Gastronomiekonzepte

Wer hat Angst vor der Ghost-Kitchen?

Gastronomie
28.06.2022

Mit ihrem rasanten Wachstum und dem geänderten Konsumverhalten drängt sich eine Frage auf: Ist die Ghost-Kitchen eine Gefahr für die klassische Gastronomie? Oder kann sie eine Ergänzung sein, die für mehr Umsatz sorgt?
Eine leere Burgerschachtel

Von der Nische in den Mittelpunkt: So könnte man die Entwicklung beschreiben, welche die sogenannten „Ghost-Kitchens“ in den letzten Jahren durchgemacht haben. Wohin die Reise auch in Europa tatsächlich gehen könnte, davon kann man sich ein Bild machen, wenn man in die USA blickt: Mit Ende 2021 gab es bereits landesweit 1.500 Betriebe bzw. Küchen, die unter die Kategorie „Ghost-Kitchen“ fallen.

Bei dieser Betriebsform handelt es sich um Restaurants, die Gäste nicht im klassischen Sinn bedienen. In einer Ghost-Kitchen wird nur gekocht. Die fertigen Speisen werden ausgeliefert. Eine Disruption der Alltagsgastronomie?

Die US-Schnellrestaurantkette Wendy’s ist vor allem in den USA und Kanada aktiv. Derzeit gibt es mehr als 6.700 Wendy’s-Restaurants in 27 Ländern weltweit. Auf der Speisekarte der populären Kette finden sich neben Burgern und Pommes frites vor allem Sandwiches. 5.200 Wendy’s-Filialen werden von Franchisenehmern betrieben, 1.400 vom Unternehmen selbst.

Welche Ghost Kitchen-Start-ups gibt es?

Das wäre noch nicht besonders aufregend. Spannender ist da schon die Tatsache, dass Wendy’s den Trend mehr als ernst nimmt und plant, in naher Zukunft 700 reine Lieferrestaurants zu eröffnen. In diesem unternehmerischen Umdenken spielen aber nicht nur große und kleinere Restaurantketten eine Rolle. Mittlerweile gibt es in den USA Start-ups wie Shef und WoodSpoon: Hier sind Privatpersonen die Köche. Gäste bestellen über eine App und bekommen Homemade-Speisen aus Privatküchen nach Hause geliefert.

Sushi und Schnitzel aus einer Küche

Eine professionelle Ghost-Kitchen schert sich nicht um gute Lagen und hohe Mieten. Sie sollte lediglich gut erreichbar sein bzw. verkehrstechnisch günstig liegen. Zudem kann sie für mehrere Gastro­konzepte kochen und ausliefern. Burger, Sushi, Pizza und Schnitzel aus einer Küche? Warum nicht? 
Eine Ghost-Kitchen ermöglicht es aber auch bestehenden Restaurants, die Zubereitung ihrer Delivery- und Take-away-Speisen auszulagern, ohne die eigene Küche zu belasten. Oder man denkt noch größer: Das gut gehende, hippe Restaurant in Linz könnte nach Wien expandieren – ganz ohne eigenen Standort, ohne hohe Mieten und ganz ohne Personalsorgen –, lediglich mit einem Zustellpartner und einem soliden Marketingkonzept.
Dieser Idee folgend, wurde in den USA das Start-up „Reef Kitchen” gegründet.

Eine Firma, die mobile Küchen in der Größe eines Schiffscontainers vermietet: an junge Köche, die liquiditätsschonend und ohne finanzielles Risiko ihre ersten Schritte machen wollen. An Restaurants, die in anderen Städten bekannter werden wollen. Eine mobile Küche, in der Köche Lieferaufträge von mehreren Restaurants annehmen – von indisch bis italienisch. Für den Unternehmer eine Möglichkeit, innerhalb kurzer Zeit eine zweite Küche zu bespielen. Angesichts der Kosten für Miete, Equipment und Co nicht die schlechteste Idee – aus Unternehmersicht. Das Reef-Konzept ermöglicht es aber auch, die mobile Küche inklusive Koch anzumieten. Die Frage, wie die Qualität der Speisen ausfällt und ob dies nicht sogar geschäftsschädigend sein könnte, sollte man sich in diesem Fall allerdings auch unbedingt vorab stellen. 

Wie funktionieren Bestellung und Lieferung bei einer Ghost Kitchen?

