Hört auf zu heulen!

Coronakrise
29.10.2020

Von: Thomas Askan Vierich
Eindrücke von der nachgeholten ITB im virtuellen Format „We love Travel“, bei der der Katastrophenmodus, in dem sich die Branche gerade bewegt, unüberhörbar war.

Die Pandemie hat unsere Probleme beschleunigt“, sagte Quentin Walsch von waad. Berater für Nachhaltigkeit in der Hospitality. „Wir erleben eine Katastrophe. Die Frage ist gestellt: Warum noch reisen?“ Die Antwort lieferten viele unisono: Die Leute wollen verreisen! „Sie buchen das, was geht“, sagte Roland Gasser von Travel Data + Analytics. Nur nachhaltig sind wir zukunftsfähig. Wir müssen ein „neues Normal“ bauen, mit und nach Corona, auch im Tourismus. Nur wenige aus dem Business, wie Dirk Inger vom Deutschen Reiseverband DRV, dämpften die ausgerufene Euphorie des wiederauferstehenden Tourismus ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit, indem er nüchtern festhielt: „Wir müssen erst die Reiseindustrie retten, dann können wir über Nachhaltigkeit sprechen.“

Statt Overtourismus jetzt Undertourismus

Beides gehört aber auch zusammen: Abseits unserer entwickelten Welt ist Nachhaltigkeit ein noch viel existenzielleres Problem. In Entwicklungsländer ist Tourismus bis jetzt oft die einzige Einnahmemöglichkeit für kleine Familienunternehmen. Wenn der wegbricht, bricht alles weg. Also müssen Alternativen geschaffen werden. Was bei unseren Bergbauern gilt, gilt auch für Bewohner Afrikas: Tourismus darf nur ein „Nebenerwerb“ sein oder Teil eines größeren Ganzen. Touristische Monokulturen haben genauso ausgedient wie agrarische Monokulturen. Sollten sie zumindest.

Generell sorge die Coronakrise für mehr Nachfrage nach nachhaltigem Tourismus, da waren sich fast alle einig. Nicht nur im österreichischen Hinterland, sondern international, auch in Massenmärkten wie Spanien. Auch dort versucht man jetzt Touristenströme zu entzerren.

Vertrauen zurückgewinnen

Das Hauptproblem der Reisebranche – auch nach sattsam bekannten Ereignissen wie Ischgl im Frühjahr - ist es Vertrauen zurückzugewinnen. Deshalb erteilten Leute wie Detlef Schroer vom deutschen Reiseanbieter Schauinsland dem Gebahren mancher Veranstalter und Fluglinien, auch Reisen in Gebiete mit Reisewarnung anzubieten, eine klare Absage: „Auch wenn manche Kunden Reisewarnungen ignorieren wollen, wir wollen langfristig ein gutes Geschäft haben.“

Dem widersprachen jedoch andere wie Arturo Ortiz vom Spanischen Tourismusboard in München. Der beklagte sich über inkonsistente Reisewarnungen – zum Beispiel gegenüber den Kanarischen Inseln. Da gebe es zwar einzelne Coronahotspots in den Siedlungen der Einheimischen. Aber als Urlauber in einem Ressort brauche man sich keine Sorgen zu machen... Das Beispiel von VisitBerlin, das deren Chef Christian Tänzler stolz präsentierte, trägt auch nicht dazu bei Vertrauen zu wecken: In einem Werbespot sieht man glückliche Menschen auf dem riesigen ehemaligen Tempelhofer Flugfeld spazieren. Dort sei Abstandhalten kein Problem! Nur leider, denkt sich der berlinerfahrene Zuseher, muss ich, um da hin zu kommen, in überfüllte U-Bahnen steigen… Tänzler gibt aber auch zu, dass das Eis dünn sei. Er und seine Kolleginnen und Kollegen überall auf der Welt hätten zur Zeit „den schwersten Job der Welt.“

Reisen mit Corona

Auch die Reisebranche hofft wie so viele auf Schnell-Tests und Impfungen. Und Ortiz erinnerte daran, dass das Reisen an sich nicht der große Coronatreiber sein könne. Am Flughafen Frankfurt habe man im Sommer alle Rückreisenden getestet. Weniger als 1 Prozent seien positiv gewesen. Ähnliches hört man aus der Hotellerie und Gastronomie: Wir halten die Hygieneregeln ein. Bei uns steckt sich niemand an. Das passiert im privaten Bereich und in der Paragastronomie. Warum, fragen sie deshalb, müssen wir die Hauptleidtragenden sein, wenn es wieder zu einem Lockdown kommt oder kommen muss? Der Tourismus darf nicht sterben. Aber wenn man zwischen den Zeilen bei „We Love Travel“ las und hörte, dann tut er das gerade: sterben. Vieles wirkte wie das Pfeifen im Wald.

Das allgemeine Jammern brachte Sascha Nietsche vom Onlinereisebüro solomanto auf die Palme: „Ich vermisse nach sechs Monaten Corona den positiven Spirit! Wir müssen lernen mit dem Virus zu leben. Wir müssen Reisen entwickeln, die 2021 auch mit Corona funktionieren.“ Die Formel werde sein: Sicherheit + Flexibilität mit AHA-Regeln. „Der Kunde muss verstehen: So kann es funktionieren.“ Und er ergänzte durchaus selbstkritisch: „Die Reisebranche in Deutschland wird bei uns gut bezuschusst. Hört auf zu heulen! Jetzt ist Unternehmertum gefragt!“ Die Antwort auf die Krise könne nicht sein, immer billiger zu werden.