Nachhaltigkeit

Das Rezept für Klimaschutz

28.08.2025

Vanessa Roi und David Dolleschall zeigen mit ihrem Restaurant „Das Liebig“ in Graz, wie verantwortungsvolle Gastronomie konsequent und genussvoll umgesetzt werden kann. Dafür wurden sie für den Trigos 2025 in der Kategorie Klimaschutz nominiert.

Trigos 2025 – das steht für Österreichs renommierteste Auszeichnung für verantwortungsvolles Wirtschaften. Aus über 150 Einreichungen hat eine unabhängige Fachjury 18 Projekte in sechs Kategorien nominiert. In der Kategorie Klimaschutz ist 2025 auch ein Gastronomiebetrieb dabei: „Das Liebig“ aus Graz. Vanessa Roi und David Dolleschall, die das Restaurant gegründet und aufgebaut haben, verfolgen einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz – von der Bio-Zertifizierung über die genaue CO₂-Kalkulation ihrer Gerichte bis hin zu Mehrweglösungen und Bildungsarbeit. Ihr Ziel: zeigen, wie klimafreundlich Gastronomie heute wirklich sein kann. Im Gespräch mit gast.at erläutern Sie ihr Rezept für den Klimaschutz.

gast.at: Wie entstand die Idee, ein Gastronomiekonzept zu schaffen, bei dem ausschließlich Gerichte angeboten werden, deren CO₂-Emissionen mindestens 50 % unter dem europäischen Durchschnitt liegen?

Vanessa Roi: Betrachtet man das inzwischen gut bekannte Bild des CO₂-Fußabdrucks eines Menschen, fällt schnell auf, dass ein verhältnismäßig großer Bereich der individuellen Emissionen im Bereich der Ernährung entsteht: Weltweit betrachtet ungefähr ein Drittel des persönlichen Fußabdrucks, in Graz zwischen 24 und 26 Prozent (Stand 2024) – und somit ein weit größerer Bereich als etwa der Verkehr! Damit hat dieses Segment eine unglaublich große Hebelwirkung, um die Klimaziele der EU für 2050 zu erreichen, wenn dort eine Verbesserung erzielt wird.
Mit dieser Erkenntnis war unser Interesse geweckt, ein Konzept zu entwickeln, das bereits bestehende Einzellösungen unter ein Dach holt und so ein umfassendes Gastronomiekonzept mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen für eine zukunftsfähige Branche entstehen lässt.

Wir waren uns schnell sicher, dass wir uns diesem Thema annehmen und herausfinden wollen, wie klimafreundlich Gastronomie sein kann.

David Dolleschall

David Dolleschall: Außerdem haben wir beide in früheren Jobs in der Gastronomie während des Studiums sowie in der jeweils noch voneinander unabhängigen Selbstständigkeit im Eventbereich ein leider sehr umfangreiches Bild davon gewinnen können, wie ungenutzt dieses Optimierungspotenzial in der Branche noch ist. Wir waren uns schnell sicher, dass wir uns diesem Thema annehmen und herausfinden wollen, wie klimafreundlich Gastronomie sein kann – natürlich ohne Abstriche bei Genuss oder Ambiente.

Sie arbeiten bei der Berechnung der CO₂-Werte eng mit der Plattform eaternity.org zusammen. Wie genau sieht diese Kooperation aus?

Vanessa Roi: Wir nutzen seit unserer Gründung ein kostenpflichtiges Paket vom Schweizer Anbieter eaternity.org, der weltweit die größte Datenbank für Lebensmittelemissionen betreibt. Die Datenbank wird von führenden Forschungsinstitutionen gespeist und bleibt damit stets aktuell. Das Interface für uns ist ein digitales Rezeptverzeichnis, in dem wir all unsere Rezepte eintragen, die Zutaten individuell konfigurieren (beispielsweise Herkunft, Verpackungsart oder bio/konventionell) – und daraufhin von eaternity zahlreiche Daten erhalten, darunter auch die CO₂-Emissionen.
Bei uns wird nur serviert, was die bereits genannten mindestens 50 % Einsparung im Vergleich zum europäischen Durchschnitt erzielt. Der Referenzwert, den eaternity verwendet, ist der europäische Warenkorb, der alle fünf Jahre neu berechnet wird und somit auch Entwicklungen im Sektor berücksichtigt.

Wie zufrieden sind Sie mit den Daten?

David Dolleschall: Wir sind mit der Aufmachung sowie den Werten und Daten sehr zufrieden. Wir könnten darüber hinaus ganze Menüpläne zusammenstellen und für mehrere Wochen im Voraus planen – und ein Rezeptverzeichnis ist ja ohnehin für die Lebensmittelkontrolle verpflichtend, das erledigt sich also gleich mit.

