ÖGZ-Interview

Der Weg als Ziel

Tirol
27.09.2022

Die neue Geschäftsführerin der Tirol Werbung hat ihre ersten 100 Tage hinter sich gebracht. Wie ist es ihr ergangen? Und wie sehen die nächsten Schritte aus? Karin Seiler im ÖGZ-Interview
Karin Seiler

Wenn man Innsbruck ausklammert – hier hinken die Zahlen noch ein wenig hinter dem Vorpandemie-Niveau her –, dann ist Tirol heuer touristisch auf einem mehr als gutem Weg unterwegs und knapp hinter 2019. Von Mai bis Juli 2022 wurden 2,9 Millionen Ankünfte gemeldet (-5,0 % ggü. 2019). Vor allem im Hinblick auf tendenziell längere Aufenthaltsdauern sind das mehr als erfreuliche Zahlen. Und es kamen im Sommer auch viele kurzentschlossene Gäste, die sich ein mögliches Chaos im Flugverkehr ersparen wollten. Darin steckt nun auch viel Potenzial für den Winter, weil Fernreisen im Sog des Ukraine-Krieges deutlich teurer werden. Und all das schlägt sich in einer höheren Wertschöpfung nieder. Karin Seiler, neue Geschäftsführerin der Tirol Werbung, lässt im ÖGZ-Interview aber bei einem anderen Thema aufhorchen.

ÖGZ: Frau Seiler, waren Sie im Juli schon auf dem Hintertuxer Gletscher? 
Karin Seiler: Nein, dazu hatte ich noch keine Zeit.

Ich frage deshalb, weil ein Video in den sozialen Medien die Runde macht, das für einiges an Aufregung gesorgt hat. Wissen Sie, welches ich meine?
Leider nicht.

Es zeigt Skifahrer, die auf wässrigem, grauem Schnee auf dem Hintertuxer Gletscher im Juli bei Rekordtemperaturen so tun, als könnten sie darauf tatsächlich Ski fahren. Das sind Bilder, die Touristikern den Magen umdrehen müssten, Naturschützern sowieso …
Wenn das jemand unreflektiert sieht, dann verstehe ich die Aufregung. 

Wie soll man denn solche Bilder reflektiert sehen?
Wir haben nur noch diesen einen Gletscher im Sommer geöffnet und der adressiert ausschließlich Profisportler. Der Hintertuxer Gletscher hat im Juli keine touristische Relevanz, das wird auch nirgendwo beworben. 

Können Profisportler nicht woanders trainieren?
Ja, beispielsweise in Chile. Aber ist es nachhaltiger, nach Südamerika zu fliegen?

Kommen wir von Südamerika wieder nach Tirol zurück. Wie haben Sie die ersten Monate als neue Chefin der Tirol Werbung erlebt? 
Ich komme aus dem Tourismus bzw. von einem großen Tourismusverband und war von 2012 bis 2015 als Marketingleiterin in der Tirol Werbung tätig. Daher kenne ich das Unternehmen mit seinen Strukturen und Abläufen bereits recht gut. Für jemanden, der keine Erfahrungen hat, wäre das tatsächlich alles ein bisschen viel auf einmal. Positiv ist jedenfalls, wie gut ich überall aufgenommen und akzeptiert werde. Auch seitens der Kolleginnen und Kollegen in den TVBs gibt es mir gegenüber eine sehr gute Akzeptanz. Man kann schnell in Themen einsteigen und zur Sache kommen. Das gefällt mir.

Wie geht es Ihnen mit Ihrem Team? Und was sind derzeit die größten Herausforderungen?
Es läuft ausgezeichnet, wir haben sehr viel Kompetenz hier im Haus gebündelt und ich bekomme von allen die nötige Rückendeckung. Eine Herausforderung sehe ich darin, wie wir die Tirol Werbung wieder thematisch etwas zuspitzen können. Denn wir machen wirklich viel und lassen praktisch kein Thema und keine Herausforderung aus.

