Tirol

Wir brauchen eine starke Stimme in der Politik

Tirol
22.09.2022

Von: Daniel Nutz
Nach dem Abgang von Günther Platter wird der Tourismus-Landesrat nach den Wahlen neu besetzt. Als Vorsitzender des Tyrol Tourist Board (TTB), Tourismussprecher der Tiroler ÖVP und Tourismus-Spartenobman wird Mario Gerber ein Wörtchen mitreden. Wir sprachen mit ihm über die Erwartungen der Branche.
Mario Gerber
Mario Gerber ist mit seinen Hotels in Kühtai einer der größten Arbeitgeber der Gegend. Auch als Spartenobmann in der Wirtschaftskammer und als Volksvertreter im Landtag hat er die Interessen der Tourismusbranche im Fokus. 

ÖGZ: Wenn man sich die aktuellen Beschäftigungsstatistiken ansieht, arbeiten derzeit mit 40.500 ganze 1.280 Menschen mehr in den Tourismusbranchen als vor der Pandemie. Trotzdem fehlen massiv Arbeitskräfte – bei einer Arbeitslosenquote von nur 5,6 Prozent sind diese aber kaum zu finden. 
Mario Gerber: Unsere Branche steht vor riesigen Herausforderungen. Aber die Zahlen zeigen doch auch klar: Wir sind in der Dienstleistung nachweislich besser geworden, wir haben neue Arbeitszeitmodelle ermöglicht, sodass wir mehr Mitarbeitende benötigen. Es ist nicht so, dass niemand bei uns arbeiten will. Aber wegen des eigenen Erfolges der Branche brauchen wir mehr Leute. 

Die gibt es auf dem Arbeitsmarkt aber schlichtweg nicht. 
Wenn der heimische Arbeitsmarkt keine Arbeitskräfte bietet, müssen wir auf qualifizierte Zuwanderung zugreifen. Da braucht es einen radikalen Wandel. Wir können nicht mehr mit den kleinen Kontingenten umgehen – wenn wir 800 Leute für ganz Tirol bekommen, kommen wir damit nicht weit. Es muss einfach entsprechende Kontingente geben. Wir verlieren sonst Wertschöpfung und dann Wohlstand.

Die Quoten macht der Bund. Was kann die Landespolitik tun, und wieso hat man den ÖVP-Arbeitsminister in Wien noch nicht überzeugen können?
Wir brauchen eine starke Stimme in der Politik, die mit einem starken Auftreten aus Tirol heraus erklärt, worum es im Tourismus geht. Da geht es um Wohlstand, da geht es um die Lebensqualität, auch die der Einheimischen. Von Landesseite ist man dann natürlich immer vom Bund abhängig. Was wir in Tirol machen können, ist, dass wir über die Tirol Werbung gezielt Fachkräfte anwerben. Da braucht es eine Kampagne, die die Arbeit und unser schönes Land vermarktet und international populär macht. 

Man hört, da ist schon etwas am Laufen …
Als Vorsitzender des TTB bin ich schon dabei, das einzutakten. Ganz wichtig ist, wenn wir keine Leute in Österreich bekommen, dass wir die Möglichkeit haben, Leute ins Land zu holen. 

Laut einer österreichweiten Umfrage der Fachverbände Hotellerie und Gastronomie sehen 70 Prozent der Betriebe Energiepreise als großes Problem. Wie soll Tirol seinen Betrieben helfen?
Es braucht eine politische Regelung. Der Energiemarkt wurde bekanntlich liberalisiert und jetzt sieht man, was dabei rauskommen kann. Es kann nicht sein, dass es eine Strompreisbremse gibt für Haushalte, aber nicht für Unternehmen. Normal gilt: Ein Unternehmer muss seine Preissteigerungen auf Verkaufspreise umlegen. Im Tourismus zahlt das dann der Gast. Jetzt ist die Situation anders. Die derzeit vorherrschenden Kostenexplosionen sind aber existenzbedrohend. Da braucht es einen Eingriff. 

Der Tiroler Landesenergieversorger kann prinzipiell günstig Strom aus Wasserkraft erzeugen. 
Die Tiwag ist im Landesbesitz und ich denke, dass die Mehrgewinne der Bevölkerung und der Unternehmen Tirol zugute kommen müssen. Auf politischer Ebene müssen wir wieder von der Merit-Order wegkommen. Wir hatten ein System, das 50 Jahre geklappt hat. Das hat man geändert, und jetzt steht alles auf der Kippe. Ich sehe die Energiepreis-Debatte als größere Herausforderungen als Corona für unsere Branche. Es muss schnellstmöglich dran geschraubt werden, da der Tourismus im Winter eine riesengroße Rolle für unsere Wertschöpfung spielt.

