Provokante Thesen

Landwirtschaft ist immer gegen die Natur

Landwirtschaft
08.11.2022

Von: Thomas Askan Vierich
Timo Küntzle plädiert in seinem Buch „Landverstand“ (K&S) für eine effiziente Landwirtschaft, um Umweltkosten zu senken. Die Biolandwirtschaft sei hier nicht die Patentlösung.
Luftaufnahme einer landwirtschaftlichen Fläche mit Sprühwagen

Natürlich ist die konventionelle Landwirtschaft bei Weitem nicht perfekt“, sagt der Agrarwissenschaftler Timo Küntzle. „Wichtig ist, dass sie effizient ist. Weil das ökologisch ist.“ Ökologischer als der Bio-Landbau, meint er. Weil der weniger auf der gleichen Fläche produzieren könne. Wie kommt er darauf? Konventionelle Landwirtschaft arbeite intensiv – baue also mehr Pflanzen auf der gleichen Fläche an, gehe also ökonomischer mit Flächen um. 

Der Weltklimarat empfiehlt, den landwirtschaftlichen Flächenverbrauch zu senken, weil jede naturbelassene Fläche besser für den CO2-Haushalt ist als Ackerland. Wiesen und Wälder gelten als Kohlenstoffsenker, weil sie CO2 aufnehmen. Es wäre also theoretisch besser, die Ackerflächen zu verringern – was aber schwierig ist, weil die Weltbevölkerung wächst und ernährt werden muss. 
Die Biolandwirtschaft geht mit dem Boden sanfter um, setzt keine Pestizide und keinen Kunstdünger ein, es wird weniger oft gepflügt, dafür gestriegelt: Beim Striegeln entfernt der Biolandwirt nur das Unkraut. Leider erwischt er aber nie alles. Die später hübsch blühende Kornblume verdrängt die Getreidepflanze, also ist sein Acker weniger ertragreich. Man rechne mit Verlusten von 20 bis 50 Prozent beim Getreide, sagt Küntzle. 
„Mit Bio werden wir die Welt nicht ernähren können. Nicht einmal uns selbst. Wenn wir komplett auf Bio umstellen würden, müssten wir vieles importieren – aus Ländern, wo weniger Umweltauflagen gelten als bei uns“, sagt Küntzle provokant.

Was bringt Bio-Landwirtschaft?

Selbst das Ziel der EU-Kommission, 30 Prozent aller landwirtschaftlichen Flächen biologisch zu bewirtschaften, hält Küntzle für kontraproduktiv und im Grunde populistisch indiziert. Uns fehlten schon die Arbeitskräfte dafür. Wir brauchen Technik: Traktoren, Erntemaschinen, Kunstdünger, Pestizide, Computer, Satellitenüberwachung, Gentechnik. 

Das sehen viele österreichische Weinbauern ganz anders. In Carnuntum haben bereits rund die Hälfte auf bio oder sogar biodynamisch umgestellt. Weil sie mit der Natur weniger „intensiv“ umgehen wollen, weniger spritzen und düngen und weil ihnen das Produkt recht gibt: Bio-Wein schmeckt gut und verkauft sich gut. Um richtig guten Wein zu bekommen, muss man auch nach wie vor mit der Hand ernten. Weil man die Reben dabei kontrollieren und auslesen kann – das ist keine Frage von „Romantik“.

Könnte uns die Gentechnik beim Klimawandel helfen?

Züchtung betreibt der Mensch seit 10.000 Jahren und versucht durch Auslese Pflanzen zu optimieren. Seit 100 Jahren haben wir die Kreuzungen nach Mendel. Dürreresistente Pflanzen zu züchten sei aber sehr schwierig und noch nicht sehr erfolgreich, sagt Küntzle. Nur in Südamerika würden bereits trockenresistente Pflanzen in der Landwirtschaft eingesetzt.

Aber haben wir die Züchtung nicht schon zu weit getrieben – z. B. mit den berüchtigten geschmacksneutralen Anti-Matsch-Tomaten aus holländischen Gewächshäusern? Sollten wir nicht weg von all den hybriden, quasi unfruchtbaren F1-Sorten, zurück zu samenfestem Gemüse wie damals in Omas Gemüsegarten? Treiben wir mit der Gentechnik nicht die Bauern in die Abhängigkeit von wenigen marktbeherrschenden Konzernen, die weltweit die Patentrechte auf genveränderte Pflanzen und hybrides Saatgut haben, von denen der Bauer jedes Jahr neues Saatgut kaufen muss? 
Das mit der Gefahr der Monopolisierung gibt Küntzle zu. Meint aber, das könne man politisch regeln, indem man heimische Züchter fördert, statt die Gentechnik zu verteufeln und anderen den Markt zu überlassen. Die Anti-Matsch-Tomate sei auch nicht gezüchtet worden, um sie weniger schmackhaft zu machen (was aber passiert ist, weil es offenbar nicht so wichtig war), sondern um sie haltbarer zu machen. Dagegen sei ja nichts einzuwenden, das sei sogar sehr notwendig: „Was hilft es, wenn man in großen Mengen sehr aromatische Tomaten anbaut, die aber, weil sie zum Beispiel eine zu dünne Haut haben, nicht transportfähig sind?“ 

