Koch.Campus

Die Wiederentdeckung von Wald und Wiese

Top-Artikel
18.10.2022

Von: Daniel Nutz
Rein genetisch ist der Mensch noch immer Jäger und Sammler. Welche kulinarischen Schätze Wald und Wiese zu bieten haben, hat sich die ÖGZ mit dem „Koch Campus“ angesehen.
Pilze auf einem Waldboden

Florian Kogseder sticht den Waldboden hinauf. In seinem Schlepptau befinden sich eine Handvoll Köche, Gastronomen und Journalisten. Seit mehr als einer Woche hat es hier nicht mehr geregnet. Dennoch findet das geschulte Auge hier eine Vielzahl an Pilzen – mehr als man denkt, sind davon zum Verzehr geeignet. 

Wir befinden uns am nordsteirischen Pogusch. Nur wenige Gehminuten liegt das Steirereck-Wirtshaus entfernt – die rustikalere Dependance des von Heinz und Birgit Reitbauer geführten Michelin-Sterne-Tempels im Wiener Stadtpark. Der „Koch Campus“ hat hierher geladen. Kogseder ist Mykologe, also Pilzexperte. Anders als in Osteuropa seien die Pilze ein in unseren Breiten kulinarisch noch vernachlässigtes Nahrungsmittel, sagt er.  
Dabei, so der Pilzexperte, gebe es ja weit mehr Pilze als dem Volksmund spontan in den Sinn komme. Neben den Tieren und den Pflanzen bilden die Pilze die dritte Gruppe an Lebewesen. In ihrer Erscheinung ähneln sie eher Pflanzen, aber sie weisen den Stoffwechsel von Tieren auf und sind damit dem Tier- und Menschenreich in ihrem Wesen sogar ähnlicher. Das Mycel, also die Art Wurzeln der Pilze und Schwämme ziehen sich je nach Pilzart, über viele Kilometer. 

Welche Pilze sind zum Verzehr geeignet? Eine Waldbegehung mit dem Mykologen Florian Kogseder.
Welche Pilze sind zum Verzehr geeignet? Eine Waldbegehung mit dem Mykologen Florian Kogseder. 

Pilze in Symbiose mit den Pflanzen

Saprobionte Pilze erfüllen in der Natur die wichtige Aufgabe, abgestorbenes organisches Material abzubauen und die darin enthaltenen Nährstoffe wieder pflanzenverfügbar zu machen. Neben einigen wilden Speisepilzen wie Parasol oder Schopftintling gehören (fast) alle Zuchtpilze dazu.  
Mykorrhiza-Pilze wiederum gehen Symbiosen mit Pflanzen ein. Sie umwachsen also deren Wurzelzellen und ernähren sich durch den Tausch von Wasser und Nährstoffen gegen Kohlenhydrate. Es ist ein guter Deal für beide: Bäume geben bis zu 20 Prozent ihrer Photosyntheseprodukte ihren Pilzpartnern ab, während die Pilze ihnen wiederum helfen, ansonsten unerreichbare Wasser- und Nährstoffquellen zu erschließen. Sie sind somit für gesunde Pflanzenbestände und einen klimafitten Wald verantwortlich. Die meisten wilden Speisepilze, etwa alle Röhrlinge, Täublinge, Pfifferlinge oder Trüffel zählen zu dieser Gattung. 

Kulinarische Renaissance

Koch-Campus-Mitbegründer Heinz Reitbauer sieht in der Wieder- und Neuentdeckung von Pilzen enorme kulinarische Potenziale liegen. Diese wurden denn auch von den Koch-Campus-Köchen (gendern ist hier übrigens überflüssig, dann es ist keine Frau dabei) kreativ inszeniert. 
Der Koch Campus hat sich vor zehn Jahren als kulinarische Bewegung aus Spitzenköchen und einigen Herstellern gegründet, um regionale Grundprodukte wiederzuentdecken und in einer zeitgemäßen Form in die Gastronomie einzubinden. 

Nichts liegt näher als die Entdeckung des Waldes als Ressource. Knapp die Hälfte Österreichs (rund vier Millionen Hektar) besteht aus Wald. Und die rund drei Milliarden Bäume (die meisten stehen übrigens in der Steiermark) leisten auch einen beträchtlichen Beitrag zur Speicherung von Kohlendioxid. Rund 3,6 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente werden im Wald gespeichert. Und auch die kulinarische Ressource des Waldes ist vielfältig. Das zeigte ein Besuch in Axberg, wo beim Koch Campus in der Brennerei Reisetbauer das Thema Wild in all seinen Facetten erläutert wurde. 

