Die Zukunft des Wintertourismus

Österreich
05.11.2015

Von: Thomas Askan Vierich
Kein Schnee im Winter: Wird Österreich ein Land der Sommerfrische? Können wir uns das leisten?
Hier oben hat es eigentlich immer einen leiwanden Schnee, wie Wolfgang Ambros einst sinngemäß sang. Eine Gondel am Dachstein.
Alle Experten  auf einen Blick (v. l.): Maurer, Stefan Bauer (NÖ-Werbung), Gratzer, Comploj, Haas, Redl, Kletter und Moderator Karl Reiner.

Ende Oktober lud der Club Tourismus in die IMC FH Krems, um die Zukunft des Wintertourismus zu diskutieren. Mit dabei waren ein Meteorologe, Bergbahnenbetreiber, Tourismusmanager, Hoteliers und weitere Experten. In den letzten Jahrzenten war der Wintertourismus in Österreich ohne Zweifel eine Erfolgsgeschichte. Das betonte auch Gastgeber Christian Maurer, Studiengangleiter an der FH Krems und Präsident des Club Tourismus, in seiner Begrüßung der rund 70 Teilnehmer. Der Wintertourismus hat bei den Nächtigungen mit dem Sommer gleichgezogen und ihn in den letzten Jahren sogar überholt. Noch wichtiger: Die Wertschöpfung ist im Wintertourismus deutlich höher als im Sommer. Massentouristisch gesehen ist Österreich ein Wintertourismusland mit 50 % Marktanteil in Europa.
Aber wie lange noch? Auch wenn manche noch die Klimaerwärmung im alpinen Raum bezweifeln, die Daten scheinen eine deutliche Sprache zu sprechen. Der Meteorologe Bernhard Kletter zeigte erschütternde Daten der Zentralanstalt für Meteorologie (ZAMG): Alle Kurven zeigen nach oben, vor allem im Winter. Und das ist nicht gut. Auch wenn es große regio-nale Unterschiede gibt und in manchen Jahren und Gegenden manchmal sogar zu viel Schnee fällt: Das wird zunehmend die Ausnahme sein. Der Trend geht Richtung zu warme Winter. Die sichere Schneefallgrenze im Winter wird auf 1.500 Meter steigen. Kletters Prognose für den kommenden Dezember: „Mit 60-prozentiger Wahrscheinlichkeit wird er zu warm.“ Wieder keine weißen Weihnachten in Sicht. Und was für den alpinen Raum gilt, gilt noch mehr für die Herkunftsmärkte: Auch in Deutschland, Holland oder England schneit es immer seltener, denken die Menschen im Jänner eher an Strandurlaub als ans Skifahren.

50 x 50 Grad am Mittelmeer

Andererseits: Auch am Mittelmeer wird es immer heißer. Kletter prognostiziert dort bald mehr als 50 Tage im Sommer mit mehr als 45 Grad. Da macht Urlaub dann auch keinen Spaß mehr. Das könnte dazu führen, dass nicht nur die Südeuropäer im Sommer in die kühleren Alpen flüchten. Die klassische alpine Sommerfrische könnte wundersame Wiederauferstehung feiern. Gut für uns. Aber das wird umsatzmäßig fehlende Wintertouristen nicht ausgleichen können. Ein Wanderer oder Seebesucher gibt ungleich weniger Geld aus als ein aktiver Skifahrer.
Noch ist die Stimmung unter den österreichischen Hoteliers für die kommende Wintersaison verhalten positiv, wie Markus Gratzer, Geschäftsführer der Österreichischen Hoteliervereinigung ÖHV berichtet. Aber Gratzer stellt die Frage, ob das Produkt Wintertourismus, wie wir es in Österreich kennen, seinen Peak erreicht hat. Immer mehr ältere Menschen fahren immer weniger Ski. Menschen aller Altersgruppen wollen im Urlaub ihrem stressigen Alltag entfliehen: Wellness und Genuss statt Action am Berg. Als mögliche Strategien schlägt Gratzer die Entwicklung von klar profilierten neuen Themen am Berg vor: ein wetterunabhängiges neues Standbein. Doch was könnte das sein? Hier breitete sich unter den meisten Anwesenden Ratlosigkeit aus: Schneeschuhwandern, Rodeln, Langlaufen brauchen auch Schnee. Wandern im Winter auf gatschigen Almen scheint wenig attraktiv. Also weiter auf Wellness und Genuss setzen? Dafür muss man nicht die Alpen fahren. Mountainbiken im Winter? Eine Nische für wenige. Aber viele gut gefüllte Nischen könnten auch die Kassen füllen.

