Interview

Lass die Natur den Beat vorgeben

Interview
06.11.2023

Wo die Alpen auf Asien treffen: Spitzenkoch Klemens Schraml im ÖGZ-Interview über seine Weltküche im Restaurant Rau.
Klemens Schraml

Bild oben: Vergiss vier Jahreszeiten – Klemens Schraml kocht nach zehn und jede ist ein Geschmacks-Banger.

Klemens Schraml hat sich mit dem "Rau" ein Labor der Sinne errichtet. Hier, wo die Luft so klar ist, dass man fast die Aromen der Gerichte schon beim Einatmen schmeckt, hat Schraml etwas Unerhörtes getan: Er hat den Kalender neu erfunden und serviert uns jetzt zehn Jahreszeiten auf dem Steinteller.

Vergesst den alten Vivaldi mit seinen vier Jahreszeiten – Schraml komponiert mit Löffeln und Pfannen eine kulinarische Symphonie. Hier, in seinem Terroir-Tempel, wo die Natur das Szepter schwingt, gibt es keine Grenzen, nur Horizonte. Die Zutaten? Ein Kaleidoskop des Besten, was Mutter Erde zu bieten hat, und zwar genau dann, wenn sie es will.

Weltoffen und geil

Mit einem Michelin-Stern im Gepäck und einer Neugier, die so weit reicht wie die Seidenstraße, zelebriert Schraml eine Küche, die so weltoffen ist wie ein Backpacker mit einem One-Way-Ticket. Von der scharfen Chilischärfe Asiens bis hin zu den herzhaften Aromen der Alpen – in Schramls Weltküche wird alles vereint, was irgendwie geil schmeckt.

Klemens Schraml
Auf diesem Teller liegt nicht einfach nur Beef Tartar – das ist eine kulinarische Ohrfeige für jeden, der dachte, er hätte schon alles gesehen.Eein minimalistisches Meisterwerk, das Picasso nicht besser hinbekommen hätte. Hier ist jedes Körnchen Salz ein Statement, ein Mikrofon für die Geschmacksknospen.

ÖGZ: Klemens, deine Küche im Restaurant Rau klingt ja wie ein Best-Of beider Welten – die Alpen treffen auf Asien. Wie verbindest du diese kulinarischen Pole konkret in deinen Gerichten, ohne dass es zu einer Geschmackskollision kommt?

Klemens Schraml: Ich verbinde sie nicht. Ich mache zudem auch keinen Unterschied oder werte Lebensmittel, Menschen oder Kulturen. Den Menschen und die Natur gibt’s genau so wenig wie zu behaupten dass es minderwertige Lebensmittel gibt. Es gibt die Natur und es gibt Güteklassen der jeweiligen für uns genießbaren Teile der Natur. Ich mache eine Welt-Küche, da die Natur überall auf der Welt ist. Es gibt dabei auch keine politischen Grenzen, jedoch kulturelle Unterscheidungen. Asien ist dabei einer der 6 kulturellen Großräume auf unserer Erdoberfläche. Was ich genau mache ist mit all meinem gewonnenen Fachwissen, den Eindrücken der Umgebung, die spekulierte Verfassung der Menschen darin und vor allem mit meinem Herz, genau hinzuhören was das Beste ist, um die Lebensmittel zu veredeln. Da ergibt sich ganz von allein die wohl beste Art ein Grundprodukt zuzubereiten und oft sind diese Verfahren sehr alt. Immerhin beschäftigt sich die Menschheit mit dem Kochen seit sie das Feuer hat. Das bedeutet Ehrfurcht zu haben.

Klemens Schraml
Blaupause für einen Teller: Was auch immer aus dieser Skizze wird, es wird definitiv nicht Omas Sonntagsbraten sein.

ÖGZ: Ok, und wie findest du da den roten Faden?

Klemens Schraml. Es sind drei Eckpunkte:

  • Mit meinen Leitsätzen, welche Charaktereigenschaften beschreiben, auf die man sich konzentrieren muss.
  • Mit dem Standard meiner Techniken um Konsistenzen zu bearbeiten.
  • Und mit dem Wunsch meinen Besuchern einen schönen Abend zu ermöglichen und Ihnen etwas Harmonie und Ruhe zu schenken in unserer aufgewühlten Zeit.

