Vegane Kochlehre in Österreich auf dem Prüfstand
Mit dem Start der vegetarisch-veganen Kochlehre wagt Österreich einen zukunftsweisenden Schritt, doch die Umsetzung sorgt für Kritik. Spitzenköche wie Paul Ivic und Parvin Razavi fordern ein Umdenken in Ausbildung und Lehrplänen.

„Wir haben alle eingeladen.“ Mit diesen Worten beschreibt Parvin Razavi, Küchenchefin im Restaurant &flora im Wiener Hotel Gilbert, die Resonanz auf das neue Ausbildungsangebot. Vier Bewerbungen gingen bei ihr ein – genommen wurde eine erwachsene Frau, die schon seit einigen Jahren kocht. Auch Paul Ivic, vielfach ausgezeichneter Küchenchef des vegetarischen Gourmet-Restaurants Tian, freut sich über großes Interesse: Menschen mit abgeschlossenem Studium bis hin zu Quereinsteigern über 30 haben sich bei ihm für einen Ausbildungsplatz beworben – insgesamt 18. „Das zeigt, wie hoch das Interesse ist“, sagen beide im Rahmen eines Gesprächs im Hotel Gilbert. „Endlich haben wir die Möglichkeit, junge Menschen gezielt für unsere Art des Kochens auszubilden“, freuen sich beide.
Trotzdem herrscht Ernüchterung. Denn der Lehrplan, der dieser neuen Lehre zugrunde liegt, stößt bei den Pionierbetrieben auf Unverständnis. „Man hat uns nicht gefragt, was wir brauchen“, kritisiert Ivic. Statt innovativer Pflanzenküche gehe es im offiziellen Curriculum darum, österreichische Fleischklassiker zu „veganisieren“ – vom Wiener Schnitzel bis zur Rindsroulade. Das sei nicht kreativ, sondern reaktionär.
Kritik am Lehrplan
Die Diskussion dreht sich nicht nur um Inhalte, sondern auch um die Ausbildungsstruktur. So bemängeln beide Küchenchefs, dass Betriebe, die bereits seit Jahren auf rein pflanzliche Küche spezialisiert sind, zunächst nicht als Ausbildungsstätten anerkannt wurden. „Wir hatten fast Probleme, überhaupt die Bewilligung zu bekommen“, erklärt Razavi. Der Grund: Das Fehlen von klassischen Fleischgerichten auf der Speisekarte.

Auch die Einbindung in das Schulsystem sei mangelhaft. Viele Lehrkräfte wüssten gar nicht, was moderne Gemüse-Küche leisten kann. Die Schulpläne hinken dem gastronomischen Fortschritt hinterher, echte Expertise fehle vielerorts. Der Lehrberuf entwickle sich zu einer „Fachkraft light“ – ein Etikett, das dem Anspruch der Top-Betriebe nicht gerecht wird. Stattdessen fordern beide eine Reform: eine gemeinsame Grundausbildung für alle, mit anschließender Spezialisierung – und eine klare Abkehr von industriellen Ersatzprodukten. „Wer einen Lachs aus Karotte bauen will, soll das in der Schule lernen“, sagt Ivic scharf. „Wir wollen keine Imitate, wir wollen kochen.“
„Es geht um Lebensmittel, nicht um Produkte“
Beide Betriebe stehen für eine Küche, die auf echten Geschmack und Produktqualität setzt. Frische, Saison, Herkunft – das sind die Grundpfeiler. „Wir arbeiten mit Teilen von Gemüsen, die andere nicht einmal kennen“, betont Astrid Kahl-Schaban, Hoteldirektorin des Hotel Gilbert. Die Idee, diese Form der Küche in eine starre Lehrausbildung zu pressen, wirkt für sie absurd. Gleichzeitig sei das Ziel nicht, eine neue Elite zu formen. Vielmehr gehe es darum, eine fundierte Basis zu schaffen, auf der junge Menschen weiterlernen können – und Betriebe, unabhängig von ihrer Ausrichtung, eigenständig weiterentwickeln. Ivic: „Nach drei Jahren Ausbildung ist niemand fertig. Das ist erst der Anfang.“
Beide Chefs fordern mehr Flexibilität. In den Schulen solle man grundlegende Techniken und Basiswissen vermitteln, während die Betriebe die Spezialisierung übernehmen. So ließe sich auch das Problem lösen, dass viele Betriebe mit kürzeren Öffnungszeiten aktuell keine Ausbildungsberechtigung erhalten.
Ein weiterer zentraler Kritikpunkt ist die Fixierung auf traditionelle Küche. Für Ivic ist die österreichische Kulinarik ohnehin ein multikulturelles Konstrukt – beeinflusst von Ungarn, Böhmen, Italien. „Wiener Schnitzel? Kommt aus Mailand. Gulasch? Aus Ungarn.“ Anstatt zu imitieren, sollten Auszubildende lernen, eine neue, eigenständige pflanzliche Küche zu entwickeln. „Das ist unsere Chance, einen eigenen Beitrag zur internationalen Gastronomie zu leisten“, sagt Ivic.
Dass das gelingt, zeigen beide Betriebe: Das Tian als Avantgarde der fleischlosen Spitzenküche, das &flora mit einem kreativen Gemüsefokus und moderatem Einsatz von Fisch und Fleisch. Beide kochen auf hohem Niveau, beide fördern Talente mit Leidenschaft – und beide sind überzeugt, dass die vegane Lehre nur dann eine Zukunft hat, wenn sie sich von Konventionen befreit.