Kommentar: Die Steuerreform und die Überforderung der Gehirne

Kommentar
06.10.2021

Von: Daniel Nutz
Warum geht das mit dem ökologischen Wandel so langsam? Der Versuch einer Erklärung. 
Radikale Veränderungen tun unserem Hirn nicht gut. Auch wenn sie notwendig wären.

Systeme grundlegend zu verändern ist ein äußerst schwieriges Unterfangen. Autopoiesis nennen Biologen das Phänomen, dass sich lebende Systeme immer aus ihrer eigenen Funktionsweise heraus selbst erneuern. Das Ganze geht so lange gut, bis sich die natürlichen Rahmenbedingungen ändern – im schlimmsten Falle droht dann der Kollaps. 

Die Erkenntnis, dass Verhalten vom System vorgegeben werde, haben sich auch Soziologen zu eigen gemacht. 

Neuester Anwendungsfall dieser Theorie: die nun präsentierte ökosoziale Steuerreform. Das simple Prinzip einer solchen wäre: Klimaschädliches Verhalten soll durch Besteuerung vermindert werden, wofür es für umweltschonendes Verhalten eine Belohnung gibt. Bemerkenswert: Bundeskanzler Kurz stellt dies gar nicht so dar. Der ÖVP-Chef spricht letztlich von einer riesigen Entlastung für alle und betont noch in einem Nebensatz, dass die Mehrkosten für Benzin, Diesel und Co durch den Ökobonus ausgeglichen würden. Die Botschaft: Keine Sorge, alles bleibt, wie es ist!

Dieses Verhalten ist aus Sicht des politischen Systems verständlich, denn wer Autofahrer verärgert, droht die nächste Wahl zu verlieren. Eigentlich erwartet man sich von einer Regierung aber, dass sie die Zukunft gestaltet. Und war die Ökologisierung des Steuersystems nicht der Hauptgrund, warum die Grünen in diese Regierung gingen? 

Was verpasst wurde: Eine weitreichende ökosoziale Steuerreform hätte vor allem der Tourismusbranche viel gebracht, weil mit höheren Energiepreisen eine entsprechend hohe Entlastung der Lohnnebenkosten möglich gewesen wäre. Denn mehr netto vom brutto wäre ein Mittel, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Den milliardenschweren Tech-Konzernen können Lohnnebenkosten dagegen ziemlich egal sein. 

Ein Verhau ist diese Steuerreform aber deswegen noch nicht. Es ist ein kleiner Schritt hin zu einer Systemänderung. Und vielleicht ist das gut so. Radikale Änderungen ertragen lebende Organisationen (und besonders Gehirne) schwer – wie uns die Neurobiologen sagen. Und in Österreich bewegt man sich traditionell langsamer. 

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