Kulinarik-Tourismus

Sterne im Anflug

Top-Artikel
02.11.2023

Als Kulinarik-Destination ist Österreich Weltklasse, nur weiß die Welt das leider nicht. Denn auf der Michelin-Landkarte für Gourmets und Foodies ist Österreich bislang ein weißer Fleck. Das soll sich nun ändern.
Illustration Guide Michelin

Das kleine slowenische Nest Kobarid glänzte am 19. September dieses Jahres im hellen Licht der Weltöffentlichkeit. Die Nachricht, dass Ana Roš mit ihrer regionalen Küche im „Hiša Franko“ erstmals mit drei Sternen im Guide Michelin ausgezeichnet wurde, ging in klassischen und digitalen Medien durch die Decke. 

Nicht nur in Kulinarik-Medien. Die deutsche „Bild“ entzückte sieben Millionen Leser mit Ana Roš auf der Titelseite, aber auch CNN, Yahoo und die großen Tageszeitungen El Pais, New York Times, NZZ und The Independent berichteten. Für Barbara Zmrzlikar, Leiterin „Research & Development“ des slowenischen Tourismusbüros, ist globale Medienpräsenz seit dem ersten Michelin-Länderguide Slowenien business as usual: „2022 zählten wir im Zusammenhang mit unserer Michelin-Gastronomie 195 Medienbeiträge, die 590 Millionen Leser weltweit erreicht haben. Unsere Mediaagentur schätzt den Werbewert auf 5,5 Millionen Euro.“ 

Dank Ana Roš‘ Aufwertung dürfte es 2023 ein sattes Plus geben. Damit ist die kommunikative Hebelwirkung von Michelin-Auszeichnungen anschaulich erklärt.

Ana Ros
Ana Roš brachte mit ihren Michelin-Sternen Slowenien auf die Kulinarik-Weltkarte.

Kompass und Reisemotiv

Die Aufmerksamkeit, die Kobarid und Slowenien vergönnt war, soll nun, wenn es nach der Tourismusbranche geht, künftig auch Österreich beglücken und Golling, Werfen, Mautern, Neufelden, Leogang und viele weitere Orte auf die Reiseagenda der internationalen Gourmet-Community setzen. 
Die Stadt Salzburg steht da bereits. Zwei Sterne für „Senn‘s Restaurants“ bescheren Patron Andreas Senn regen Zuspruch: „Nationale Guides sind wichtig, auf ihren Bewertungen wurzelt unser Erfolg. Der Guide Michelin schafft darüber hinaus zusätzlich eine internationale Sichtbarkeit für unsere gastronomischen Leistungen. Das lockt Gäste aus aller Welt an. Viele meiner Gäste haben mein Restaurant über die Michelin-App am Handy kennengelernt. Für manche ist der Besuch sogar der Hauptgrund für ihren Aufenthalt in Salzburg.“ Alexander Huber, Küchenchef und Patron im Huberwirt aus dem beschaulichen Pleiskirchen in Bayern, kann Ähnliches berichten. „Ich habe meinen ersten Stern 2013 bekommen. Dadurch waren wir schlagartig in ganz Deutschland bekannt. Das Maß der Dinge in Deutschland ist nun mal der Sternekoch. Im nächsten Jahr konnten wir unseren Umsatz um 30 Prozent steigern.“ 

Die Fine-Dining-Traveller kennt auch der Tiroler Johannes Nuding. Nach fast 20 Jahren in der Sternegastronomie in Paris, Moskau und London übersiedelte er wieder nach Österreich und hat im Vorjahr den familieneigenen Schwarzen Adler in Hall wieder aufgesperrt. Als Küchenchef von Pierre Gagnaire im „The Lecture Room and Library“ in London erhielt er 2019 mit seinem Team drei Sterne: „Auf dem Sterne-Level hast Du leidenschaftliche Gourmets als Gäste. Die haben Österreich als Kulinarik-Destination noch gar nicht auf ihrer Landkarte. Das ist sehr bedauerlich, weil ich weiß, auf welch hohem Level hier überall gekocht und gearbeitet wird und wie wertvoll unsere aufrichtige Gastfreundschaft im Tourismus ist. Der Michelin macht diese Qualitäten international sichtbar – die Top-Betriebe, die auf Weltniveau arbeiten, und die Gasthäuser, die einfach sehr gut kochen.“