In unserer Kulturlandschaft ist trotz oder gerade wegen der landwirtschaftlichen Veränderungen der vergangenen Jahrhunderte ein Wildreichtum geblieben. Verantwortlich hierfür sind die sogenannten Randlineneffekte. Oder simpler ausgedrückt: Die Kleinteiligkeit der Landwirtschaft mit vielen unterschiedlich bewirtschafteten kleinen Flächen nebeneinander schafft die Basis für eine entsprechende Wildpopulation. Hinsichtlich einer gesunden Ernährung ist dies ein Glücksfall. Genetisch ist der Mensch noch immer Jäger und Sammler. Eine Anpassung an neue Ernährungsweisen braucht nämlich etwa 1.000 Generationen. 

Wild bietet hochwertiges Eiweiß.
Wild bietet hochwertiges Eiweiß. 

Wild ist „besser als Bio“

Dass in einer Zeit, in der Bio, der Gesundheitsaspekt und die klimagerechte Ernährung immer mehr an Bedeutung gewinnen, Wild stärker in den Fokus kommt, glaubt Christopher Böck vom oberösterreichischen Landesjagdverband. „Wildbret ist mehr als Biofleisch“, sagt er. Das Leben in der freien Wildbahn ist mehr als artgerecht und auch die Nahrungsaufnahme erfolgt durch das Tier meist ganz „bio“. Untersuchungen zeigen, dass etwa Kleinwildtiere wie Hasen stets biologischen Äcker den Vorzug gegenüber konventionellen Feldern geben. 

Dass, obwohl die Mengen natürlich begrenzt sind, die Nachfrage auf Wild beständig ist, zeigt eine Markt­erhebung von Beutelmeyer. Zehn Prozent essen regelmäßig, 40 Prozent hin und wieder und immerhin 38 Prozent essen noch selten Wild. Während nur zwölf Prozent überhaupt nie Wild essen. Allerdings liegt die Studie bereits zwölf Jahre zurück. Aktueller Daten gibt es keine. 

Doch was macht das Wildbret eigentlich gesünder als viele andere Nahrungsmittel? Die Antwort darauf: Es handelt sich um hochwertiges, leicht verdauliches Eiweiß. Der Fettanteil ist gering. Wild verfügt zudem über wenig Bindegewebe und feinfaserige Muskulatur. Zudem gibt es keinen Einsatz von Medikamenten. Gerade was die ungesättigten Fettsäuren anbelangt, ist Wild anderen Fleischsorten weit voraus. Lediglich der für sein Omega-3 bekannte Lachs schwimmt hier noch in einer anderen Liga. 

Die Köche des Koch Campus interpretierten Wild facettenreich.
Die Köche des Koch Campus interpretierten Wild facettenreich. 

Welche Qualität passt?

Welches Wild gehört in die Küche? Gerade was die Verwendung von Kleinwild betrifft, hat es in Österreich einen Prozess gebraucht, bei dem Köche wie Heinz Reitbauer auf die Jäger einwirkten, um überhaupt die entsprechenden Produkte bekommen zu können. Topqualität ist nur dann gewährleistet, wenn nur gesundes Wild aus freier Wildbahn verwendet wird. Es gibt ein absolutes Verbot von Straßen-Fallwild. Zudem erklärt Böck, dass ein ordentlicher Schuss gesetzt werden muss. Außerdem muss innerhalb einer Stunde aufgebrochen werden und die Kühlung binnen drei Stunden erledigt sein und die Wildbrethygiene sachgerecht durchgeführt werden, so Böck. Wichtig ist dann die Fleischreifung. Wenn das alles gelingt, steht höchsten kulinarischen Genüssen nichts im Wege. Wie das auf höchster Ebene gelingen kann, zeigten die Koch-Campus-Köche. Etwa Fasan in Butter confiert mit Schaum von Mais und geräucherter Butter (Lukas Kienbauer), Wildentenbrust in Blutsauce mit Topinambur und Herbsttrompeten (Christian Göttfried). In Schweineschmalz gereiftes Rebhendl (Clemens Grabmer) oder confiertes und geräuchertes Rehherz (Michael Kolm). Süßes, irgendwie passend zu Wild, servierte Philipp Rachinger dann seine Interpretaion eines „Rehrückens“.