Fine Dining für alle

Die Küchenelite wird volksnah

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16.05.2023

Die kulinarische Landschaft hat sich drastisch verändert. Früher waren gehobene ­Restaurants das Vorrecht einer kleinen Elite. Heute ist Fine Dining zugänglicher als je zuvor. Wie reagieren österreichische Spitzenköche auf diesen Wandel?
Stilleben mit Hummer

Es gab Zeiten, da war der Besuch eines gehobenen Restaurants ein seltenes Highlight, das nur bei Ereignissen wie Geburtstagen, Taufen, Hochzeiten oder Schulabschlüssen stattfand. Die schön gedeckten Tische mit glitzerndem Besteck und hervorragendem Essen waren im Verständnis vieler Menschen das Vorrecht einer bestimmten Klasse. Hohe Restaurantrechnungen jenseits des österreichischen Durchschnittseinkommens – für die meisten Menschen war es unvorstellbar, so viel Geld für Essen auszugeben. Dass Gastronomie mehr sein könnte als bloße Nahrungsaufnahme – davon war die Mehrheit der Menschen nicht unbedingt überzeugt.

Öffnung

Heute, Jahrzehnte später, hat sich das zum Glück dramatisch verändert. Die einst verschlossenen Türen der Spitzengastronomie haben sich weit geöffnet, und die strengen Formalitäten der Vergangenheit sind größtenteils abgelegt. „Fine Dining“ geht in die Breite, und das ist aus mehreren Gründen gut so.
Fine Dining hat sich von einem exklusiven Zeichen der Klassenzugehörigkeit zu einem Produkt entwickelt, das einem immer größeren Teil der Bevölkerung zugänglich ist bzw. gemacht wird. Ob man diese Entwicklung als Demokratisierung oder als Ausdruck neoliberaler Vermarktung sieht, bleibt Interpretationssache. Fest steht, dass die außergewöhnliche kulinarische Erfahrung, die ein Restaurantbesuch bieten kann, mittlerweile als begehrenswertes Gut angesehen wird, das man sich gelegentlich gönnen möchte und kann, weitgehend unabhängig vom Einkommen.
Dieser Trend spiegelt auch soziale Veränderungen wider, die wir weltweit beobachten. Gastronomen reagieren auf diese gesellschaftlichen Verschiebungen, indem sie Fine Dining zu erschwinglichen Preisen anbieten, um neue Gäste­gruppen anzusprechen und sich weiter zu öffnen.

Esskultur im Wandel

Dass sich die Esskultur im Wandel befindet, wirkt sich nicht nur auf die Art aus, „wie“ konsumiert wird, sondern auch „was“. Während der Fleischkonsum seinen Zenit vermutlich bereits erreicht hat, erleben pflanzenbasierte Produkte und Gerichte eine zunehmende Wertschätzung.
 „Es ist zweifellos kein kurzlebiger Trend, der kommt und wieder geht. Vielmehr ist eine Entwicklung in Gang gesetzt worden, die bleiben wird“, bringt es Foodtrendforscherin Hanni Rützler auf den Punkt. „Peak meats“, also die Grenze des höchsten Fleischkonsums, ist bereits überschritten. „Dass in den vergangenen Jahrzehnten überhaupt so viel Fleisch konsumiert werden konnte, hat sehr wesentlich mit der intensiven Industrialisierung der Landwirtschaft zu tun. Dadurch konnten Fleisch und Futtermittel teilweise Tausende von Kilometern durch die Welt transportiert werden. Diese ‚landwirtschaftliche Industrialisierung‘ hat auch dazu geführt, dass Fleisch immer billiger und damit auch entwertet wurde. Es ist ja teilweise erschreckend, wie wenig Fleisch im Supermarkt kostet. Das ist gegenüber den Bauern ebenso unfair wie gegen die Tiere.“

Resilientere kulinarische Lösungen

Lebensmittelproduzenten und auch die Gastronomie seien gefordert, umzudenken. „Wir müssen resi­lientere kulinarische Lösungen finden. Als möglichen Denkanstoß nennt die Foodtrendforscherin die heurige Ausgabe des Kulinarikfestivals Eat&Meet in der Salzburger Altstadt. „Dort lautete das Motto heuer ‚Vegourmets – eine Stadt isst grün‘. Mit dem Begriff ‚Vegourmets‘ sollten Hotellerie und Gastronomie angestoßen werden, liebevoller und wertschätzender auf Pflanzliches zu schauen. Denn das kommt immer noch oft zu kurz. Faktum ist aber, dass diese Entwicklung angestoßen ist und bereits begonnen hat.“

