„Wir bekamen Briefe mit Hakenkreuzen“

Franchise
03.12.2020

Von: Daniel Nutz
Die Wiener Gastro-Franchisekette Neni reüssiert international. Ein Gespräch mit CEO Ilan Molcho über Innovationen in der Krise, warum es im Family-Business auch mal krachen muss und wie er den Wiener Terroranschlag in seinem israelischen Lokal wahrnahm.
Ilan Molcho: „Wir setzen alle  Expansions-Projekte um, die in Planung sind.“
Mutter Haya Molcho  mit den Söhnen Nadiv, Ilan, Nuril und Elior.

ÖGZ: Die Franchise-Kette Neni hat neben Wien auch Restaurants in Berlin, Hamburg, München, Zürich, auf Mallorca, in Köln, Paris und Amsterdam. Wie unterschiedlich gestaltet sich die Krise gerade in den einzelnen Ländern?
Ilan Molcho: Sehr unterschiedlich. In Berlin sind wir seit acht Jahren, dort haben wir Stammkunden und Reserven. Auf der anderen Seite gibt es Paris, wo wir gerade erst eröffnet haben und es sehr schwierig ist. Zwei Punkte sind wichtig: Es geht um die Kommunikation mit unseren Partnern vor Ort und wie diese dann mit ihren Mitarbeitern und Kunden kommunizieren. Und dann ist es wichtig, die Herausforderungen und daraus neue Wege finden, anstatt sich einfach nur zu beschweren. Man muss innovativ bleiben und eine Hands-on-Mentalität zeigen, dann kommt man auch durch Krisen. 

Welche Chancen gibt es derzeit, um innovativ zu sein?
Auf Delivery und Take-away setzen derzeit alle. Wir haben uns daher überlegt, wie man in diesem Bereich Vorreiter und innovativ sein kann? Wir merken, dass die Leute es sich im Lockdown zu Hause nett machen wollen. Das Erlebnis aus dem Restaurant muss folglich nach Hause gebracht werden. Da reicht es nicht, den Menschen einen Hummus-Teller oder unseren Jerusalem-Teller nach Hause zu liefern. Wir haben darum angefangen, eigene Menüs zu gestalten, die auf zwei, vier oder auch sechs Personen abgestimmt sind. 

Und wie sieht das aus?
Sie inkludieren eine Flasche Wein oder Neni-Gin mit mehreren Mezzes, Hauptspeisen und mit der Playlist aus unseren Restaurants. Der Abend in unserem Lokal soll so nach Hause transferiert werden. Und das funktioniert! In Amsterdam haben wir an einem Samstag beispielsweise 8.000 Euro Umsatz nur mit Take-away gemacht. Das ist ein wahnsinnig toller Wert für einen Lockdown. 

Ein weiterer Trend ist Do-it-yourself.
Wir wissen, dass immer mehr Leute selbst kochen wollen. Aber nicht jeder kann gut kochen! Um die Zeit im Homeoffice zum Kochen nutzen zu können, haben wir etwa Gerichte im Pita-Brot zum Selbermachen kreiert oder liefern auch einzelne vorbereitete Zutaten, mit denen ganz leicht ein eigenes Gericht gekocht werden kann.

Ihr seid auch mit Neni-Produkten im Lebensmittelhandel vertreten, in Österreich bei Spar und in Deutschland bei Edeka. Wie hat sich dieses Geschäft entwickelt?
Fast 40 Prozent unseres Gesamtumsatzes kommen aus dem Handel. Aber auch hier hat uns die Krise beschäftigt, weil wir etwa Salate anbieten, die Leute im Büro essen. So stellten wir uns die Frage: Wie reagieren wir darauf, dass Menschen mehr zu Hause kochen wollen? Wir entwickeln gerade eine nach meiner Mutter benannte Linie, „Haya’s Kitchen“. Es geht darum, dass wir Zutaten für den Haushalt anbieten, etwa Marinaden oder Chilis, die man zum Kochen verwendet.

Ihr betreibt nur die Wiener Restaurants selbst. Die im Ausland funktionieren nach dem Franchise-System. Ist doch jetzt ein Vorteil?
Man könnte auf den ersten Blick sagen, dass unsere Franchisenehmer 100 Prozent des Investments leisten und die Kosten tragen. Wir bekommen unsere Fee aber vom Umsatz, und wenn der fällt, trifft uns das natürlich auch. Wir haben ja auch unseren Teams Innovation und Qualitätsmanagement zu bezahlen. 
Letztlich leiden wir beide. So eine Krise verlangt gute Partnerschaften. Darum ist hier auch das Thema Kommunikation sehr wichtig. Manche Gastronomen haben aus Angst alle Mitarbeiter gekündigt. Das haben wir und unsere Franchise-Partner nicht gemacht. Darüber waren wir uns nach Gesprächen einig, obwohl wir als Franchise-Geber darauf keinen direkten Einfluss haben. 