  • Bestellungen treffen ein (manche Ghost-Kitchen-­Anbieter stellen Software zur Verfügung, welche die ­Bestellungen von allen Plattformen auf einem Gerät bündelt).
  • Sie konzentrieren sich aufs Kochen und Verpacken.
  • Essen ist fertig? Sie oder der Ghost-Kitchen-Anbieter übergeben es dem Fahrer.

Sind Ghost Kitchens ein Wachstumsmotor für die Gastronomie?

Nach Schätzungen des US-Unternehmens MenuSano wird der Ghost-Kitchen-Markt in den USA bis 2027 einen Jahresumsatz von 71,4 Milliar­den US-Dollar (67,9 Mrd. Euro) generieren. Zum Vergleich: 2019 lag der Umsatz noch bei 43,1 Milliarden US-Dollar (41 Mrd. Euro). 

Zweifelsohne muss die Gastronomie auf sich schnell ändernde Essgewohnheiten und Verbraucher­trends reagieren, dabei könnten Ghost-Kitchens Teil einer intelligenten Diversifizierungsstrategie sein. Denn die Zahl der Online- und App-basierten Bestellungen wird sicher nicht sinken, im Gegenteil. Und Gäste wollen bestmögliche Qualität in immer kürzeren Zeiträumen geliefert bekommen. Das bedeutet, dass es für das Restaurant oder die Ghost-Kitchen immer wichtiger wird, auf Technologien zu setzen, die den Zeitraum zwischen Bestellung und Auslieferung so kurz wie möglich halten. Das sorgt für Wachstum und positive Kundenerlebnisse. 

Was ist eine Ghost Kitchen?

Wenn Lieferservice-Mahlzeiten in einer professionellen Produktionsküche zubereitet werden, die nur zu diesem Zweck eingerichtet wurde, dann spricht man von einer Dark, Ghost- oder Cloud-Kitchen. Diese „Restaurants ohne Gastraum“ kochen ausschließlich für Delivery – und zum Teil auch für Take-away.

Ursprünglich in London erfunden, bietet das Konzept ein risikoarmes Experimentierfeld für neue Gastrokonzepte, Verkaufsstrategien und Wege der Marktbearbeitung, ohne dass immer gleich ein physisches Restaurant hochgezogen werden muss. 

Ghost-Kitchens bauen auf dem grundlegend veränderten Verbraucherverhalten auf, mit dem alle Restaurants bereits Erfahrungen gemacht haben. Sie senken die Kosten, die mit einem stationären Gästebetrieb einhergehen, und profitieren voll von steigenden Online-Bestellungen.

Vorteil für Betreiber: Hohe Planbarkeit und volle Kostenkontrolle. Es ist keine teure Location in guter Lage notwendig, und man benötigt kein Service-Personal. Das Angebot kann voll auf Speisen ausgerichtet werden, die sich besonders gut und ohne Qualitätsverlust ausliefern lassen.

Was sagt der Food Report 2023 von Hanni Rützler?

Trendforscherin Hanni Rützler sieht in ihrem kürzlich erschienenen Food Report 2023 einen Trend als Versuch, eine Antwort auf die drängenden Probleme unserer Zeit zu finden. Zwar sind die Nachhaltigkeit und Resilienz unserer Lebensmittelsysteme das bestimmende Thema der nächsten Jahre. Aber auch Indoor-Farming, Zero-Waste, Ghost-Kitchen und die damit einhergehende starke Expansion der Delivery-Plattformen sind gekommen, um zu bleiben. 

Eine geschlossene, braune Karton-Burgerschachtel
Eine Ghost Kitchen senkt die Kosten, die mit einem stationären Gästebetrieb einhergehen  und profitieren voll von steigenden Online-Bestellungen.

Wie hat sich das Verbraucherverhalten verändert?