Ihnen wird wohl nicht langweilig?
Nein, das kann man wirklich nicht sagen.

Welche neuen Themen beschäftigen Sie denn derzeit besonders?
Große Themen sind beispielsweise die Energiekrise oder der Mehrbedarf an Arbeitskräften. Das macht meine Arbeit komplexer. Die Zeiten, in denen man lediglich Imagewerbung gemacht und die Marke Tirol gestärkt hat, sind definitiv vorbei.  

Welche Vision haben Sie für den Wintertourismus in Tirol? Gibt es einen Winter ohne Skifahren?
Es gibt ein „Winterangebot plus“ neben dem Skifahren. Wenn man sich die ganzjährigen Hauptmotive der Urlauber ansieht, dann sind das „Abstand vom Alltag“, „Erholung suchen“ „Spaß“ oder „Eine schöne Zeit mit Familie verbringen“, aber auch „Natur genießen“ – im Sommer wie im Winter.  

Wo findet man den Sport in der Liste der Motive?
Der Sport selbst kommt da relativ weit hinten. Potenzielle Wintergäste sind auch all jene, die früher weggeflogen sind und am Meer Strandspaziergänge unternommen haben. Die hatten uns nur bisher nicht im Mindset abgespeichert, weil noch immer viele Gäste Tirol primär mit Skifahren in Verbindung bringen. Es gibt, nicht nur in Tirol, viele Gäste, die im Winter nicht Ski fahren wollen. Studien vor sechs Jahren haben bereits ein Gästepotenzial abseits vom Sport von vier Millionen ausgewiesen.  

Im Gesamtaufkommen sind die Nichtwintersportler aber immer noch eine Nische …
Das ist korrekt. Mit Nichtskifahrern wären die Hotels nicht ausgelastet. 

Was passiert, wenn eine Verordnung im kommenden Winter die Beschneiung der Skipisten wegen Energiemangels untersagen oder erst später erlauben sollte? 
Klug wäre das nicht. Eine spätere Beschneiung, beispielsweise ab Jänner, bringt nichts, das würde uns die Grundlage unseres Business entziehen. Das wäre so, als würde man dem Wellness-Hotel sagen, dass die Sauna oder die Zimmer nicht mehr beheizt werden dürfen. Schnee ist essenziell. Man darf nicht vergessen, was damit alles zusammenhängt. Da steckt mehr als eine Stromersparnis dahinter.

Warum gibt es im Osten, speziell in Wien, so wenig Verständnis für das Beschneien von Skipisten? Muss man das besser bewerben oder anders kommunizieren?
Ein Gegenbeispiel: Stellen Sie sich vor, eines Tages stehen Flug­reisen in einem massiv schlechten Licht da. Würde man deshalb Fernflüge streichen oder den Wiener Flughafen sperren? Oder würde man die voestalpine teilweise stilllegen, um Strom zu sparen? Eine Imagekampagne hilft da nicht, da braucht es einfach noch mehr Bewusstsein für den Tourismus. 

Nichtskifahrer verstehen nicht, dass man beschneien muss … 
… und sie schließen von sich auf alle anderen; das ist auch ein Grundproblem der sozialen Medien. 

Geben Sie mir ein kurzes Update zum Tiroler Weg? 
Es gibt weiter den politischen Wunsch, eine Bettenobergrenze einzuführen. Einige Gemeinden arbeiten an dahingehenden Beschlüssen. Tirolweit gibt es aber noch keine Entscheidung.  

Da sind die Südtiroler schon weiter …
Ja, in Südtirol wurde bereits eine landesweite Bettenobergrenze eingeführt.  

Zum Abschluss noch eine Frage: Wie sieht es mit der Nachhaltigkeitsstrategie aus?
Die haben wir auf den Weg gebracht und die Nachhaltigkeitsmanager in den Tourismusverbänden gesetzlich verankert. Außerdem wollen wir ein Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit in der Tirol Werbung aufbauen, das ist ein langfristiges und wichtiges Projekt.