Die Michelin-Bewertungen

Michelin testet mit hauptberuflichen Testern, die eine Fachausbildung haben müssen. Die Sterne stehen für die Bewertung der Küche, nicht für Ambiente oder Service, dafür gibt es im Michelin andere Symbole. 1 Stern, 2 Sterne und 3 Sterne sind die Höchstwertungen. Die begehrte Bewertung „Bib Gourmand“ erhalten Betriebe mit sehr gutem Preis-Leistung-Verhältnis. Zusätzlich werden noch weitere Restaurants empfohlen, ohne in eine der vorigen Kategorie zu fallen. Mit einem „Grünen Stern“ werden besonders nachhaltige Betriebe ausgezeichnet. Die Bewertungen sind über die Michelin-Apps und die Website für jedermann zugänglich. Wien verfügt in der Gastronomie aktuell über 1 x 3 Sterne, 4 x 2 Sterne, 5 x 1 Sterne, 7 x Bib Gourmand und 40 weitere Empfehlungen – in Summe 57 Bewertungen. Die Stadt-Salzburg erhielt 2 x 2 Sterne, 3 x 1 Stern, 2 Bib Gourmands und 13 weitere Empfehlungen, in Summe 20 Bewertungen. Über seine zahlreichen medialen Kanäle fungiert der Michelin zudem auch als Marketingpartner für Kulinarik-Destinationen.

Die weltweite Michelin Community in Zahlen:

  • 47 Mio. Unique Visitors auf guide.michelin.com pro Jahr 
  • 2,5 Mio App-Downloads der Michelin-App 
  • 4 Mio. Follower auf Social Media  

Attraktive Arbeitgeber

Konstantin Filippou, mit seinem Restaurant in Wien mit zwei Sternen bewertet, sieht darin eine harte Währung, die in der gastronomischen Welt zählt: „Viele Gäste verlassen sich bei ihren Reisen auf die Empfehlungen und geben diese an Freunde weiter.“ Social Media sorgt für zusätzliche Präsenz. 
Sternerestaurants ziehen aber nicht nur betuchte Kunden an. Internationale „Young Talents“ in der Küche und im Service erweitern ihren beruflichen Horizont gerne in Michelin-Betrieben und polieren so ihren Lebenslauf auf.

Der Innsbrucker Thomas Penz, 28, war 2019 Koch-Juniorenweltmeister mit dem österreichischen Team und siegte beim „Jungen Wilden 2022“. Er ist einer jener Köche, für die Sternegastronomie die Motivation für die Berufswahl schlechthin ist: „Ich liebe dieses kleinteilige präzise Arbeiten, die intensive Beschäftigung mit Produkten, Aromen und Texturen, das kreative Austoben am Teller – das ist meins.“  Nach Stationen im Steirereck, im Hangar 7 sowie in den Sterne-Restaurants Noma und im Kadeau in Kopenhagen, ist er nun seit vier Jahren als Sous-Chef im 2-Sterne-Restaurant „Ocean“ von Chef Hans Neuner im Vila Vita Parc Resort & Spa in Porches in Portugal tätig. „Für viele engagierte junge Köchinnen und Köche ist die Arbeit in Sternerestaurants sehr wichtig für die eigene Entwicklung und daher auch für die Karriere. Wer in renommierten Restaurants gearbeitet hat, für den öffnen sich weitere Türen.“ Auch er navigiert beruflich nach den Sternen: „Wenn der Michelin auch wieder Tirol bewertet, wäre für mich das Arbeiten zu Hause wieder attraktiver.“ Die Michelin-Absenz bewirkt derzeit noch das Gegenteil und lässt Top-Chefs in sichere Stern-Drittländer emigrieren. Max Natmessing, 35, verließ Österreich nach fünf sehr erfolgreichen Jahren in der Roten Wand in Zürs, um in München auf Sternejagd zu gehen – was ihm im „Dallmayr“ mit zwei Sternen auf Anhieb gelang.