Wandel der Arbeitswelt

Als einen der Hauptgründe nennt Rützler die veränderte Arbeitswelt. „Wir sind bei der Arbeit körperlich nicht mehr so stark gefordert wie in früheren Zeiten. Der Bereich der Dienstleistungen und die Zahl von Kreativ-Jobs ist ja massiv angewachsen. Es geht – zumindest bei uns in Mitteleuropa – beim Essen längst nicht mehr darum, satt zu werden. Doch Esskultur entwickelt sich langsam und hat viel mit Identität und Kultur und gelebten Traditionen zu tun. Im bäuerlichen Bereich hat sich alte Esskultur noch am besten bis heute erhalten – die Mahlzeiten teilen quasi die Arbeitswelt ein. Im städtischen Lebensraum hingegen ist da viel mehr in Bewegung gekommen. In vielen Berufen können die Menschen nicht um Punkt 12 Uhr am Esstisch sitzen. So haben sich auch die Gewichtungen beim Essen verschoben. Etwa seit der Jahrtausendwende hat das Abendessen wesentlich an Bedeutung gewonnen und dem Mittagessen quasi den Rang abgelaufen. Geänderte Anforderungen an Bildung, Schulzeiten und die Arbeitswelt treiben auch den Wandel in der Esskultur an.“
Als weiteren Grund dafür nennt Rützler den Begriff „neo nature“. „Hier geht es um einen neuen Blick auf Natur und Ressourcen vor dem Hintergrund des Klimawandels. Vieles ist nicht mehr wie früher – Schneemangel im Hochwinter kann nicht mehr ausgeschlossen werden. Auch in diesem Zusammenhang gewinnt das Pflanzliche beim Essen wieder an Bedeutung. Wenn man aber versucht, Fleisch zu reduzieren oder bei manchen Mahlzeiten ganz rauszunehmen, will man trotzdem kein reiner ‚Beilagen-Esser‘ sein. Das würden viele als Verlust empfinden. Auch hier kann ‚Vegourmet‘ ein Weg sein, dass Essen auch ohne Fleisch spannend und genussvoll sein kann. Gemüse, Salate, aber auch Kräuter erleben daher eine Renaissance und setzen sich auch in den Küchen immer stärker durch. Und die Köche wachsen quasi mit dem Wandel der Esskultur mit.“

Win-win-Situation

Natürlich werde Fleisch auch weiterhin Bestandteil der Esskultur bleiben, betont Rützler. Die Gewichtungen verschieben sich aber wieder Richtung Pflanzliches. Gut erkennen kann man das etwa an der wachsenden Zahl von Flexitariern. Sie essen manchmal fleischlos, wollen insgesamt aber nicht auf Fleischgenuss verzichten. Nur: Wenn sie einmal ein Fleischgericht genießen wollen, dann gehen sie in ein gutes Restaurant und sind bereit, dafür auch mehr zu bezahlen. Und das ist eigentlich eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.“ 
Dieser Wandel ist letztlich nicht nur ein Zeichen für die ständige Evolution und Anpassungsfähigkeit der Gastronomie, sondern auch ein Beweis dafür, wie stark unsere kulinarischen Erlebnisse mit unserem sozialen und kulturellen Kontext verflochten sind. Diese Veränderung findet statt. Wir stellen Ihnen auf der nächsten Seite österreichische Köche vor, die ihr Angebot angepasst haben. Köche, die sich öffnen.

