Geld & Finanzen

Viele Betriebe stehen vor dem Abgrund

Geld & Finanzen
19.04.2022

Mit 31. März sind die Hilfen ausgelaufen. Jetzt beginnt wieder die Trockenzeit – ohne Fangnetz. Die ÖGZ erklärt, warum ausgerechnet jetzt viele Unternehmen existenzbedrohende Probleme bekommen werden.
Illustration: Strichmännchen steht vor einem Abgrund

Handelt die Politik vorausschauend? „Nicht immer”, sagt Gerald Zmuegg. Vor allem in Hinblick auf KMU, auf das unternehmerische Rückgrat des Landes, sei in den letzten beiden Pandemiejahren einiges falsch gelaufen.

Der Finanzombudsmann ist gemeinsam mit seinem Team aus lauter Ex-Bankern seit 15 Jahren beratend tätig. Zu ihm kommen Unternehmer, die bei ihren Banken in eine Sackgasse geraten sind. Es geht immer ums Geld, zumeist um Kredite, neu abzuschließende – aber auch bestehende. 
Was Zmuegg allerdings in den letzten beiden Jahren erlebt hat und derzeit erlebt, ist auch für ihn komplett neu. Es ist beispiellos. Seit März 2020 ist er hauptsächlich für Gastro- und Beherbungsunternehmen tätig. Neben den Hilfen wurden damals bekanntlich auch Überbrückungskredite vergeben. „Der Verwendungszweck dieser Kredite ist die Finanzierung eines Verlusts, und zwar jenes Verlusts, der nicht durch die Hilfen gedeckt ist“, so Zmuegg. Aktuell gibt es in Österreich demnach 25.000 Unternehmen, die Überbrückungskredite in Höhe von 4,8 Milliarden Euro aufgenommen haben – weil die Hilfen nicht ausgereicht haben. 

Verluste finanzieren

Warum ist die Situation gerade jetzt so prekär? „Wir machen seit eineinhalb Jahren darauf aufmerksam, dass diese 4,8 Milliarden Euro an Krediten höchst hinterfragenswert sind“, sagt Zmuegg. Vor allem betreffe dies den Verwendungszweck, nämlich „Verluste zu finanzieren“. Das noch größere Problem sei die vereinbarte Laufzeit: zwei Jahre tilgungsfrei und den restlichen Kreditbetrag innerhalb von drei Jahren zurückzahlen – hier stecke der Teufel im Detail. Eine Stichprobe von 1.500 Unternehmen zeige, dass, unabhängig von der Eigenkapitalquote des Unternehmens, diese Kredite wohl nur schwerlich zurückgezahlt werden können. „Das betrifft Unternehmen mit einer Eigenkapitalquote von 35 Prozent ebenso wie jene mit 8 Prozent“, weiß der Experte. Die Vereinbarungen, die hier mit den Banken getroffen wurden, werfen Fragen auf. 

Die Unternehmen werden gemäß der Finanzombudsmann-Auswertungen heuer ein Ergebnis unter Vorkrisenniveau erreichen. Gleichzeitig haben diese Betriebe aber Schulden aufgebaut, die in kurzer Zeit zurückgeführt werden müssen. Man muss kein Betriebswirt sein, um hier das Dilemma zu sehen. „Das geht sich nicht aus, die Laufzeit ist einfach zu kurz.“ 

Die zwei tilgungsfreien Jahre neigen sich dem Ende zu bzw. sind für viele Unternehmen bereits zu Ende gegangen. Jetzt häufen sich die Konkurse. 

Finanzombudsmann Gerald Zmuegg
„Das geht sich nicht aus, die Laufzeit ist einfach zu kurz“: Gerald Zmuegg über die Überbrückungskredite.