    Kulinarik im Trend

    Kulinarik-Tourismus ist weit mehr als Sternegastronomie. Zahlreiche Studien, etwa von Ernst & Young, belegen das: Für 86 Prozent aller Reisenden sind gastronomische Erlebnisse ein wichtiger Faktor bei der Planung einer Reise. 53 Prozent der Befragten planen einen Auslandsaufenthalt mit „Food“ als primäres Reisemotiv. 

    Da liegt noch eine kommunikative Bringschuld des Tourismus. Denn außerhalb des deutschen Sprachraums ist Österreich viel zu oft auf Klischees reduziert: Schnitzel, Apfelstrudel und Schnaps. Einzig der Wein hat eine klare Positionierung gefunden und ist weltweit anerkannt und präsent.
    Viele Tourismus-Destinationen haben Kulinarik schon längst als Breitband-Marketingtool im Einsatz. Ein Guide Michelin erfüllt in dem Maßnahmen-Mix den Zweck der internationalen Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit. Slowenien hat sich vor drei Jahren, wie Kroatien und Ungarn ein paar Jahre zuvor, entschieden in die Bewertung der Top-Restaurants, Gasthäuser und Hotels durch Michelin mit staatlicher Finanzierung zu investieren. Estland und Lettland stehen kurz vor der Veröffentlichung. Die Österreich Werbung führt diese Verhandlungen derzeit mit Michelin und intern mit Stakeholdern. Ein zähes Ringen um jeden Euro, wie man so hört. 

    In Kroatien hat sich das Investment sichtlich bezahlt gemacht. 2016, dem Jahr vor dem ersten Michelin-Länderguide, kam Kroatien auf 8,2 Milliarden Euro an Tourismuserlösen, 2022 bereits auf 13,1 Milliarden Euro. Das Plus von 55 Prozent geht natürlich auf viele Faktoren zurück. Der Michelin-Guide, so lässt es das Croatian National Tourist Board die ÖGZ wissen, ist ein glaubwürdiges Symbol für die Entwicklung Kroatiens zu einer Qualitätsdestination: „Der Michelin macht unsere Gastronomie vergleichbar mit großen Namen und bringt uns globale Aufmerksamkeit.“ 

    Leo Bauernberger, Geschäftsführer der SalzburgerLand Tourismus ist seit vielen Jahren einer der stärksten Befürworter einer Rückkehr des Michelin nach Österreich. „Die internationalen Qualitätsgäste, die wir nach Österreich und ins SalzburgerLand holen wollen, orientieren sich am Michelin, das ist Fakt. Dass wir die einzige Alpendestination ohne Michelin-Länderguide sind, ist ein klarer Wettbewerbsnachteil als Kulinarik- und Genussdestination! Wir verfügen in der Spitze, aber auch in der Breite über sehr viel Qualität. Es geht um die Wertschätzung und die internationale Sichtbarkeit unserer Gastronomiebetriebe. Da wir aktuell keinen Michelin haben, werden wir als Destination international auch noch nicht so wahrgenommen.“ 

    Der österreichische Tourismus steht daher hinter diesem Vorhaben. Auch die Tatsache, dass Food- und Gastro-Tourismus die Nebensaison aufwerten kann und klima- und wetterunabhängig funktioniert, findet zunehmend Beachtung. Im Tourismusausschuss des Parlaments gibt es, dank des persönlichen Einsatzes von ÖVP-Tourismussprecher Franz Hörl, einen gemeinsamen Beschluss aller fünf Fraktionen für einen Länderguide für ganz Österreich.

    Podcast

    Wie wirkt sich der Guide auf den heimischen Tourismus aus? ÖGZ-Chefredakteur Alexander Grübling zu Gast im Podcast „Smart Hotel Key“, Folge 153: 
    smarthotelkey.at/podcast