David Dolleschall und Vanessa Roi
David Dolleschall und Vanessa Roi (C) R&D Gastro OG

Welche innovativen Möglichkeiten und Herausforderungen ergeben sich daraus für Ihre tägliche Praxis?

Vanessa Roi: Von „Herausforderungen“ würden wir nicht sprechen, aber natürlich geht ein gewisser zeitlicher Aufwand damit einher, alle Rezepte vorab einzutragen und alle Produkte zu konfigurieren. Das betrifft besonders Betriebe wie uns, die stark saisonal arbeiten und alle zwei Monate die Karte wechseln. Dazu kommen wöchentlich wechselnde Mittagsteller. Neues Küchenpersonal muss sich erst einmal vertraut machen – aber das ging bei uns immer schnell. Für Einkauf und Planbarkeit ist diese Art des Rezeptverzeichnisses goldwert – und auch für das Team ist es sehr hilfreich, dass alle auf einheitliche digitale Informationen zugreifen können.

David Dolleschall: Natürlich ist es uns auch schon passiert, dass sich ein Rezept oder ein Lieblingsgericht, das wir gerne auf die Karte genommen hätten, von den Einsparungswerten her nicht ausgegangen ist. Aber dieser strenge Wert ist ja eine selbstgewählte „Hürde“. Oft kann man durch Rezeptanpassung und einen höheren Anteil an pflanzlichen Zutaten trotzdem eine Lösung finden. Wie man hoffentlich merkt: Wir sind sehr zufrieden mit eaternity.org und dankbar, einen wissenschaftlich zuverlässigen Partner gefunden zu haben.

Das Liebig verfolgt einen umfassenden Nachhaltigkeitsansatz – von 100 % Ökostrom über strenge Bio-Auswahl bis hin zu eigenen Mehrweglösungen. Welche Maßnahme hat in Ihrer Praxis bislang die größte positive Wirkung entfaltet – und warum?

David Dolleschall: Das ist schwer zu sagen, weil viele Maßnahmen miteinander verwoben sind. Rein auf die positiven Auswirkungen für Klima und Planet bezogen, würden wir sagen: sämtliche Maßnahmen zur Reduktion von Lebensmittelabfällen. Denn dieser Faktor ist wissenschaftlich betrachtet für einen enormen Anteil der Emissionen im Ernährungsbereich verantwortlich – und wird in der Gastronomie oft vernachlässigt.
Bei uns beginnt das mit einem sehr genauen Einkauf für eine eher klein gehaltene Speisekarte mit hohem Anteil pflanzlicher Zutaten. Wir kalkulieren nicht mit Übermengen. Wenn ein Gericht oder eine Komponente am Ende eines Tages oder der Woche aus ist, dann ist das eben so – besser, als ständig volle Kühlhäuser mit verderblicher Ware zu haben. Da wir biologische Zutaten von großteils kleinen regionalen bäuerlichen Betrieben beziehen, können wir „root to leaf“ alles verwenden – das spart Rohware und Arbeitszeit.

Vanessa Roi: Außerdem gilt bei uns: „you can eat all“ statt „all you can eat“. Alle Elemente am Teller sind zum Verzehr gedacht und geschmacklich eingebunden – keine lieblosen Dekosalate. Die Portionen sind realistisch, wer mehr möchte, kann jedes Gericht als XL bestellen. Das reduziert Tellerreste. Und falls etwas übrig bleibt, bieten wir verschiedene Mehrweglösungen zum Mitnehmen an.

David Dolleschall: Sehr wirkungsvoll ist auch unser Bildungsbereich: durch Gespräche mit Gästen, Caterings, Workshops, Vorträge, Podcast-Aufnahmen oder Fortbildungen geben wir vielen Menschen Denkanstöße – und zeigen, wie klimafreundliche Ernährung auch im Alltag möglich ist.

Die CO₂-Werte Ihrer Gerichte werden transparent gegenüber den Gästen kommuniziert. Wie reagieren Ihre Gäste auf diese innovative Transparenz?

Vanessa Roi: Unsere Gäste reagieren durchwegs positiv auf die transparent kommunizierten CO₂-Werte! Wir zeigen sowohl die absolute Einsparung als auch eine veranschaulichte Umrechnung – etwa in die Anzahl von Laubbäumen, die diese Menge CO₂ binden müssten, oder in Stunden Streaming. Gerade bei Caterings – besonders, wenn wir sie vor Ort betreuen – werden wir regelmäßig gefragt, was diese Werte bedeuten und wie sie zustande kommen. Auch entscheiden sich viele bewusst für vegane oder vegetarische Varianten mit besseren Einsparungswerten. Da wir viele Caterings an Grazer Universitäten machen, ist dort auch ein hohes wissenschaftliches Interesse vorhanden. Viele unserer Gäste – von Studierenden bis Professor*innen – stellen Fragen oder laden uns zu Podiumsdiskussionen oder Workshops ein. Wir hören oft: „Ich habe dieses Gericht bestellt, weil es die höchste Einsparung hatte.“ Gerade mittags ergibt sich eine spannende Verteilung: rund 30 % vegan, 40 % vegetarisch, 30 % Fisch/Fleisch.

