Krise

Die Karten im Gastro-Großhandel werden neu gemischt

C&C
14.06.2022

 
Das Kartellgericht erlaubt der Rewe International, sieben AGM-C&C-Märkte mit angeschlossenem Gastro-Zustellservice an Metro Österreich zu verkaufen. Aber nicht nur dieser Deal löst einen massiven Strukturwandel im heimischen Gastro-Großhandel aus.
Spielkarten

Text: Hanspeter Madlberger

Wird die Schar von tausenden bisherigen AGM-Kunden geschlossen Metro als neuen Lieferpartner akzeptieren? Diese Frage bewegt zum Auftakt der Sommersaison die Branche. Bei den Mitbewerbern der Metro hat der Akquisitions-Wettlauf um wechselfreudige AGM-Kunden längst eingesetzt. 

Die Metro-Hauptkonkurrenten Transgourmet und die Eurogast-Gruppe haben ihrerseits um weitere Standorte zugelegt. Doch auch regional gut aufgestellte Mittelständler wie Kastner (stark im Osten) und Wedl (stark im Westen) wittern ihre Chance. 

Aufholjagd im Zustellservice

Die Rewe Group trennt sich von ihrer Gastro-GH-Firma AGM, die bisher zu den drei führenden Lebensmittel- und Getränke-Lieferpartnern der heimischen Gastro­nomie und Hotellerie zählte. Metro Österreich übernimmt von AGM sieben Abholmärkte mit Zustell-Service und steigert damit die Anzahl seiner C&C-Standorte von 12 auf 19. Rein rechnerisch ein Standorte-Plus um mehr als ein Drittel. Die AGM-Betriebe in Klagenfurt und Bludenz müssen, dem Urteil des Kartellgerichts folgend, an Mitbewerber weiterverkauft bzw. weitervermietet werden. Metro verfügt nach vollzogener AGM-Inte­gration über 

• drei Abholmärkte im Großraum Wien (Vösendorf, Wien-Simmering, Langenzersdorf), 
• vier weitere im restlichen Niederösterreich (je zwei in Wiener Neustadt und St. Pölten), 
• vier in der Steiermark (zwei in Graz, dazu Hartberg und Liezen),
• zwei in Oberösterreich (Linz, Wels) und in Kärnten (Klagenfurt, Spittal a. d. Drau) 
• sowie je einen im Burgenland (Neusiedl), in Salzburg (Stadt Salzburg), Tirol (Innsbruck-Rum) und Vorarlberg (Dornbirn). 

Starke Zustellumsätze

Die Akquisition der sieben C&C-Märkte ist aus Metro-Sicht deshalb besonders chancenträchtig, weil AGM zuletzt mehr als 60 % der Umsätze in der Gastronomie-Zustellung erzielte, während das „C&C-Urgestein“ nach Experten-Einschätzung mehr als 70 % seiner Verkäufe mit Abholkunden tätigt. Metros Aufholjagd im Foodservice sollte also durch den Deal mit Rewe stark an Dynamik gewinnen. Im Statement aus Vösendorf heißt es dazu: „Die AGM-Standorte und vor allem das Know-how der AGM-Profis ergänzen die regionale Abdeckung der Metro optimal“.

Einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt die behördlich gebilligte Metro-Expansion bei KR Christof Kastner, dem engagierten Vertreter des mittelständischen Handels: „Die Entscheidung des Kartellgerichts im AGM-Metro-Deal schafft eine schiefe Ebene im Wettbewerb unserer Branche, die für unsere Familienunternehmen alles andere als erfreulich ist.“

Expansionsschub 2022

Transgourmet Österreich, ein Unternehmen im Verbund der Schweizer Coop Genossenschaft, startete in das Jahr 2022 als Marktführer im heimischen Gastro-GH mit einem Umsatz 2021 von 492 Mio. Euro und einem Marktanteil von 25,9 % (Zeitraum 1-11/2021 laut Nielsen C&C Monitoring). Rund 85 % des Umsatzes in der Abholung und Zustellung entfallen auf das Geschäft mit der Gastronomie. Das laufende Jahr steht im Zeichen eines weiteren Expansionsschubs. Zuletzt wurde die Firma Riedhart in Wörgl (55,5 Mio. Euro Umsatz vor der Pandemie) übernommen, Ende Mai der neue Großmarkt in Zell am See/Maishofen eröffnet, eine 30-Millionen-Euro-Investi­tion. In Planung sind zwei weitere Standorte in Krems und Wien-­West. Ob man am Standort des AGM Klagenfurt als neuer Betreiber zum Zug kommt, ist zurzeit noch offen. Jedenfalls hält Transgourmet Österreich, Tochter des zweitgrößten Gastroservice-Unternehmens in Europa (hinter der Metro-Gruppe), mit derzeit 14 Standorten am Wachstumskurs fest.