    Denen geht’s gut

    Dänemark wird als Land bereits seit 2015 getestet. Besonders Kopenhagen hat sich – obwohl nicht rasend viel besser bewertet als Wien oder München – zum Hot Spot für Foodies aus aller Welt entwickelt. Für Dänemark bedeuteten die Michelin-Sterne das offizielle Upgrade der „New Nordic Cuisine“ vom regionalen Phänomen zu einer weltweit anerkannten Küchenstilistik. „Ganz wichtig war uns die Botschaft, dass es außer dem Noma noch viele andere Top-Restaurants und hochwertige Gastronomie in ganz Dänemark gibt“, erklärt Eva Thybo, die bei VisitDenmark in die Verhandlungen mit Michelin eingebunden war. So kam auch Aarhus, die zweitgrößte Stadt Dänemarks, im Jahr 2015 zu ihren ersten drei 1-Sterne-Restaurants. Aarhus wurde unter anderem von der „New York Times“ zu einem der touristischen „Places to go“ ausgerufen, die Nächtigungszahlen stiegen innerhalb eines Jahres um 17 Prozent. Für Pia Christensen, Chefin von VisitAarhus, war klar: „Die Michelin-Sterne haben unser Storytelling perfekt unterstützt, dass Aarhus eine Stadt ist, die einen Besuch wert ist“. 

    Kulinarischer Klartext

    Während VisitDenmark oder „I Love Slovenia“ ihre Michelin-Betriebe intensiv auf ihren Websites kommunizieren, werden auf austria.info die mannigfaltigen Vorzüge der Kulinarik-Destination aktuell eher schwach beleuchtet. 

    In der deutschsprachigen Version ist schüchtern von „Haubenköchen“ die Rede, ohne dies näher zu erläutern. Allein der Hinweis, dass es in Österreich 760 Haubenrestaurants oder über 2.000 im Falstaff-Restaurantguide ausgezeichnete Betriebe gibt, ließe sofort den Schluss zu, dass Österreich, wie kaum ein anderes Land, auf engem Raum eine enorme Dichte an hochwertiger Gastronomie in allen Güte- und Preisklassen aufweist. Links zu den Top-10-Listen pro Bundesland der beiden Verlage wären hilfreich.  

    In der englischsprachigen Version wird der „Haubenkoch“ ungelenk mit „hooded chefs“ übersetzt. Nicht mal Google kennt diesen Begriff. Wer ihn sucht, landet bei einem Shop, der Hoodies für Köche vertreibt. In der Version für Gäste aus Italien findet in der Rubrik „Sapori“ die Gastronomie sicherheitshalber keine Erwähnung, dafür das AMA-Gütesiegel, einige landwirtschaftliche Produzentinnen und jede Menge Kochrezepte von Buchteln bis Käsespätzle. Ganz ehrlich: da hat die Kulinarikdestination Österreich doch viel mehr zu bieten! Wenn die internationale Foodie- und Gourmet-Community Informationen über die Österreichische Top-Gastronomie auf jener Website sucht, die Österreich international vermarkten soll, sucht sie vergeblich. 

    Michelin-Schwergewicht

    Welche Power würde Österreich auf die Straße bringen, wenn das ganze Land bewertet wird? Ein „educated guess“ startet mit einem Vergleich mit dem Michelin Guide 2009. Damals kam Österreich auf zehn 2-Sterner, 44 1-Sterner, 128 Bib Gourmand Betriebe und 286 weitere Empfehlungen „Selected“ – in Summe 469 Betriebe.  Die Stadt Salzburg und Wien wurden seit 2009 sukzessive aufgewertet: sowohl in der Qualität der Bewertungen wie auch in der Zahl der Betriebe (+20 %). Überträgt man diese Steigerung auf das Land könnten „Pi mal Daumen“ 520 bis 550 Bewertungen erfolgen, vielleicht aufgrund der großen Zahl nicht gleich im ersten Jahr. 

    Ein Versuch der Zuteilung macht Appetit: 3 Sterne: 2 bis 3, 2 Sterne: 15 bis 20, 1 Stern: 55 bis 60, Bib Gourmands: 150 bis 160, weitere Empfehlungen: 300 bis 320 Betriebe. Trifft dies zu, dann wäre Österreich mit dem Tag der Veröffentlichung mit einem Schlag eine der Top-Kulinarik-Destinationen weltweit.  

    Kochlegende Eckart Witzigmann, der erste deutschsprachige Koch, der mit drei Sternen (1979, „Aubergine“) ausgezeichnet wurde, sieht einen klaren Handlungsauftrag an die Politik und den Tourismus: „Es wäre ein Paukenschlag und überaus wünschenswert, wenn Österreich den Michelin wieder zurückholt. Der Michelin ist die absolute Champions-League der Gastronomie und da gehört Österreich aus meiner Überzeugung nach hin!“