Ohne Fangnetz

Mit 31. März sind die Hilfen ausgelaufen, jetzt beginnt wieder die Trockenzeit ohne Fangnetz. Die Unternehmen sind zwar wieder operativ im Geschäft und lukrieren Umsatz. Vor allem kleinere Betriebe ohne Controlling werden aber die Ersten sein, die bald ins Schleudern kommen. Denn Zahlungspläne fürs laufende Jahr erstellen nur die wenigsten. 

Was jetzt erschwerend dazukommt, sind aktuell die Preissteigerungen. Zmuegg: „Energie, Rohstoffe, alles wird teurer.“ Bisher wurden solche Phasen mittels Betriebsmittelkredit abgefangen. In einer Branche, die seit zwei Jahren bei den Banken auf der Abschussliste steht bzw. ein Risiko darstellt, ist klarerweise auch das Kreditrating gesunken. „Ein Beispiel: Wenn ein Gastro-Betrieb mit 10 Millionen Euro Investitionskredit und einer Million Euro laufendem Betriebsmittelrahmen morgen 100.000 Euro für eine Vorfinanzierung benötigt, dann sagt die Bank mit Sicherheit ‚Nein‘“. 
Eine Reparatur des Rekapitalisierungsgesetzes (siehe Kasten) steht bei der Regierung derzeit allerdings nicht auf der Prioritätenliste.

Gesetzesrahmen

Die Regierung hat sich im September 2021 auf ein Rekapitalisierungsgesetz geeinigt. Dieses sieht vor, dass für die oben erwähnten, nicht rückführbaren Kredite die Möglichkeit besteht, sie in eine stille Beteiligung des Staates umzuwandeln. Grundvoraussetzung dafür ist allerdings, dass sowohl die Bank als auch das betroffene Unternehmen einen Beitrag leistet. Sprich: Es müssen Sicherheiten bzw. Eigenkapital eingebracht werden. In der Praxis läuft das, wie ÖGZ-Recherchen ergeben haben, aber anders ab: Die Cofag (Covid-19-Finanzierungsagentur des Bundes, Anm.) entscheidet, ob eine stille Beteiligung erfolgt oder nicht. Und sie steckt auch die Bedingungen ab, unter welchen diese Beteiligung erfolgen kann. Die Cofag kann aber auch entscheiden, dass die Beteiligung ohne Beitrag erfolgt. Das Gesetz läuft also an den Bedürfnissen der Unternehmer vorbei. Eine Verlängerung der Kreditlaufzeit wäre wohl besser gewesen.

Viele Betriebe haben Liquiditätsprobleme

Das Beratungsunternehmen Finanzombudsteam hat im Zeitraum von 14. bis 18. 3. die Auswirkungen der steigenden Preise bei Energie und anderen Rohstoffen infolge der Sanktionen gegen Russland auf den Liquiditätsbedarf bei rd. 800 Gastro- und Hotellerie­unternehmen abgefragt. Im Ergebnis rechnen fast 90 % der befragten Unternehmen mit einer Liquiditätslücke bzw. mit der Notwendigkeit, zusätzliche Kreditmittel aufzunehmen.
Die Mehrzahl der Unternehmen mit fast 48 % hatte in den vergangenen Jahren Kosten zwischen EUR 30.000,00 und EUR 50.000,00 pro EUR 1 Mio. Umsatz. Fast 30 % der Unternehmen mehr als 50 %. Noch drastischer wird die Situation, wenn man die Energiekosten in Relation zum Ergebnis vor Steuern und Abschreibung setzt (Cashflow). Hier wird sichtbar, dass für fast 2/3 der Unternehmen der Anteil der Energiekosten zw. 15 % und 30 % liegt.

Diese Entwicklung betrifft je nach Energiebedarf alle Branchen und wird zu nachhaltigen Ergebnisverschlechterungen führen. Für Gastro und Hotellerie stellt dies nach fast zwei Jahren ohne Gewinnmöglichkeit aufgrund der Schließungen und Schuldenaufbau (Überbrückungskredite, Steuerstundungen, Rückzahlungsvereinbarungen mit Lieferanten) die nächste Existenzbedrohung dar.