Neni war bislang auf Expansionskurs. Müssen jetzt wegen der Corona-Krise die Investitionen heruntergefahren werden?
Nein, wir setzen alle Projekte, die in Planung sind, um. Wir eröffnen im Wiener Prater eine Rooftop-Location und wir bauen eine komplette Produktionshalle in Niederösterreich für unsere Handelsschiene. In zwei Jahren öffnen wir dann ein Restaurant in Kopenhagen. Das können wir auch machen, weil die Banken sehen, dass wir ein solides Unternehmen sind und keine Probleme mit der Finanzierung haben. Und eines ist sicher: Die Gastronomie wird nicht sterben, sondern ein großes Comeback feiern!

So gut stehen nicht alle da. Einige Betriebe werden die Krise nicht überleben. Wie wird sich der Markt dadurch verändern? 
Ich denke, dass 30 Prozent der Gastronomiebetriebe schließen müssen. Man muss sich nur jene Betriebe im Wiener ersten Bezirk anschauen, die vom Tourismus abhängig sind. Nur die Unternehmer mit gutem Konzept und Branding werden überleben. Es werden sicher einige sehr gute Lagen leer stehen.

Wo bald ein Neni einziehen könnte?
Wir machen deswegen nicht mehr, als geplant war. Unser Ziel ist es, organisch zu wachsen.

Bei Neni führen Sie mit Ihrer Mutter und Ihren Brüdern gemeinsam ein Unternehmen. Echtes Family-Business. Wie funktioniert das in der Praxis?
Es gibt das Wort „Balagan“, das heißt auf Hebräisch „sympathisches Chaos“. Wir sind alle sehr temperamentvoll, haben alle starke Persönlichkeiten. Also kann es auch krachen. Sehr oft sogar (lacht). Dennoch sind wir eine Familie. Wir lieben uns, und am Ende des Tages kommen wir immer zu einem gemeinsamen Entschluss. Viele denken, Family-Business muss schlimm sein, aber es ist eigentlich viel leichter. Die emotionale Bindung ist so stark, dass die Ausdauer da ist, und durch die Ausdauer kommt es zu den besten Entscheidungen.  

Welche Bedeutung hat das gemeinsame Essen bei euch in der Familie?
Es ging immer ums Essen. Meine Eltern kommen aus Tel Aviv. Tel Aviv ist eine junge Stadt, mit sehr vielen Einwanderern, es sind so viele unterschiedliche Kulturen dort. Meine Mutter hat rumänische Wurzeln und mein Vater spanisch-bulgarische. Jeder hat die Essenskultur seiner Heimat mitgebracht und mit den Zutaten des Nahen Ostens kombiniert. Die Tradition bleibt nicht einfach stehen, sondern es gibt eine Weiterentwicklung. Mein Vater war Pantomime, und meine Mutter hat ihn sieben Jahre auf Tourneen weltweit begleitet. Sie hat dabei ganz viele Eindrücke mitgenommen, die heute die Neni-Küche 
prägen.

Ihr seid eine erfolgreiche Unternehmerfamilie mit israelischem Migrationshintergrund, die in der Öffentlichkeit steht. Leiden Sie unter Antisemitismus, und wie haben Sie den Anschlag in Wien erlebt? 
Ich muss sagen: Wir spüren noch immer Antisemitismus. Als wir die Bar „Tel Aviv Beach“ eröffnet hatten, bekamen wir Briefe mit Hakenkreuzen, und es gab auch Vandalismus. Ich war am Tag des Attentats in unserem Lokal am Naschmarkt. Mein erster Gedanke war: Wir sollten sofort zusperren. Da kommt einem sofort in den Kopf, dass das Neni ein israelisches Lokal ist und womöglich auch ein Ziel sein 
kann. Es ist unerklärlich für uns alle, dass ein Mensch so viel Hass generieren kann, um unschuldige Menschen zu töten. Aber wir müssen diesen Hass mit Liebe und Mut bekämpfen. Diesen Hass verursacht ja nicht der islamische Glaube, sondern die Radikalisierung, die dahintersteckt. Dieser müssen wir mit mehr Integration, mit mehr Bildung begegnen.

Neni: Erfolgreiches Family-Business

Die Restaurantmarke Neni wurde von der aus Israel stammenden Köchin Haya Molcho gegründet und steht für die Anfangsbuchstaben ihrer Söhne (Nuriel, Elior, Nadiv, Ilan). Mittlerweile umfasst Neni über ein Franchisemodell zehn Lokale. Eine weitere Expansion ist geplant. Der jüngste Sohn Ilan ist als CEO für die ganze Unternehmensgruppe zuständig, während Mutter Haya für die Kochschiene, Nuriel für die Vermarktung und Elior für das Management der Wiener Lokale verantwortlich zeichnen.