirken kann.

Auch von der österreichischen Politik wird das Thema Regionalität sehr forciert. Aber mal ehrlich, ist in einem vereinten Europa es nicht ökologischer, wenn Wien die Agrarprodukte aus der Slowakei oder Tschechien importiert und nicht aus Tirol oder wenn Salzburger Händler die Produkte aus Bayern anbieten?

Ich gebe Ihnen recht. Chauvinismus bringt uns nicht weiter. Produkte aus Österreich sind nicht automatisch besser. Die Italiener und die Franzosen verstehen auch etwas von guter Gastronomie. Die Corona Pandemie hat unschöne Irreführung zutage gebracht. Ich bin sehr froh, dass es in Österreich das AMA Gütesiegel gibt. Das löst nicht alle Probleme, eine gewisse Sicherheit besteht aber doch.

Viele Gastro-Betriebe, die auf hochwertige Lebensmittel setzen, beziehen direkt und nicht über den Großhandel. Wie könnte der Großhandel in diesem Bereich attraktiver werden?

In der Gastronomie besteht oft eine Korrelation zwischen Qualität und geringer Menge. Hier sehe ich eine große Chance für digitale Kooperationen. Die Mindestbestellmenge kann bei gleichem Preis nach unten rutschen. Diese Kleinteiligkeit gibt dem Großhandel die Chance, eine Art von Sortiments-Coaching zu übernehmen.