Der letzte Tellerwäscher
In der Hotellerie ist der Einstieg über die Basis fast ausgestorben – und mit ihm eine Kultur des Lernens am Gast. Gastkommentar von Manuel Kuckenberger.

Warum gibt es heute keine Erfolgsstories mehr, wie junge Menschen von Tellerwäschern zu Millionärinnen werden? Ganz einfach – weil niemand mehr Tellerwäscher sein will.
Hier geht es allerdings nicht um Generation Z. Schon Generation X wollte nicht mehr Lehrjahre für Kost und Logis durchhalten. Generation Y begann, den Hausverstand durch den Bachelor zu ersetzen. Generation Z setzt mit der Sinnsuche nur den letzten Nagel in den Sarg der klassischen Hotellerielaufbahn.
Der Teufelskreis der Geringschätzung
Für wenig geschätzte Positionen finden wir immer weniger Personal. Wir senken also die Ansprüche und bekommen schlechteres Personal. Schlechteres Personal schätzen wir weniger – und das überträgt sich wieder auf die Positionen selbst.
Eine vermeintliche Lösung ist, diese Positionen zu „automatisieren“. Was wir damit verlieren ist jede Möglichkeit, unseren Nachwuchs von Grund auf auszubilden. Wie soll jemand wirklich guten Kundenservice bieten, der niemals mit den alltäglichen Problemchen und Befindlichkeiten der Gäste vor Ort konfrontiert war, wie es eine Rezeptionistin ist?
Noch schlimmer für die Quereinsteiger, die heute überall willkommen sind. Ohne vorherigen Bezug zur Branche bleibt es beim „Quer“ ohne einen fundierten „Einstieg“.
Lernen? Ja, aber bitte nicht bei uns
Wie viele funktionierende Maßnahmen in der betrieblichen Praxis kennen Sie? Shadowing und Mentoring Schemes, in denen erfahrene Führungskräfte ihren Nachwuchs mit ausbilden, sind nach meiner Erfahrung selten gelebte Praxis. Unsere besten Manager sind als betriebliche Ressourcen zu wertvoll um ihre Zeit in solchen Programmen zu „verschwenden“. Management Trainee Programme gibt es fast ausschließlich bei Konzernen, und selbst hier haben beide Seiten das Ziel, den Trainee möglichst zügig zum Manager zu machen.
Gleichen Bildungsinstitutionen den Mangel aus? Die klassische Lehre, wie im DACH Raum praktiziert, wird von beiden Seiten nur mehr wie eine Anstellung betrachtet – für den Lehrbetrieb ist eine halbwegs nützliche Hilfskraft besser als keine, und für den Lehrling ein halbwegs vertretbarer Lohn besser als keiner. Höhere Tourismusschulen haben noch einen ordentlichen praktischen Anteil und Lehrpersonal das eigene Erfahrungen weitergibt, sie vermitteln ihren Absolventen aber zu oft, dass sie aufgrund ihrer Diplome bereits angehende Direktoren sein sollten – und tatsächlich passen diese meist auch nicht mehr in mit angelernten Kräften notdürftig ausgestattete Abteilungen.
Vom Elfenbeinturm in den Silo
Ich erinnere mich gut an den Tag in meinem Berufspraktikum, an dem ich schockiert die für mich exaltierte Person unserer Rooms Division Managerin am Pult des Frühstück-Host arbeiten sah. Während es für sie normal war, im Notfall überall anzupacken, kennen Marketing-Manager heute zwar die Namen ihrer „Kunden-Personas“, nicht jedoch die der Frühstückskellner.
Worin unterscheiden sich also Absolventinnen touristischer Studienrichtungen fundamental von Quereinsteigern? Wie viel von der Realität touristischer Betriebe haben sie hautnah erlebt? Wie sehr kann einem „Master of Business Administration“, direkt von der Uni auf einer Führungsposition gelandet, dann der Mangel an grundlegender Praxiserfahrung bei den Mitarbeitenden überhaupt bewusst sein? Ein Satz, den ich im Zuge eines Softwareprojekts zu hören bekam: „Ich weiß doch nicht wie das in der Reservierung gemacht wird – schließlich bin ich Revenue Manager!“.