Wandern im Regen

Eben doch auf Teufel raus beschneien? Markus Comploj, Chef der Bergbahnen Brandnertal in Vorarlberg, berichtet, dass man jetzt schon bei knapp unter null Grad beschneien könne. Und der Energieeinsatz habe sich in den letzten Jahren fast halbiert. Dennoch bleibt Beschneien eine kostspielige und ökologisch umstrittene Sache. Und bei Plusgraden geht gar nichts. Comploj schlägt kleineren und niedriger gelegenen Skigebieten vor, den Sommer auszubauen und den Winter zu stärken, indem man zusammenarbeitet: Wenn bei mir kein Schnee liegt, liegt er vielleicht im Nachbartal. Gut, wenn man dann einen gemeinsamen Skipass anbieten kann. Man müsse die vielen Nichtskifahrer wieder motivieren. Und für den Sommer neue Angebote schaffen, die Sommersaison ausdehnen. „Wandern im Regen kann eine tolle Sache sein, man muss es den Leuten nur verkaufen. Wir entwickeln gerade einen Wanderweg, der auch bei Regen Spaß macht.“ Überhaupt brauchen die Großstädter mehr Betreuung: „Die Leute wissen nicht mehr, wie man sich in den Bergen richtig verhält.“ Was muss ich anziehen, wie komme ich ohne Auto hin, wie bewege ich mich vor Ort? Dafür müssten Touristiker Angebote machen. 

Für ein funktionierendes Skigebiet sei die Größe entscheidend: Es lohne sich nur noch, wenn man pro Saison über 200.000 Ersteintritte habe und über mindestens 44 Pistenkilometer verfüge. Internationale Tour-Operators erwarteten sogar 150 Pistenkilometer. In Österreich erwirtschaften 800 Bergbahnunternehmen in 330 Skigebieten mit 60 % beschneiten Pisten einen Umsatz von 7,2 Milliarden. Allerdings machen 30 Prozent 80 % vom Umsatz.

The winners takes it all

Und die Kleineren bleiben über. Wie in Niederösterreich. Hier werden schon Liftanlagen abgebaut, wie in St. Corona am Wechsel. Stattdessen setzt man auf Familien und Anfänger, berichtet Markus Redl von den NÖ Bergbahnen. Für die genügen Tellerlifte und viel weniger Aufwand, dann rechne es sich wieder. „Eltern wollen zusammen mit ihren Kindern Skifahren.“ Redl setzt auf Tagesgäste aus den nahen Ballungsgebieten. Und auf „Bergerlebnizentren“, die in erster Linie Urlaub bieten, nicht unbedingt Skifahren. Das klingt allerdings nicht nach vielen Urlaubern, die massenhaft viel Geld für Ausrüstung und Skipässe ausgeben. Außerdem warnt Redl davor, mit Dumpingpreisen wie aktuell am Semmering Skifahrer anlocken zu wollen. Für 8,50 Euro pro Tag kann man kein Skigebiet wirtschaftlich betreiben. Cornelia Haas von den JUFA-Hotels, die gerade ein neues Haus im niederösterreichsichen Annaberg eröffnet haben, setzt auf einen Zielgruppenmix: Schulgruppen, aber auch Familien, denen man immer mehr Freizeitstrukturen anbieten könne, die man selbst geschaffen hat. Haas verlässt sich nicht auf die Destination, sondern auf regio-nale Kooperationen, Indoorangebote, Wasserwelten. „Die Menschen suchen Ruhe, um mal etwas Neues auszuprobieren: Yoga zum Beispiel.“ Und das geht auch im Winter und funktioniert wetterunabhängig. Dem stimmt Markus Gratzer zu: „Gute Betriebe werden selbst zur Destination wie der Hochschober auf der Turracher Höhe.“ Auch hier arbeite eine kleine Region erfolgreich zusammen. Comploj sagt: „Sommerbergbahnen bringen Umsatz.“

Winter Reloaded

Die hoch gelegenen Topskigebiete brauchen sich keine Sorgen zu machen. Aber Skifahren wird wieder zu einem Elitesport. Für die Masse muss man das Angebot aufsplittern und wetterunabhängig machen. Man kann den Sommer ausbauen und die Saison verlängern. Man sollte in der Werbung weg von der verschneiten Winteridylle, weil man das den Leuten nicht mehr bieten könne. Winter muss anders konnotiert werden. Vielleicht als kuschelige Jahreszeit zum Rückzug auf einer Berghütte. Sylt ist zu einer Ganzjahresdestination geworden, weil man den Winter an der Nordsee positiv besetzen konnte. Bernhard Schröder von Donau NÖ Tourismus sagt: „Die Saisonen werden sich entzerren, die Menschen fahren öfter und kürzer in Urlaub, sie suchen das Kleine, Unbekannte, Authentische.“ In ehemaligen Skigebieten wird vielleicht bald Geld mit Zweitwohnsitzen, Healthclustern und betreutem Wohnen verdient. Fraglich ist allerdings, ob die vielen Familienbetriebe in Österreich den langen Atem dazu haben werden. Oder ob in 15 Jahren nur noch die Kettenhotellerie und einige wenige Leitbetriebe übriggeblieben sein werden. Ein Trend, der sich jetzt schon deutlich in der Schweiz und Deutschland abzeichnet.