Doch auch Eurogast, die Verbundgruppe selbstständiger Gastro-­Großhändler mit insgesamt 16 C&C-Standorten, geht aus der AGM-Zerlegung gestärkt hervor. Zwar hat man Riedhart an Transgourmet „verloren“, jedoch trat die Adeg Zell am See, eine Großhandelsfirma, an der eine Gruppe selbstständiger Adeg-Kaufleute aus dem Pinzgau die Mehrheit hält, in diesem Frühjahr als Mitglied bei. Seit Mai tragen die Märkte in Salzburg-Bergheim, Schüttdorf-Maishofen, Bad Hofgastein, Altenmarkt und Hall in Tirol den neuen Firmennamen Alpin Gastro Markt. Das Kürzel AGM wird also neu interpretiert. Mit Alpin Gastro als umsatzstärkstem Eurogast-Großhändler strebt die Verbundgruppe heuer einen Umsatz von 500 Millionen Euro an, präsentiert sich somit als recht starke mittelständische Nummer drei im rot-weiß-roten Gastro-GH.   

Gastro-Großhandel in Österreich 2021

Geschätzter Verkaufsumsatz der österreichischen Gastronomie 2021:   
EUR 12,4 Mrd. (= minus 6,8 % gegenüber VK-Umsatz 2020 mit EUR 13,3 Mrd.)

Marktpotenzial (= Waren­einsatz Gastronomie) 2021:
EUR 3,615 Mrd. = minus 3,9 % gegenüber WES 2020 mit EUR 3,760 Mrd.

GH-Umsatz total 2021:  
EUR 1,5 Mrd. = GH-Anteil am WES 

Gastronomie 2021: knapp 42 %
Stagnation gegenüber 2020; GH Anteil 2020: ~40 %)

Quelle: HO Consulting e.U.

Heimatleuchten

Dem Konzentrationsschub auf Eigentümerebene steht der Regionalisierungs- und Nachhaltigkeits-Trend bei der Lebensmittelherkunft und den Essens- und Getränkeangeboten unserer Gastro­nomie gegenüber. Das Stakkato globaler Krisen – Ukraine-Krieg, Hyper­inflation, Klimawandel, Pandemie, Lieferketten-Infarkt – befeuert im Out-of-Home-Konsum und im Tourismus den Gästewunsch nach „Essen mit Heimat als emotionaler Beilage“.

Dieser Megatrend trägt dazu bei, dass insbesondere mittelständische Großhändler mit starker regionaler Verwurzelung exzellente Chancen haben, in Augenhöhe mit den beiden „Multis“ der Branche bei der Gastronomie zu punkten. Sie tun sich ohnehin schwer gegenüber Markenartikel-Multis, die gelegentlich nicht davor zurückschrecken, Preiserhöhungen bei kleineren Kunden durch die Androhung von Lieferboykotts zu erzwingen. 

Eine Riesenherausforderung bleibt der Wettbewerb zwischen den kleineren und den größeren Großhändlern um die Gunst einer pandemiegeschwächten Gastronomie allemal. Denn wie Gastro-Auskenner Helmut Obergantschnig im nebenstehenden Interview ausführt, muss die Branche in diesen extrem schwierigen Zeiten den Balanceakt hinkriegen, die global diktierten Preiserhöhungen durch ein Bouquet an Qualitätssteigerungen, versehen mit Heimat-Touch, zu kompensieren. 

Höhere Leistung bei höheren Preisen

Die Rezepte, die man sich dafür in den Marketingabteilungen ausdachte, sind vielfältig. Transgourmet-Geschäftsführer Thomas Panholzer bietet seinen Kunden digital gepowerte Einkaufs-Convenience. Sie bestellen via Internet und können sich ultrafrische Lebensmittel wahlweise zustellen lassen oder, dank Click-&-Collect-Service, fertig kommissioniert vom Markt abholen. Den neuen „Lebensmittel-Patriotismus“ bedient die Firma mit der Bio-Eigenmarke Transgourmet Natura und dem Tierwohl-Programm Kalb Rosé. Metro hat Rindfleisch aus Brasilien aus seiner Artikelliste gestrichen. Der Amazonas-Regenwald bedankt sich. Wedl hat erst kürzlich den C&C-Markt in Saalfelden gerelauncht und könnte in Bludenz bei der AGM-Vergabe als ausgewiesener Regionalspezialist zum Zug kommen. Als Sponsoring-Partner unterstützt Kastner die „Niederösterreichische Wirtshauskultur“. Jüngst wurden in Grafenegg die diesjährigen Sieger dieser Initiative geehrt.