Ist das nicht ein Eingreifen in den freien Markt und die geltenden Spielregeln?
Ich finde es nicht gut, dass das ­Aktienrecht als Schutzschild vorgeschoben wird. Die Tiwag gehört zu 100 Prozent den Tirolern und Tirolerinnen. Die Politik in Tirol hat der Bevölkerung und den Betrieben eine finanzierbare Energie zur Verfügung zu stellen. 

Worüber wenig gesprochen wird, ist das Thema Energiesparen. In den 1970er-Jahren musste man sich in einer ähnlichen Situation noch auf die Autos Plaketten für einen auto­freien Tag kleben. Müssen wir nicht auch einfach sparen?
Ich glaube, man muss sich mit dem Thema auseinandersetzen. Prinzipiell bin ich aber der Meinung, dass der Tourismus im Vergleich zu Handel, Gewerbe und Industrie in Sachen Nachhaltigkeit locker standhalten kann. Das muss auch mal gesagt werden. Natürlich gibt es noch Einsparpotenziale. Wir können etwa Saunen später einschalten, aber ganz darauf zu verzichten geht natürlich wegen der Wettbewerbssituation mit Italien und der Schweiz nicht. Wir werden jedenfalls evaluieren, wie nachhaltig wir sind und bei welchen Faktoren wir noch energieeffizienter werden können. 

Beim Thema Nachhaltigkeit im Tourismus kommt man schnell zum Thema Mobilität, das am meisten Einsparpotenzial hat. 
Wir arbeiten in Tirol bereits an dem Thema. Im Tiroler Weg ist die Nachhaltigkeit ja bereits sehr stark verankert. Es gibt dieses Problem des letzten Kilometers, das wir uns anschauen. Das zweite Thema ist die Frage: Wie stellt man die Nachhaltigkeit im Tourismus dar und vor allem wie misst man sie? Es ist ganz wichtig, dass der Tourismus-Landesrat in Zukunft diesen Weg der Nachhaltigkeit weitergeht. Wir brauchen aber endlich einmal sinnvolle KPIs für eine objektive Messung. Wenn wir herunterrechnen wollen, wie viel CO2 ein einzelner Gast emittiert, dann ist das sinnlos, weil wir es nicht messen können.

Auf EU-Ebene wird das Thema Taxonomie derzeit diskutiert. Es geht im European Green Deal um einen kompletten Umbau der europäischen Wirtschaft. Darauf muss auch der Tourismus vorbereitet werden. Es geht ja um Investments in die Zukunft. 
Generell wird sich der Tourismus nicht gegen Nachhaltigkeit stellen. Natürlich müssen wir unseren Beitrag für eine lebenswerte Welt leisten. Wir müssen versuchen, unterschiedliche KPIs in einen Zusammenhang zu bringen. Es macht natürlich einen Unterschied, ob ich meinen Infinity-Pool über Hackschnitzel oder Erdöl heize. Ich glaube, der kommende Tourismus-Landesrat muss genau dieses Praxiswissen mitbringen und so die Interessen der Branche bestmöglich vertreten. Wir stehen touristisch natürlich auch immer in einer Konkurrenzsituation. Ich bin überzeugt, dass wir in Tirol viel nachhaltiger sind als z. B. der Tourismus in New York. 

Stichwort Tourismusgesinnung. In Tirol ist die Diskussion zwischen Vertretern der Umweltbewegung und Touristikern etwas schärfer als anderswo. Sind die Fronten derart verhärtet?
Ich glaube nicht. Der Tourismus ist eine Erfolgsstory. Es ist an der Zeit, dass wir mit einer modernen, neuen und verständnisvollen Stimme kommunizieren. Aber es kann nicht sein, dass im Land ständig der Tourismus für alles Schlechte verantwortlich gemacht wird. Darum habe ich ja das Dialogforum Tourismus ins Leben gerufen. Mir ist es wichtig, im „Ökosystem Tourismus“ mit Entscheidungsträgern aus dem Tourismus, aber auch mit den kritischen Stimmen zusammenzusitzen und zu diskutieren. 

Was ist das Ziel dieses Dialogs?
Das Wort Dialog heißt ja, in ein Gespräch einzutreten, wo beide Seiten ihre Standpunkte darlegen, man Verständnis erzeugt und mit dem größtmöglichen gemeinsamen Nenner in die Zukunft geht. Der Naturschutzverein, der Kletterverein oder auch die Grünen gehören ja alle dazu. Erfolgreicher Tourismus funktioniert, wenn wir einen Großteil der Beteiligten abholen. Wir müssen sicher in Zukunft die eine oder andere Stellschraube im Tourismus drehen. Speziell in den Tälern muss es uns gelingen, gemeinsam zu wirtschaften. 

In Tirol ist der Impact, den der Sektor für die Gesamtwertschöpfung hat, besonders groß.
Mir kommt oft vor, es gibt die Wirtschaft, dann den Tourismus und dann den Rest. Aber Tourismus ist Wirtschaft! Wir müssen die Wirtschaft und die Bevölkerung hier einfach zusammenbringen.