Aktuellen Zahlen zufolge nehmen Lieferangebote aller Art weiter zu. Essenslieferungen werden 2025 voraussichtlich einen Marktanteil von 21 % (Quelle: Statista) erreichen. Das ist veränderten Lebensgewohnheiten durch demografischen Wandel, Urbanisierung und die Pandemie geschuldet. Neben „Delivery” und „Take-away” gewinnen aber auch fertig vorbereitete „Dining at Home“-Pakete bei Gästen an Beliebtheit. Vom Imbiss bis zum Sterne-Restaurant nutzen viele Betriebe diese Extra-Umsatzquelle. Aber auch der Lebensmittelhandel und Spezialversender bieten Lösungen für alle, die keine Zeit zum Einkaufen haben oder auf der Suche nach neuen Rezeptideen sind. Mjam-CEO Chloé Kayser, die mit ihrem Zustellservice in Wien bereits der Platzhirsch ist, will das mjam-Angebot weiter ausbauen: „Ziel ist es, nach Wien auch in anderen Städten die Nummer eins zu werden und nach dem One-Stop-Shop-Prinzip unsere Kund*innen mit Speisen, Lebensmitteln und anderen Artikeln des Alltags unkompliziert und schnell zu versorgen“, sagt sie. 

Mjam ist mittlerweile seit 14 Jahren im österreichischen Markt aktiv. 2021 arbeitete das Tochterunternehmen von Delivery Hero mit rund 4.000 Partnerrestaurants zusammen. Während der Lockdowns verzeichnete das Unternehmen ein Wachstum im dreistelligen Bereich, das sich, so Kayser, aktuell normalisiere. Bei der Zustellung von fertigen Speisen liegt mjam in Wien derzeit zwar vorne. Diesen Platz auch in anderen Städten zu erreichen wird nicht einfach. 

Ebenso sollen die mjam-Eigenmarken, die es Restaurantpartnern ermöglichen, ihr Angebot zu erweitern, in den nächsten Monaten weiter ausgebaut werden.

Was spricht für eine Ghost-Kitchen?

  • Flexiblere Angebotsgestaltung
  • Größeres Liefergebiet abdecken
  • Schnellere Lieferungen
  • Zeitgemäße Kundenerwartungen erfüllen
  • Kosteneffizienz
  • Neue/zusätzliche Wachstumschancen

Was spricht gegen eine Ghost-Kitchen?

  • Hohe Provisionen für Plattformanbieter
  • Kaum Kundenkontakt
  • Eingeschränkter Zugang  zu Kundendaten
  • Typisches Restauranterlebnis fehlt

Wieviele mjam-Partnerrestaurants gibt es in Österreich?

Bis zum Frühjahr 2022 ist die Zahl der mjam-Partnerrestaurants auf 6.000 gestiegen. Darunter finden sich neben kleineren Restaurants auch bekannte Marken und Gastro­betriebe wie Starbucks und Neni am Naschmarkt. „Wichtig ist uns eine möglichst breite Auswahl. Sehr gerne arbeiten wir auch mit lokalen Partnern zusammen, wie etwa Coconut Curry oder Florentin“, erklärt Kayser.

Der Kartoffel-Spezialisit Aviko hat in einem Whitepaper eine Checklist erstellt, die Interessierte näher betrachten sollten:
•    Wo ist der ideale Standort für eine Ghost-Kitchen? 
•    Wie viele Menschen erreichen Sie in einer bestimmten Lieferzeit und mit welcher Konkurrenz müssen Sie rechnen?
•    Angenommen, Sie haben bereits ein Restaurant in Innenstadtlage. Fragen Sie sich, was eine Ghost-Kitchen im Randbezirk Ihnen bringen kann. Können Sie von dort aus schneller liefern oder in höherer Qualität? Ist Ihre Reichweite hoch genug?
•    Haben Sie an alle Kosten, Provisio­nen und Gebühren gedacht? Kümmert sich der Ghost-Kitchen-Anbieter auch um die Lieferung oder müssen Sie sich zusätzlich auf entsprechenden Lieferplattformen anmelden?

Klassisches Restaurant

Eine Servicekraft mit blauer Schürze serviert Speiseteller
Ein klassisches Restaurant könnte mit einer Ghost Kitchen das Geschäft erweitern und so die Expansion vorantreiben.

Platzbedarf: hoch
Personalbedarf: hoch
Investitionskosten: hoch
Vorlauf bis zur Eröffnung: meistens 1 Jahr +
Neukonzept-Entwicklung: schwierig/ hohes Risiko

Ghost Kitchen

Eine Produktionsküche
Eine Ghost Kitchen kann - je nach Auftragslage - auch nur mit einer kleinen Mannschaft bespielt werden.

Platzbedarf: gering
Personalbedarf: gering (ab 2)
Investitionskosten: gering
Vorlauf bis zur Eröffnung: 2-4 Wochen
Neukonzept-Entwicklung: einfach / geringes Risiko