Unsere Empfehlung: einfach anfangen. Der erste Schritt macht oft den größten Unterschied.

Vanessa Roi

Welche Veränderungen im Konsumverhalten konnten Sie beobachten?

David Dolleschall: Wir wollen nie mit dem Zeigefinger agieren. Unsere Servicekräfte beantworten Fragen gern, sprechen das Thema aber nicht proaktiv an. Der Genuss soll im Vordergrund stehen. Zu Beginn hatten wir handgeschriebene Aufsteller mit den Wochentellern und CO₂-Werten auf der Rückseite – da wurden wir täglich gefragt, was der Vergleichswert ist. Die Antwort: Der europäische Durchschnitt, gemessen am sogenannten „europäischen Warenkorb“, der alle fünf Jahre aktualisiert wird. Manche Gäste haben anfangs Einsparung mit Emission verwechselt – also hohe Einsparung fälschlich als hohen Ausstoß gelesen. Das ließ sich aber immer schnell klären.

Wie bewerten Sie Ihre bisherigen Erfolge hinsichtlich der Klimabilanz des Betriebes, und welche weiteren Potenziale sehen Sie, um künftig noch klimafreundlicher zu werden?

Vanessa Roi: Das größte Potenzial liegt darin, mengenmäßig noch mehr klimafreundliche Speisen auf den Teller zu bringen – nicht nur bei uns, sondern auch durch Beratung anderer Betriebe. Daran arbeiten wir aktuell sehr intensiv. Je mehr klimafreundliche Speisen verkauft werden – egal ob bei uns oder durch andere –, desto größer ist der Hebel für unseren Planeten.

Was motiviert Sie persönlich dazu, das Thema Nachhaltigkeit in der Gastronomie so konsequent und ambitioniert umzusetzen?

David Dolleschall: Wir lieben beide Genuss und Kulinarik – und sind begeistert von den großartigen Zutaten, die unser Planet hervorbringt. Da liegt es nahe, sie auch für künftige Generationen erhalten zu wollen – als Gastronomen, aber auch als Eltern.

Vanessa Roi: Für uns ist nachhaltige Gastronomie kein Hindernis, sondern eine Quelle von Freude und Stolz. Wir arbeiten mit regionalen, saisonalen, geschmacksintensiven Bio-Zutaten, und daraus entstehen in Handarbeit ehrliche Speisen. Das fühlt sich nicht nach Verzicht an.

Was würden Sie anderen Gastronom*innen empfehlen, die ebenfalls nachhaltiger wirtschaften möchten?

Vanessa Roi: Viele Betriebe schrecken davor zurück, zum Beispiel CO₂-Werte zu berechnen – aus Angst vor dem Mehraufwand. Dabei ist es eigentlich ganz einfach, wenn man sich einmal eingearbeitet hat. Die Software von eaternity.org hilft enorm.

David Dolleschall: Es heißt oft: „Wenn das funktionieren würde, würde es ja jemand machen.“ Und genau deshalb wollen wir Vorreiter sein. Wir zeigen, dass klimafreundliche Gastronomie funktioniert – und das wirtschaftlich, kulinarisch und menschlich.

Vanessa Roi: Unsere Empfehlung: einfach anfangen. Der erste Schritt macht oft den größten Unterschied. Auch wir haben nicht alles sofort perfekt gemacht – aber mit jedem weiteren Schritt kamen wir dorthin, wo wir heute stehen.

Trigos 2025
Trigos LogoDer Trigos ist Österreichs wichtigste Auszeichnung für verantwortungsvolles Wirtschaften. 2025 werden in sechs Kategorien insgesamt 18 Projekte ausgezeichnet. Die Verleihung findet am 2. Oktober 2025 in der Markterei in Wien statt.
Mehr Infos: www.trigos.at

Das Liebig
Das biozertifizierte Restaurant in Graz verfolgt einen konsequent klimafreundlichen Ansatz: Nur Gerichte, deren CO₂-Emissionen mindestens 50 % unter dem europäischen Durchschnitt liegen, kommen auf die Karte. Dazu kommen Maßnahmen wie 100 % Ökostrom, eigene Mehrwegsysteme, Bildungsarbeit und konsequente Abfallvermeidung.
Mehr Infos: www.dasliebig.at

eaternity.org
Die Schweizer Plattform stellt die weltweit größte wissenschaftlich fundierte Datenbank für Lebensmittelemissionen bereit. Gastronom*innen können über ein digitales Rezepttool die CO₂-Bilanz ihrer Gerichte berechnen und transparent ausweisen.
Mehr Infos: www.eaternity.org

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