Qualität statt Quantität
Ein heutiger Hoteldirektor, mit dem ich zusammengearbeitet habe, begann als Commis de rang. Als man ihm Verantwortung gab, hat er sich das Führen beigebracht – aus Respekt vor dem, was ihm anvertraut wurde.
Heute finden wir noch Direktoren, die ihren Weg auf einer Junior-Position begonnen und zielstrebig bis an die Spitze verfolgt haben. Es gibt inspirierende Beispiele von jungen Menschen, die betriebliche Verantwortung und praktische Fähigkeiten autodidaktisch erworben haben – wie etwa jener Direktor, der kürzlich von Alexander Grübling hier porträtiert wurde: Vom Praktikanten zum Chefposten, alles im selben Haus. Gerade weil solche Geschichten rar geworden sind, verdienen sie besondere Beachtung.
Dies sind die Ressourcen, die wir nützen können, um unsere Gastfreundschaft auch morgen noch zu leben – und hier liegt ein kaum beachteter Nutzen moderner Softwares.
Wie oft haben Sie schon gehört, dass Ihnen dieses oder jenes KI-gestützte Tool „mehr Zeit für Ihre Gäste“ bringt? Doch um daraus echte „Qualitätszeit“ zu machen, müssen die dadurch entlasteten Betriebe und Mitarbeiter erst einmal in ihre Rollen als Gastgeber (wieder) hineinwachsen. Technologie ist kein Ersatz für Haltung – sie ist ein Werkzeug, das Zeit schafft. Für Gäste, für Teams, und nicht zuletzt für die, die das Ganze verantworten.
Betriebe müssen erstens strategisch vorausschauend gesteuert werden um nachhaltig bestehen zu können, und in die nächste Generation von Gastgeberinnen investieren um wachsen zu können. Das erfordert nicht nur Zeit, sondern echte Zuwendung. Diese Ressourcen bei Inhaberinnen, Führungskräften und Personalverantwortlichen freizuspielen ist meiner Meinung nach der nachhaltigste Nutzen, den wir aus den heutigen digitalen Möglichkeiten ziehen können. Nicht, unsere letzten engagierten Rezeptionisten und Reservierungsmitarbeiterinnen zu ersetzen.
Ein Beispiel? Aktuell begleite ich eine kleine Gruppe in der Steiermark dabei, Controlling-Berichte zu automatisieren – damit der Eigentümer auf einen Blick sieht, ob alles im grünen Bereich ist, und die Direktorinnen nicht mehr Zahlen abtippen müssen. Das spart nicht nur Zeit, sondern schafft auch Klarheit.
Profitipp
Führen Sie Cross Training ein. Denken Sie dabei auch außerhalb Ihrer Box: Sie haben keine Rezeption mehr? Ihr Nachbarbetrieb hat vielleicht kein Restaurant mehr. Cross Training geht nicht nur über verschiedene Abteilungen im eigenen Betrieb, sondern auch im Austausch mit anderen Hoteliers. Oder mit Bildungsinstitutionen. Ergänzt um Shadowing und begleitet von erfahrenen Mentorinnen und Mentoren bilden Sie Haltung aus, nicht nur Fähigkeiten. Entwicklungsperspektiven werten Einstiegspositionen stärker auf als Gehaltserhöhungen.
Falls Ihnen beim Lesen das Gefühl kam, dass dieser Text mehr beschreibt als nur die Branche im Allgemeinen – vielleicht sogar ein Stück Ihres Alltags – dann gibt es jemanden, mit dem Sie darüber reden könnten. Es sei denn, Sie wollen wirklich die nächste Dienstbesprechung mit ChatGPT führen.

Manuel Kuckenberger ist steirischer Touristiker, Zahlenmensch und Technikverliebter. Er schreibt über seine Erfahrungen mit und in der heimischen Hotellerie vom Rezeptionisten bis zum Projektberater.
www.kuckenberger.at