Richard Rauch: Themenboxen für daheim

Richard Rauch
Richard Rauch

„Die Idee zu den anlassbezogenen Boxen ist in der Coronazeit entstanden. Wir wollten unseren Gäste trotz der Schließung die Möglichkeit bieten, schöne kulinarische Momente genießen zu können. Nach dem sehr erfolgreichen Anlauf können wir nun 40 Prozent Neukunden trotz Schließung verzeichnen, das ist enorm. Deshalb führen wir die Kulinarik-Boxen auch nach wie vor fort und liefern regelmäßig zu Valentinstag-Ostern-Muttertag-Martini/Advent-Weihnachten und Silvester nach ganz Österreich und Deutschland. In der Box befindet sich dann ein Vier-Gänge-Menü für zwei Personen mit Ablaufplan und eigener Videoanleitung vom Brot bis zu den Petit Fours, alles dabei.“

Hubert Wallner: À la carte nimmt Angst

Hubert Wallner
Hubert Wallner

„Wir kochen neben dem Gourmet-Menü auch À-la-carte-Gerichte, sodass wir den Gästen die ‚Angst‘ nehmen, auch mal Fine Dining auszuprobieren. Die Gerichte kommen sehr gut an, und die Gäste kommen auch auf ein Glas Wein und eine schöne Hauptspeise, da Sie kein ganzes Menü essen ‚müssen‘. Außerdem kommen unsere Mitarbeiter so mit den Gästen ins Gespräch und diese sind wiederum interessiert, später das Gourmetmenü zu probieren, vielleicht sogar das Erlebnis am Chef’s Table zu buchen. Uns war dabei wichtig, dass der Gast sieht, vier Hauben können auch nur ein Glas Wein und ein Gericht sein – man kann auch spontan vorbeikommen.“ 

Jürgen Vigne Pfefferschiff: „Hausbankerl“ für Junge

Jürgen Vigne
Jürgen Vigne

„Mit unserem Hausbankerl & BBQ-Grill wollen wir bewusst einen kulinarischen Kontrast zu unserer Sterneküche setzen. Mit dieser etwas einfacheren Bistro-Küche sprechen wir eine neue Zielgruppe an, ein etwas jüngeres Publikum, das vielleicht erste Erfahrungen in der gehobenen Gastronomie macht und später einmal ins Gourmetrestaurant kommt. Und der Weinkeller ist einfach unsere persönliche Leidenschaft, das ist eine tolle Ergänzung zu unserem Fine-Dining-Konzept im Pfefferschiff. Viele Gäste von ‚zu Hause‘ kommen uns dort besuchen und auch umgekehrt, Gäste der ‚Kellerroas‘ in Gedersdorf werden zu Freunden und besuchen uns in Salzburg im Pfefferschiff, wo neben der Gourmetkarte ab Mitte April feine Bistro-Gerichte à la Carte angeboten werden. 

Sören Herzig: Easy-Going im Pop-up-Bistro

Sören Herzig
Sören Herzig

 „Wir haben uns für das Bistro-Pop-up entschieden, um Abwechslung reinzubringen, den Leuten einen unkomplizierten Aufenthalt, aber auch gerne spontane Besuche zu ermöglichen. Um das Restaurant nachhaltiger zu gestalten, bieten wir Bistro-Köstlichkeiten als Ergänzung zum Fine Dining an. Das funktioniert auch in der Küchenplanung super (z. B. Perlhuhn-Brust im Menü, Perlhuhn-Keule im Bistro)! Es gibt kunstvolle Kreationen, die stets wechseln … aber easy going.“

Andreas Döllerer: Alpine Lunch zu Wirtshauspreisen

Andreas Döllerer Alpine Lunch zu Wirtshauspreisen
Andreas Döllerer

„Wir bieten seit Anfang des Jahres ‚Döllerers Alpine Lunch‘ an, jeden Samstagmittag bis 15 Uhr kann man im Gourmetrestaurant zu Wirtshauspreisen speisen. Der Samstag bietet sich im Gourmetrestaurant gut an, die Nachfrage nach Genusslunches als Pendant zum Dinner trifft auf jeden Fall den Zeitgeist. Den Alpine Lunch sehen wir als Fine-Dining-Kennenlernangebot für eine Zielgruppe, die bis dato noch weniger Berührungspunkte mit Spitzenküche hatte. Im Speziellen jüngere Gäste, so um die 30, die durch dieses ‚Hineinschnuppern‘ den Einstieg in die Gourmetwelten wagen und später auch ins Fine Dining kommen. Außerdem ruft man sich mit solchen Angeboten auch bei ehemaligen Gästen wieder in Erinnerung.“