Praxistipps

Besucherlenkung könnte ­entscheidend werden

Tourismus
31.10.2022

 
Ein nachhaltiges Destinationsmanagement muss Antworten auf Probleme mit der Mobilität und der Besucherlenkung vor Ort finden. Tipps aus der Praxis.
Personen in einer Warteschlange

Immer mehr Tagesausflüge

Nehmen wir gerne, Kleinvieh macht auch Mist. Es fallen zwar keine Übernachtungen an, aber der oder die Ausflüglerin gibt auch Geld aus: für Essen, Trinken, Souvenirs, geführte Touren, Eintritte, Spontaneinkäufe. Aber so einfach ist es leider nicht. 

• Übers Jahr betrachtet kommen mehr Gäste, als es Bewohner gibt. 
• Die Menschenmassen konsumieren nur beschränkt vor Ort. Es profitiert vor allem der Detailhandel in Form von Souvenirs, weniger aber die Beherbergung und Gastronomie.
• Probleme bei der Infrastruktur: Parkplätze, Haltemöglichkeiten für Busse, Durchreiseverkehr
• Die Städte sind am Tag mitunter überlaufen mit starken Ansammlungen vor Sehenswürdigkeiten. 
• Einheimische werden von den Touristen zum Teil im alltäglichen Leben behindert – schlecht für die Tourismusgesinnung.

Lösungsmöglichkeit: Gezielte Verteilung der Touristen durch eine bessere Anbindung der umliegenden Sehenswürdigkeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder wenn andere Stadtteile für Touristen attraktiver gestaltet werden. Das muss man aber auch den Tages­touristen kommunizieren und sie dann möglichst einfach dorthin transportieren. Gamification: Mit spielerischen digitalen Angeboten das gewünschte Verhalten belohnen. Wer weniger oft frequentierte Sehenswürdigkeiten besucht, kann dort Punkte sammeln, die er dann bei der Touristeninformation gegen kleine Geschenke oder einen Cafégutschein eintauschen kann. Beispiel Amsterdam: Der Strand von Zandvoort wurde in „Amsterdam Beach“ umbenannt und die Gültigkeit der touristischen Öffi-Tickets bis dorthin verlängert.

Raus ins Grüne

Im Internet findet man inzwischen viele Angebote, die auf diesen Trend abzielen und Naturhotels oder Ferienhäuser „off the beaten path“ anbieten. Die Natur ist aber kein Vergnügungspark, sondern ein sehr empfindliches Ökosystem. Davon können Bergbauern bei der Pflege ihrer Almen ein Lied singen: Sie werden von erholungssuchenden Touristen immer wieder als Störenfriede gesehen und sogar beschimpft. Umgekehrt leider auch. 
Herausforderungen:
• Auch hier schlägt der Insta­gram-Hype zu. Gerade am Land sind die Orte oft nicht auf einen solch schlagartigen Ansturm ausgelegt. 
• Interessenkonflikt zwischen Naturschutz und Tourismus.
• Auch inoffizielle Wege werden im Internet beschrieben, in sozia­len Netzwerken beworben und von Ortsunkundigen aufgesucht, Flora und Fauna werden dadurch stark beeinträchtigt.

Lösung: Besuchermanagement! Hier muss man klare Regeln definieren: Wer darf was wann und wo. Man muss den herzlich willkommenen Flachländer immer wieder darauf hinweisen, dass im alpinen Raum andere Regeln gelten. Das kann man dämlich bevormundend tun oder charmant kreativ. Man kann Dinge verbieten und strafen oder finanzielle Anreize schaffen. Das nennt man „harte“ Maßnahmen. Man kann aber auch „weiche“ Methoden anwenden, um das Verhalten der Touristen zu verändern. 
Mit Nudging lenkt man Menschen psychologisch geschickter als durch Strafandrohung in die gewünschte Richtung. Indem man es ihnen selbst überlässt, wie sie sich entscheiden. Man belohnt nur ein bestimmtes Verhalten. Oder man ändert die Umgebung, um das gewünschte Verhalten zu unterstützen und das unerwünschte zu erschweren (sogenannte Defaults). Will man in einem Büro Papier sparen, stellt man beim Drucker das Drucken von einfachen Seiten auf Doppelseiten um. Um das zu ändern, müsste der jeweils Druckende schon sehr aktiv werden. Aus Faulheit wird er künftig alles doppelseitig drucken. Ein Default im ­Tourismus, das schon angewandt, aber noch ausgebaut werden könnte, wäre das preisdynamische Ticketing: Wer zu Randzeiten Ski fährt oder Sehenswürdigkeiten besucht, bekommt einen günstigeren Preis.
Die Grafik zeigt die Vielzahl an Interventionsmöglichkeiten im Tourismus zur Besucherlenkung.