ÖGZ: Du hast die „10 Jahreszeiten“ in deinem Menü eingeführt, inspiriert von Vivaldis Violinkonzerten. Wie genau komponierst du ein Gericht für eine Jahreszeit, die offiziell gar nicht existiert?

Klemens Schraml: Die Natur gibt viel vor, diese Vorgaben zu interpretieren und den Menschen zu zeigen, ist genau das, was ich versuche. Das hat viel mit Beobachten zu tun. Die Forellen laichen in den Bächen, während der Winter langsam Einzug hält: „Kräutertoast, die ersten Forellen und die letzten Kräuter“. Die Marone sieht äußerlich einem Seeigel sehr ähnlich. Das reicht meiner Neugier, um es zu probieren. Beide Lebensmittel haben ihren „besten Moment“. Wenn in Japan die Seeigel am besten sein sollen, gibt es im Tessin hervorragende Maronen.
Oder die hochsommerliche Hitzewelle: Bunte Farben, Chili-Schärfe, Gegrilltes und Geblubbertes, hier werden Erinnerungen wach - gegrillter Wels, Nduja-Paste und Rote-Bete-Speck.

Klemens Schraml
"Panama Disease" nennt sich eins von Klemens Schramls Desserts: und es hat mehr Attitüde  als ein Rockstar auf der Bühne. Eine eiskalte Verführung mit Raffaello Eiscreme, Limetten-Rum Glasur mit feinstem Single Vintage Prime Rum  – ein Schluck davon, und ihr fühlt euch, als würdet ihr in der Karibik in einer Hängematte liegen und dem Untergang der Zivilisation zuschauen. Dieses Dessert ist nicht nur ein Gaumenschmaus, es ist ein rebellischer Akt gegen alles, was man über süße Abschlüsse zu wissen glaubt.

ÖGZ: "Nature-based cuisine" ist dein Leitmotiv, Nachhaltigkeit ist das große Buzzword in der Gastronomie. Wie sehr erschwert dieser Ansatz die Menü-Erstellung bzw. Planung (Stichwort: Verfügbarkeit von Lebensmitteln)?

Klemens Schraml: Die Natur harmonisiert immer. Wenn wir akzeptieren, dass wir ein Teil davon sind dürfen wir uns das zu Nutze machen. „Verfügbarkeit ab Bestellung" ist ein Luxus, vor allem bei Lebensmitteln, die niemand wertschätzt. Zeit für Entwicklung ist etwas, das ebenso wenig wertgeschätzt wird. Niemand bezahlt einem die Stunde der Entwicklung bevor etwas fertig ist.

ÖGZ: Wie viel hat Deine Herangehensweise mit Entwicklung zu tun?

Klemens Schraml: Meine Herangehensweise hat sehr viel mit Entwicklung zu tun, somit vor allem mit Dynamik & Diversifizierung. Aktive Auseinandersetzung mit der Landwirtschaft ist das Thema. Ich beschränke mich nicht ausschließlich auf die Dinge, die ich gelernt habe, somit muss ich auch nicht immer Karotten haben. Das führt dazu, dass ich ein großes Spektrum an Varietät meiner Gerichte benötige um jede Art in der besten Kondition veredeln zu können. Jahresanforderungslisten für alle Arten von Lebensmitteln werden in die Jahreszeiten gegliedert. Dazu konkret synchronisierte Rezepturen, Controlling, Speisekarten, Marketing, Umsetzung bis hin zum Dienstplan. Um das zu erklären muss man ewig viel Schreiben, kommunizieren und gegenseitig Zeit aufwenden. So ist es mir möglich den Diskurs und den Zufall auf den Moment zu legen ohne dabei Qualitätsabstriche machen zu müssen. Und dann wird man beschenkt. Die Natur schafft gewaltige Mengen an Lebensmittel wenn man ihr den Platz lässt, da hab ich eher das Problem nicht alles verarbeiten zu können.

Ich habe das Privileg mit dem Leben selbst zu arbeiten, nach vielen harten Jahren an diesem Standort darf ich nun die Natur selbst interpretieren.