Sein Ideal wäre die haltbare Tomate, die wenig Wasser braucht, krankheitsresistent ist, also weniger mit Pestziden behandelt werden muss, und gut schmeckt. „Hier bietet die Gentechnik eine große Chance! Das hat man ja schon immer versucht – früher halt ohne Labore.“ So haben ungarische Gärtner dem Paprika das scharfe Capsaicin weggezüchtet und so die Gemüsepaprika „erfunden“. Was heute im Labor recht schnell gehen kann, dauert(e) im Gemüsegarten bei Mendels Schülern oft Jahrzehnte. Aber es war genauso „natürlich“ oder „künstlich“, „manipuliert“ wurde schon immer. Heute wird allerdings vor einer Zulassung genau geprüft, ob diese Mutation gut oder schlecht für den menschlichen Organismus ist. 

Früher war alles schlechter

Wir machen uns zu romantische Vorstellungen von der Landwirtschaft: „Die Natur ist nicht sanft. Landwirtschaft ist immer gegen die Natur. Wenn man nichts tut, wächst auf dem Acker fast nur Unkraut, Schädlinge zerfressen das Wenige, was ich noch ernten kann.“ Ackerbau sei immer die Bevorzugung einer bestimmten Pflanze gegen alle anderen. Schon das Pflügen tötet alles ab, was da wuchs. Ist also schlecht für die Artenvielfalt. Gäbe es keinen Ackerbau in Europa, wäre fast überall Wald wie vor dem Sesshaftwerden des Menschen. „Was wir unter Natur verstehen, ist ohnehin schon Kulturlandschaft.“ 

Gesund ist die Natur auch nicht: Schädlinge hinterlassen Gifte, manche Unkrautsamen sind giftig für den Menschen, weil sie Alkaloide enthalten, zum Beispiel das tödliche Mutterkorn-Alkaloid im Getreide. „Lebensmittel werden aus dem LEH nie zurückgerufen wegen Pestizidbelastungen, sondern wegen Planzeninhaltsstoffen, die da in hoher Konzentration über die Natur hineingelangt sind.“ Es gibt den Fall des Hobby-Zucchini-Züchters, der seine eigenen Früchte gegessen hat, obwohl sie sehr bitter schmeckten und daran starb. Die Zucchinis waren in seinem Garten ungut mutiert.
Man sollte sich auch von der Vorstellung verabschieden, dass eine Landwirtschaft „wie früher“ besser war. Sie war schlechter. Die Tiere waren öfter krank, lebten in engem Kontakt mit dem Menschen, da wurden viele Krankheiten übertragen, zum Beispiel die Masern. Und effizient war sie auch nicht. 

Timo Küntzle
Timo Küntzle: "Was wir unter Natur verstehen, ist ohnehin schon Kulturlandschaft."

Ideale Landwirtschaft

So stellt sich der studierte Landwirt Timo Küntzle die ideale Landwirtschaft vor: Intensiv bearbeitete Äcker neben extensiven Flächen als Lebensraum für mehr Biodiversität. Auf den intensiven Flächen wird genügend Produktivität sichergestellt, um uns mit möglichst wenig Importen zu ernähren – Stichwort problematische Lieferketten. 
Man könnte mehr Diversität in die Kulturlandschaft bringen, indem man Äcker verkleinert, in Streifen anlegt, damit sie immer noch effektiv mechanisch zu bewirtschaften sind. Das habe aber nichts mit bio oder konventionell zu tun. Große Bio-Felder seien schlechter für die Biodiversität als kleine konventionelle. 
Stichpunkt Biodiversität: Ohne Kulturlandschaften, ohne Landwirte, gäbe es viele Kulturbegleiter in der Fauna gar nicht: Feldhasen, Feldhamster, Lärchen, Greifvögel brauchen offene Flächen. Wenn alles wieder Wald wäre, hätten die keine Chance zu überleben. Wir übrigens auch nicht. Außer wir wären wieder Jäger und Sammler.

Zur Person

Timo Küntzle ist Sohn ­einer Getreide- und Milchbauernfamilie, lernte früh, wie Ackerbau ­funktioniert, identifizierte sich aber ­genauso mit den Zielen der Umweltbewegung. Nach der Ausbildung zum Landschaftsgärtner und einem Abschluss in Agrarwissenschaften verschlug es ihn in den Journalismus. 

Sein Buch "Landverstand" ist im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen.