Warum essen wir Tiere, Herr Macho?

Ethik
31.10.2022

Von: Roland Graf
Warum essen wir Tiere? Die Antworten des Philosophen Thomas Macho sind unaufgeregt und verkneifen sich den moralischen Zeigefinger. Dafür setzt er auf die Rolle der Gastronomie.

Aus einer unerwarteten Ecke kommt ein 128 Seiten starker Beitrag zur Debatte um Tierwohl und Fleisch-Kennzeichnungen: Philosoph Thomas Macho hat sich nach seiner Monographie über das Schwein (2015) nun der Geschichte des Fleisch­essens gewidmet. Das Buch beginnt mit einer unangenehmen Wahrheit – ursprünglich war der Mensch wohl Aasfresser –, ehe gezeigt wird, wo sich die gemeinsame Geschichte mit dem Tier aufgelöst hat. „Warum wir Tiere essen“ ist allerdings ebenso Kulturgeschichte wie ein Weckruf. Und der betrifft auch die Gastronomie, wie der Autor im ÖGZ-Interview unterstreicht.

Professor Macho, Ihr Buch ist in weiten Teilen eine Kulturgeschichte des Fleischkonsums, die auch zeigt, wie Schlachten aus dem allgemeinen Bewusstsein verschwindet – bis zur freundlich „lächelnden“ Kinderwurst. Wohin führt diese Entwicklung für Sie?
Thomas Macho: Wenn man laufend die Klimaschutzberichte verfolgt oder die Nachrichten, dann weiß man oft nicht, welche grausame Wahrheit man als Erstes liest. Ich habe daher die Hoffnung oder eigentlich Erwartung, dass wir Strategien finden, den weltweiten Fleischkonsum zu reduzieren. Noch haben wir die Chance, eine planetarische Krise zu vermeiden.

Die Antwort darauf muss aber nicht der gänzliche Verzicht auf Fleisch sein?
Viel Leute essen gerne Fleisch, das ist die eine Seite. Wir wissen aber auch, dass Verzicht möglich ist. Nur sollte man das nicht mit einem moralischen Mantel behängen. Unter den jungen Leuten neigen viele zum Veganismus und das hat auch einen wichtigen Effekt. Und dann gibt es ja auch noch die Fleischersatzprodukte – von „Beyond Burger“ und Ähnlichem bis zu im Labor gezüchteten Fleisch. Wichtig wäre eben, strengere Auflagen für die Fleischindustrie zu erstellen. Damit würde das Produkt Fleisch auch automatisch teurer. Aber ich stamme noch aus einer Familie, wo es selbstverständlich war, dass es nur selten Fleisch gab.

Damit kommen aber auch rechtliche Definitionen und Kennzeichnungen für das Tierwohl ins Spiel …
Es ist wichtig, dass wir da so weit als möglich Lösungen finden, die ethisch umsetzbar sind. Es gibt keinen unüberbrückbaren Graben zwischen Mensch und Tier! Damit meine ich, dass die Bedingungen der industriellen Fleischerzeugung für die Tiere genauso negativ sind wie für die Menschen, die daran mitarbeiten. Denken Sie an schlechte Löhne und permanentes Arbeiten in Kühlräumen. In diesem Zusammenhang ist Tierwohl in der Tat auch als Menschenwohl zu sehen.

Ein Aspekt ist da das „Verschwinden“ des Nutztiers, während das davon völlig abgekoppelte, kuschelige Haustier mitunter mehr geliebt wird als Familienmitglieder?
In der Aristokratie gab es das schon früher; da beginnt das mit den „Schoßtieren“ im 15. und 16. Jahrhundert, das sieht man auch auf zeitgenössischen Porträts. Es fängt da an, war aber eine große Ausnahme. Im späten 19. Jahrhundert entdeckt man dann die Kuscheltiere, was anfangs auch zu einem Aufschrei führte und skurrilen Diskussionen. Da fragte man etwa in den USA des frühen 20. Jahrhunderts, ob zu viel Zuneigung der Mädchen für die „Teddybären“ dann nicht später das Kinderkriegen erschweren würde.

Ihr Buch zitiert das Sühneritual sibirischer Jäger, die sich beim getöteten Tier entschuldigten. Auch davon will der Konsument heute so wenig wie möglich wissen, oder?
Man sollte zumindest beide Seiten sehen: den Genuss und was wir dafür in Kauf nehmen. Ich zeigte meinen Studierenden gelegentlich eine Dokumentation von ­George Franju aus dem Jahr 1949 über „La Villette“, den alten Schlachthof von Paris. Obwohl das ein historischer Film war, verließen sie reihenweise den Hörsaal bei den expliziten Schlachtungen. Früher aber war es wichtig, dass man rituell auch als Mensch eingebunden war in den Kreislauf des Lebens und die Schuld des Tötens.

Spannend fand ich im Buch die Feststellung, dass Askese als Gegenbewegung zum Fleischessen selbst Aspekte des Konsums umfasst – etwa wenn mit gutem Gewissen geworben wird. Weitergedacht würde das dann heißen: Je freudloser und weniger ich esse, desto besser?
Na ja, zumindest ist es sehr seltsam, dass es immer mehr Dinge gibt, die sich dadurch auszeichnen, was sie nicht haben: Getreide, Zucker, Fett und so weiter. Das kann man schon als „Genuss mit Minus-Effekt“ bezeichnen. Ich fand aber eher das „animalistische Manifest“ von Corine Pelluchon lesenswert, weil sie da auch die politische Machbarkeit analysiert. Das wären konkrete Schritte zum Tierwohl, für die sie u. a. Vergleiche mit der Abschaffung der Sklaverei zieht.

Ein Thema, das Sie nur streifen, sind Essenspraktiken und Fleischzubereitung – wie sähe da eine kulturgeschichtliche Analyse aus?
Essen ändert sich immer mit den technischen Möglichkeiten. Bei den Römern war Fleisch noch nicht zart und rosa konnotiert. Plinius etwa warnt, dass man schlechtere Zähne vom Essen des (harten und fasrigen) Fleisches bekommt. Die ganze Geschichte des Raffinements geht von der Entdeckung und Beherrschung des Feuers über das Einlagern bis zum technischen Kühlen. Erst dann wird Fleischessen auch als Genuss in der Gastronomie verstanden. Allerdings auch als Genuss, den wir uns nicht jeden Tag leisten können. Sondern z. B. nur zu den wichtigen Festen oder einem runden Geburtstag.

Wo sehen Sie da die Aufgabe der Gastronomie: Soll sie mit erhobenem Zeigefinger auf Tierleid hinweisen?
Wenn jemand sehr gut essen will, dann mag er nicht mit Schuld konfrontiert werden. Eher könnte da etwas ohnehin Essenzielles für den Menschen ins Spiel gebracht werden: das Erzählen von Geschichten. Da kann man etwa die Herkunft der Zutaten beleuchten. Wir hatten das vor einiger Zeit in der „Blauen Gans“ in Salzburg erlebt – da wurde vor jedem Gang etwas zu den Tieren erzählt.

Damit würde sich die Frage, schmeckt mir etwas gut oder schlecht, eigentlich dahin verlagern, ist es richtig oder falsch, was und wie oft ich es esse?
So könnte man das sagen. Zumal ja das „Imaginarium“, also der Zoo in unserer Fantasie, völlig abgekoppelt ist von den realen Umständen, unter denen Nutztiere leben. Wir befinden uns im sechsten Stadium des Verschwindens von Arten, das erste stellte das Aussterben der Dinosaurier dar. Heute ist unklar, ob wir nicht selbst als Spezies vom Planeten verschwinden, wenn wir so weitermachen!

Info

Buchtipp: Tiere Essen

Der Philosoph und der Sonntagsbraten Nur wenige Seiten braucht Thomas Macho, emeritierter Professor für Kulturgeschichte (u. a. in Linz und Berlin), um Widersprüche zwischen Häufigkeit und Bewusstsein des Fleischkonsums aufzuzeigen. Wie es zu 60 Kilo Jahresverzehr pro Kopf kam, ist die eine Seite. Wie man sich dabei in den Sack lügt – bis zur globalen Klimakatastrophe –, die andere. Die geraffte Darstellung kann „nur“ Denkanstöße setzen, von denen etliche aber faszinierend lange nachhallen. Thomas Macho: „Warum wir Tiere essen“, 128 Seiten, 22 Euro, Molden Verlag