Tokios Modell: Klimaschutz als Destination Brand
Klimaschutz, Gästesicherheit und Bürgerbeteiligung: Eine Metropole zeigt, dass Resilienz zum Standortfaktor wird.
Tokio empfängt jährlich über 15 Millionen internationale Gäste. Die Stadt liegt am Wasser, in einer Erdbebenzone, im Taifun-Gebiet. 1,5 Millionen Menschen leben in Gebieten, die bei jeder Flut überschwemmt würden, gäbe es nicht Deiche, Schleusen, Pumpen. Hinzu kommen Millionen Touristen, die sich in der Stadt bewegen, oft ohne Sprachkenntnisse, ohne lokale Risikokompetenz.
Für Destinationsmanager in Europa eine zentrale Frage: Wie schützt man Gäste in Zeiten von Extremwetter? Und wie macht man Klimaschutz zum Teil der Destination Brand? Tokios Antwort: Junge Leute einbinden, Technologie nutzen, Gäste transparent informieren.
Authentische Erlebnisse statt Greenwashing
Die Tokyo Metropolitan Shiba Commercial High School liegt direkt am Wasser. Zwischen den üblichen Sportclubs gibt es einen, der heraussticht: den Mudflat Club.
Die Mitglieder arbeiten am Watt von Waters Takeshiba, einem Komplex in Schulnähe. Einmal im Monat veranstalten sie offene Tage, sprechen mit Forschern, erklären Kindern und Besuchern aus der Nachbarschaft, was dort wächst und lebt. Taguchi Kumino, ein Clubmitglied, sagt: „Wir haben in der Schule über Müllprobleme gelernt. Aber als ich anfing, Müll am Watt aufzusammeln, war ich schockiert. Mikroplastik, überall.“ Sie spricht jetzt mit Familie, Freunden und auch Besuchern darüber. Nicht nur keinen Müll wegwerfen. Sondern erst gar keinen produzieren.
Für Tourismusdestinationen ein interessantes Modell: Statt aufwendiger Nachhaltigkeitskampagnen lokale Initiativen fördern, die Gästen Einblicke bieten. Die Takeshiba Mudflat Open Days sind kein inszeniertes Event, sondern gelebte Praxis. Besucher können teilnehmen, Fragen stellen, mitanpacken. Das Ziel der Schüler: 200 Exemplare eines Bilderbuchs verkaufen, das frühere Mitglieder erstellt haben. „Besuch am Watt“ heißt es. Klingt simpel und funktioniert. Und es kostet die Stadt keinen Cent an Marketingbudget.
Urbane Biodiversität als Tourismusthema
An einer Schule in Tokios Zentrum, mit Blick aufs Parlamentsgebäude, läuft ein noch ungewöhnlicheres Projekt. Schüler der Tokyo Metropolitan Hibiya High School pflücken, beobachten und essen Unkraut. Der Weed Research Club hat einen eigenen Feldführer, sie haben eine Unkrautkarte des Schulgeländes erstellt und seltene Pflanzen entdeckt. „Wir fanden Corydalis, eine Art auf der Roten Liste bedrohter Arten“, erzählt Clubpräsident Tsutsumi Yugo. „Gelbe Blüten, die herausstechen. Als wir nachschlugen, merkten wir: eine bedrohte Pflanze. Hier auf unserem Schulgelände.“
Für Städtetourismus ein Ansatz, den kaum jemand nutzt: Die Natur im urbanen Raum als Erlebnis inszenieren. Während europäische Destinationen über Overtourism klagen, zeigt Tokio, wie man Besucherströme in ungewöhnliche Bereiche lenkt. Nicht jeder Tourist muss zum Senso-ji-Tempel. Manche interessieren sich für Urban Gardening, essbare Wildpflanzen, städtische Ökosysteme.
KI-Systeme schützen Gäste
Die physischen Schutzsysteme bleiben unverzichtbar. Aber Tokio setzt jetzt auf digitale Verstärkung. Vier Säulen, die besonders für Destinationen mit Naturgefahren relevant sein können:
- Ein Online-System veröffentlicht Gezeitenpegel, Schleusenstatus und Live-Kamera-Aufnahmen in Echtzeit. Hoteliers können Gäste informieren, bevor Medien unnötige Panik verbreiten.
- Ein Risiko-Service, bei dem Bewohner und Besucher ihre Adresse eingeben und sofort sehen, wie tief das Wasser bei einer schweren Sturmflut stehen würde. Für Hotels in Küstennähe ein Instrument, um Gästen konkrete, sachliche Information zu geben.
- Ein KI-Modell verarbeitet Gezeiten- und Wetterdaten und sagt Wasserstände bis zu 15 Stunden im Voraus vorher. Genug Zeit, um Evakuierungen zu organisieren, Veranstaltungen zu verlegen, Transportwege anzupassen.
- Drohnen für schnelle, sichere Inspektionen während Katastrophen. Auch das betrifft den Tourismus: Infrastruktur-Schäden können schneller erfasst, Gäste gezielter informiert werden.
Das Entscheidende: Alle Systeme sind mehrsprachig. Englisch, Chinesisch, Koreanisch. Touristen erhalten dieselben Informationen wie Einheimische.
2025 wurde das KI-gestützte Vorhersagesystem auf dem Smart City Expo World Congress in Barcelona präsentiert. Die Botschaft: Katastrophenprävention ist keine lokale Angelegenheit. Sie ist gemeinsame Verantwortung, auch gegenüber Gästen.
Was Destinationen lernen können
Tokio zeigt: Resilienz ist ein Standortvorteil.
Während europäische Alpen-Destinationen mit Schneemangel kämpfen, Küstenorte mit Sturmfluten, Städte mit Hitze, investiert Tokio in drei Bereiche gleichzeitig:
Bürgerbeteiligung: Schüler, die Projekte führen, schaffen Authentizität. Gäste wollen keine inszenierten Nachhaltigkeits-Shows, sondern echte Menschen mit echten Projekten.
Technologie: Transparente, mehrsprachige Warnsysteme reduzieren Panik. Gäste fühlen sich sicher, auch wenn die Lage ernst ist.
Integration: Klimaschutz wird nicht als separate Aufgabe behandelt, sondern als Teil des Destinationsmanagements. Von der Stadtplanung bis zum Gäste-Service.
Die Kombination macht den Unterschied. Lokales Engagement verbindet sich mit internationalen Standards, Spitzentechnologie mit menschlichen Geschichten. Gästesicherheit beginnt nicht erst, wenn der Taifun da ist. Sie beginnt viel früher: bei Schülern, die Müll aufsammeln, bei Jugendlichen, die Unkraut kartieren, bei Behörden, die ihre Daten öffentlich machen, bevor die Krise eintritt.
Tokio hat 400 Jahre Erfahrung im Umgang mit Wasser, Erdbeben, Stürmen. Die Stadt baut darauf auf. Mit Menschen, die anpacken. Mit Systemen, die warnen. Mit Transparenz, die schützt.
Für Destinationen in Europa, die mit steigenden Pegeln, Hitzewellen und Starkregen kämpfen, ist das keine ferne Zukunft. Es ist Gegenwart. Und wer jetzt nicht investiert, erklärt in fünf Jahren seinen Gästen, warum das Hotel evakuiert werden muss.
Quelle: TOKYO UPDATES, Online-Magazin der Stadtverwaltung Tokio, 2025




