Die ewige Nummer zwei
Der schnelle Ruhm lockt: Viele Köche streben früh nach Hauben, Sternen und Co. Ganz selten gibt es aber noch solche, die jahrelang an zweiter Stelle ausharren.

Bild oben: Antonino Alampi (l.) steht im Schatten von Antonio Colaianni. Seit sieben Jahren ist er sein Küchenchef.
Als Mitja Birio im vergangenen November von Gault Millau zum Koch des Jahres gekürt wird, versammelt sich im 7132 Hotel in Vals, Graubünden, die Schweizer Kochelite fast lückenlos. Nach dem offiziellen Teil gibt es Häppchen. Man stößt an, pflegt Kontakte, genießt einen dieser seltenen Momente, in denen man die bekannten Gesichter wiedersieht.
Die meisten stehen. Einer sitzt am Tisch und beobachtet das Geschehen still. Es könnte ihm unangenehm sein, dass ihn viele nicht kennen. Diesen Eindruck macht er nicht. Das Rampenlicht überlässt er gerne den anderen.
Es ist Antonino Alampi, Küchenchef im Ristorante Ornellaia, Michelin-Stern, 16 Gault-Millau-Punkte. Nur einen Steinwurf von der Zürcher Bahnhofstraße entfernt. Warum ihn dennoch nur die wenigsten Berufskollegen kennen: Er ist die Nummer zwei im Schatten von Antonio Colaianni. Letzterer hat eine treue Fangemeinde, ist der große Name und das Gesicht des Restaurants. Er macht im Lokal die Runde, holt das Lob der Gäste ab, erntet Applaus von den renommierten Guides, sammelt Punkte und Sterne. Und Alampi? Der war früher auch mit Punkten im Gault Millau und im Guide Michelin, etwa als er im Il Casale in Wetzikon kochte. Seit sieben Jahren arbeitet er Seite an Seite mit Colaianni. Den Platz an der Sonne überlässt er diesem gerne.
Der 47-jährige Alampi ist einer der wenigen Spitzenköche im Land, die über viele Jahre im Hintergrund an zweiter Position bleiben. Die nicht die Überholspur wählen. Die ihre Bestätigung nicht in Punkten und Sternen und in möglichst vielen Followern auf den sozialen Medien suchen. Höchste Zeit, diese loyalen Schattenleute auf ein Podest zu hieven.
Platz gefüllt, ein ganz gewöhnlicher Mittag. Hinter der Glasscheibe kochen Colaianni, Alampi und Co. Die Gäste können ihnen dabei zuschauen. Das Ensemble scheint zu funktionieren, die zwei Chefs tauschen Blicke aus, mehr nicht. Nur einmal enerviert sich Colaianni kurz. „Die Sauce war nicht kontrolliert“, erklärt er später.
„Wir haben einen neuen Saucier. Deshalb gab ich Antonino die Anweisung, er solle die Saucen kontrollieren. Als ich sah, dass die Konsistenz trotzdem nicht passte, war ich genervt. Das teilte ich Antonino und dem Saucier klipp und klar mit.“ Alampi nickt und lächelt.
Er erinnert sich an frühere Zeiten im Restaurant Gustav. Damals teilte Colaianni verbal noch anders aus. Hinter verschlossener Tür, nicht vor dem Gast. „Ich bin der, der flucht“, gibt Colaianni zu. „Antonino ist der Ruhige. Ich habe diesbezüglich viel von ihm gelernt und bin froh darüber. Wenn ich heute mit meinen Köchen so umgehen würde wie früher, hätten wir keine Leute mehr.“

© Valeriano Di Domenico
Gar schon elf Jahre arbeitet Kevin Fernandez am selben Ort, im Restaurant Talvo in Champfer in Graubünden. Vor sechs Jahren ist er zum Sous-Chef von Martin Dalsass aufgestiegen. Ein bemerkenswert loyaler Werdegang für einen so jungen Koch. „Er ist jung und ehrgeizig, muss noch ein wenig reifen, aber er kann Menschen führen“, lobt Dalsass, dessen Betrieb mit einem Michelin-Stern und 18 Punkten ausgezeichnet ist. „Ich habe immer mit sehr jungen Köchen zusammengearbeitet. Meistens ziehen sie nach spätestens fünf Jahren weiter.“
Nicht so der Sohn spanischer Einwanderer. Vom Chef erntet er Wertschätzung und viel Vertrauen. Die Menükarte schreiben sie mittlerweile gemeinsam, beim Anrichten lässt ihm der Südtiroler Spitzenkoch den Vortritt. „Kevin hat das bessere Auge für den feineren Stil.“
Dalsass bedauert, dass nicht mehr Jungköche einen solchen Weg wählen. „Viele wollen mit 22 oder 23 Küchenchef werden. Ihnen fehlt die Erfahrung.“ Fernandez’ Verbleib ist ein Glück für beide Seiten. Und für die Gäste. In zwei Jahren will Dalsass in den Ruhestand treten, der Sous-Chef darf übernehmen. „Wir haben mit den Besitzern des Hauses Gespräche geführt. Wir sind alle glücklich darüber, dass mein Nachfolger der Linie treu bleibt. Wobei Kevin natürlich mit der Zeit seinen eigenen Stil einfließen lassen wird.“
Dalsass glaubt aber nicht, dass Fernandez aufgrund der Perspektive, Küchenchef zu werden, schon so lange die Nummer zwei ist. Dafür braucht es ein stimmiges Arbeitsumfeld und einen Menschen, der sich nicht von falschen Reizen irritieren lässt. Nicht von Instagram und Gleichaltrigen, die nach dem schnellen Ruhm streben. Nicht von Netflix-Serien und Guides, die manch einen über Nacht zum Star hochjubeln. Dalsass: „Kevin versteht mich.“
Text: Benny Epstein / Gastro Journal