Individualisierte ­Übernachtungsmobilität

Glamping bietet Baumhäuser, moderne Hightech-Wohnmobile und vieles mehr. Auch das „wilde“ Campen auf Privatgrundstücken wird mittels kluger Apps, die solche Plätze vermitteln, immer beliebter. Es gibt immer mehr Plätze, die an Kurorte oder Thermalbäder angebunden sind oder sogar einen eigenen Wellnessbereich exklusiv für die Campinggäste anbieten.
Herausforderungen:
• Viele Stellplätze sind bereits monatelang ausgebucht.
• Die teils fehlende Digitalisierung macht Interventionsmaßnahmen zur Lenkung der Reisenden im Campingbereich schwieriger.
• Wildcamping wird notgedrungen zur Option, obwohl meist verboten. 
• Durch die fehlenden Kenntnisse über den Naturraum wissen viele Gäste auch nicht, wie man sich verhalten sollte.
• Problem Müllentsorgung

Lösung: Besucherlenkung! Und Digitalisierung! Anbieter wie Campkit.de oder www.camping-digital.­eu bieten für bestehende Campingplätze digitale Lösungen. Für Camper, die einen freien Stellplatz suchen, gibt es z. B. die „Vista Point“-Camping-App oder www.pincamp.de. Auch die Ausflugsapp Komoot.de bietet kurzfristig Übernachtungsmöglichkeiten – das kann auch mal ein Zelt am Bauernhof sein.

Systematisierung von Interventionen für die Lenkung von Besucherströmen
Salzburg Research / Systematisierung von Interventionen für die Lenkung von Besucherströmen

Die Grafik zeigt die Vielzahl an Interventionsmöglichkeiten im Tourismus zur Besucherlenkung.

Anreise im motorisierten Individualverkehr

Es bleibt dabei: Am liebsten fährt der Österreicher oder Deutsche mit dem Auto in die Ferien. Die Gründe sind naheliegend: Man kann mehr Gepäck mitnehmen, besonders wichtig beim Skiurlaub. Man ist vor Ort mobiler, gerade in abgelegenen Urlaubsregionen. Und man ist nicht von notorisch verspäteten Zügen abhängig. 
Herausforderungen: 
• Bei An- und Abreise werden zwischen 50 und 80 Prozent des CO₂-Ausstoßes des gesamten Urlaubs verursacht.
• Zunahme des Individualverkehrs auf der Straße
• Zunahme des Parkplatz-Suchverkehrs

Lösungen: Strukturen für eine nachhaltige Mobilität schaffen und Anbindungen verbessern. Wenn Transportsysteme gut aneinander angepasst sind und möglichst reibungslos funktionieren, werden nachhaltige Mobilitätslösungen attraktiver für Reisende und Einheimische – siehe das Vorzeigebeispiel Schweiz, wo man seit Jahren mit dem ÖPNV bis ins hinterste Tal kommt – ohne endlose Wartezeiten in Kauf nehmen zu müssen.
Aber so etwas kostet Geld. Und so etwas wird sich auch erstmal ökonomisch nicht rechnen. So etwas muss man also wollen und umsetzen (können).
Die Mobilität vor Ort kann man dann mit Ski- und Wanderbussen, Elektroautos oder Elektrofahrrädern oder -rollern bewältigen. Über solche Angebote muss man aber ständig und frühzeitig informieren – am besten schon proaktiv bei der Buchung. Man könnte sogar die Anreise ohne Auto in irgendeiner Form honorieren – durch ein Zuckerl des Tourismusverbands, vergünstigte Skipässe, Eintritte usw.

Was kann eine Besucherstromlenkung leisten?

Man muss dabei beachten, welches Ziel man verfolgt, rät Markus Lassnig von Salzburg Research: 
• Möchte man in die zeitliche Verteilung eingreifen? (Skipass)
• Möchte man in die räumliche Verteilung eingreifen? (Schloss Hof statt Schloss Schönbrunn)
• Möchte man den Zugang generell einschränken? (Zufahrtsverbote für Busse in Wien, Anlegeverbote oder radikal verteuerte Anlegegebühren für Kreuzfahrtschiffe wie in Venedig)

Diese Maßnahmen kann man mithilfe des Marketings setzen (auch des Demarketings: von Besuchen zu bestimmten Zeiten gezielt abraten), des Preises (Dynamic Pricing, Besuche ausschließlich mit Vorbuchungen erlauben), Verbote, Appelle oder der Psychologie (Nudging: Man kann den Gast darauf hinweisen, dass andere seiner Altersgruppe/Zielgruppe zu bestimmten Zeiten oder an anderen Orten bessere Erfahrungen gemacht haben). Die Insel Palau ruft ihre Gäste aktiv zu einem Umdenken in ihrem Verhalten auf. Jeder, der die Insel betreten will, muss ein sogenanntes „Pledge“, eine Selbstverpflichtung, unterschreiben. Auch Island setzt ähnliche Maßnahmen.
Die Technologie kann hier entscheidend helfen, mit Hinweisen auf Apps, die mitteilen, wann welcher Skilift oder welches Museum besonders lange Warteschlangen aufweist. Google bietet so etwas schon an – aber nicht in Echtzeit. 
Man kann Besuchern virtuelle Erlebnisse anbieten statt analoger in überfüllten Destinationen/Museen. Man kann eine App anbieten, in der Einheimische ihre persönlichen Tipps abseits der üblichen Trampelpfade angeben. Helsinki tut das.
„Härtere“ Maßnahmen führt Florenz vor: Dort werden die Stufen vor einer Kirche regelmäßig nassgespritzt, um Gäste davon abzuhalten, dort zu sitzen, zu essen oder zu trinken.